Kiezspaziergang und die Geschichte der Klinik am Hansaplatz

Kiezspaziergang „Gute Nachbarschaft im Hansaviertel“ am 13. August 2020 mit der Stadtteilkoordination Moabit Ost und Baustadtrat Ephraim Gothe vom BA Mitte

Der Termin, weit im Voraus festgelegt, erwies sich aufgrund seiner tropischen Temperaturen als wirkliche Herausforderung. Dennoch fanden sich am Treffpunkt ca. 25 interessierte Menschen ein.

Peter Kapsch von der Stadtteilkoordination Moabit Ost führt ein,
Baustadtrat Ephraim Gothe folgt ihm aufmerksam. TAL


Nach einer Einführung durch Peter Kapsch von der Stadtteilkoordination, skizzierte Baustadtrat Ephraim Gothe die zeitgeschichtliche Bedeutung der Interbau, 1957 und heute. Anschließend galt der erste Besuch Angelika Grigat im Meerbaumhaus.

Im Hof des Meerbaumhauses. TAL
Angelika Grigat berichtet von ihrer Arbeit. TAL

Nach einer Führung durchs Meerbaumhaus berichtete Frau Grigat über die Geschichte des Hauses, seine Namensgeberin und das vielfältige Angebot des Familienzentrum. Offensichtlich angetan zogen die BesucherInnen durch den Tiergarten zu Hansabibliothek.

Peter Kapsch berichtet von dem Kunstprojekt am Hansaplatz. TAL
Raimar Oestreich informiert zum Konzept der Hansabibliothek. TAL

Nach einer Überleitung durch Peter Kapsch, erläuterte Raimar Oestreich als Bibliotheksleiter das augenblickliche Konzept und die weitere Planung für diese Einrichtung. Nach einer umfassenden Restaurierung steht sie jetzt der Bevölkerung wieder zur Verfügung. Baustadtrat Ephraim Gothe erklärte dazu, dass das keine Selbstverständlichkeit sei. In den Sparjahren nach 2000 hätte diese Bibliothek kurz vor dem Verkauf gestanden.
Dann ging es zur letzten Station, dem neuen Hansaplatz.

Unterwegs am Hansaplatz zu Fuß und mit dem Fahrrad – das wird die Zukunft sein. TAL

Dort berichtete Brigitta Voigt, die Vorsitzende des Bürgervereins Hansaviertel, von ihrer vielfältigen Arbeit seit 2004. Der Verein ist u.a. mit einem Laden am Hansaplatz präsent. Dort werden Bücher und unterschiedliche Materialien neben Wein angeboten. Der Verein konnte ebenfalls mit umfangreichen Lottomitteln eine informative Website aufbauen, die noch erweitert werden soll.


Um die Vergangenheit nicht ganz auszublenden, erinnerte Thomas Abel vom Verein Gleis 69 an Dr. Nachman Schlesinger und seine Familie. Er war Direktor des Gymnasium der Synagogengemeinde Adass Jisroel in Siegmundshof 11. Im Dezember 1942 wurden er, seine Frau Rosa und die neun Kinder nach Auschwitz deportiert und ermordet. Elf Stolpersteine vor der Apotheke am Hansaplatz erinnern an die Familie.

Archiv Adass Jisroel – Dr. Nachman Schlesinger mit Klasse 1924 – unter CC BY-SA 3.0 – Fotograf unbekannt
Elf Stolpersteine für die Familie Schlesinger
vor der Apotheke am Hansaplatz / Otto Bartning-Allee. TAL

Ebenfalls am Hansaplatz stellten zwei Protagonisten ein bürgerschaftliches Projekt vor. Zur Aufwertung dieses nicht immer ansprechenden Ortes soll ein Stadtteilcafé in den Räumen eines ehemaligen Spätverkaufs eingerichtet werden. Eine nicht ganz einfache aufgabe bei den komplizierten Besitzverhältnissen hier. Gleichzeitig haben sie für sich den Anspruch, allen sozialen Gruppen, die sich hier begegnen, einen gleichberechtigten Raum zu bieten.

Zwei Protagonisten für ein Stadtteilcafè am Hansaplatz. TAL

Zum Schluß zeigte Thomas Abel vom Verein Gleis 69. e.V. die vierte Dimension dieses Stadtraum auf, die Erinnerung. Sein Bericht zur weitgehend unbekannten Klinik am Hansaplatz ist nachfolgend dokumentiert.
Danach verabschiedeten sich alle Teilnehmer, nach eigenem Bekunden zufrieden und gut mit neuen Informationen versehen. Ein erfrischend unkompliziertes und informatives Format des Bezirks.

Die Klinik am Hansaplatz

1880 wurde das „Sanatorium am Hansaplatz“ in der Lessingstr. 51 eröffnet. In den nächsten Jahren fanden Erweiterungen des Sanatoriums auf die Grundstücke Altonaer Str. 11 und Lessingstr. 46 statt. Die ärztliche Leitung lag 1906 bei Dr. Pollack, dessen Witwe 1926 Grundstück und Sanatorium an die AEG-Betriebskrankenkasse verkaufte. In der „A.E.G.Klinik am Hansaplatz“ wurden dann Patienten stationär und ambulant behandelt.

AEG-Klinik am Hansaplatz. Fotograf unbekannt


1932 erwarb der Verein „Neurologisches Institut, Kranken- und Forschungsanstalt e. V. in Berlin“ Klinik und Grundstück. Damit konnte der Privatdozent Dr. Friedrich Lewy dort aus privaten Mitteln ein neurologisches Forschungsinstitut gründen. Die Medizinische Fakultät der Berliner Universität lehnte eine universitäre Anbindung und damit einen entsprechenden Lehrstuhl ab.

Dr. Friedrich Lewy. Fotograf unbekannt.
Forschung bei Alois Alzheimer in München, Laborleiter in Breslau, Habilitation an der Friedrich Wilhelm-Universität Berlin, ao.Prof. für Innere Medizin und Neurologie, Leiter der Neurologischen Abteilung Charitè, Gründung der Neurologischen Klinik am Hansaplatz. Verlust der Lehrbefugnis als Jude. Emigration nach Großbritannien, dann in die USA. Fellowship an der Neurologischen Klinik, Universität Pennsylvania.

Nachdem Dr. Lewy als Jude emigrieren mußte, übernahm 1934 die Charité das Institut als Neurologische Abteilung der I. Medizinischen Universitätsklinik. Gleichzeitig gab es in der Klinik eine chirurgische Abteilung, die zur Chirurgischen Universitätsklinik gehörte.

Dr. Paul Vogel. Fotograf unbekannt.
Schüler von Viktor von Weizäcker, Habilitation in Heidelberg, ao.Prof. an Friedrich Wilhelm-Universität Berlin, Wechsel als Ordinarius nach Heidelberg. NSDAP-Mitglied ab 1937.


Als Privatdozent Dr. Paul Vogel aus Heidelberg 1934 die Neurologische Abteilung der Klinik am Hansaplatz übernahm, wurde diese durch ministeriellen Erlass zur Neurologischen Klinik aufgewertet.
In dieser Zeit setzte die Klinik auch die nationalsozialistische Erbgesundheitspolitik um. Sie meldete Patienten nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchs“ an staatliche Stellen oder stellte selbst Anträge beim Erbgesundheitsgericht Berlin. In der Regel wurden die Patienten dann in der Charitè zu einer Sterilisations-Operation gezwungen.
Ein Großteil der Ärzte, die nach 1933 an der Hansaklinik tätig waren, gehörten der NSDAP an.
Januar 1937 erwarb die Charitè-Stiftung das benachbarte Grundstück und Gebäude Lessingstr. 45 und schuf so die Voraussetzung für eine neurochirurgische Abteilung.

Dr. Wilhelm Tönnis. Fotograf unbekannt
Neurochirurgische Ausbildung bei Herbert Olivecrona in Stockholm, Leiter der Neurochirurgie in Würzberg, Extraordinarius für Neurochirurgie an der Charité, Leiter der ersten deutschen Universitätsklinik für Neurochirurgie (Klinik am Hansaplatz). Außerdem an derAbteilung für Tumorforschung und experimentelle Gehirnpathologie beim Kaiser-Wilhelm-Institut. Generalarzt. 1949 erster deutscher Ordinarius für Neurochirurgie in Köln
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Sie wurde unter der Leitung von Prof. Dr. Wilhelm Tönnis am 1.April 1937 als erste deutsche Neurochirurgische Universitätsklinik eröffnet. – Bei den schweren Luftangriffen am 22. und 23. November 1943 erlitt die Klinik am Hansaplatz so weitgehende Schäden , dass eine weitere Nutzung nicht mehr möglich war.
Die Ruine wurde nach dem Krieg abgerissen.

Ruine der Klinik am Hansaplatz nach 1945.

Quellen unter:
http://gleis69.de/projekte/aktuelle-projekte/juedische-aerzte-und-apotheker-in-tiergarten

Das Projekt wird durch die Berliner Zentrale für politische Bildung gefördert und durch das Auswärtige Amt im Rahmen der deutschen Präsidentschaft bei der IHRA unterstützt.

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