Bei unseren verschiedenen Projekten in Tiergarten sind wir immer wieder auf das Atelierhaus Siegmundshof gestoßen. Ob es KünstlerInnen waren, der Schularzt Dr. Levy oder die Geschichte der Synagogengemeinde Adass Jisroel, immer gab es neue und interessante Aspekte zu erfahren. Deshalb haben wir uns entschlossen, die verschiedenen Seiten dieses Hauses einmal in einer Ausstellung zusammenzufassen. Dazu stellen wir vier sehr unterschiedliche Künstlerinnen und Künstler vor. Als Pendant lernen Sie vier Persönlichkeiten aus der Gemeinde und dem Schulwerk von Adass Jisroel kennen. Ein Blick auf den Ort in der Gegenwart bildet den Abschluss.
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Das Atelierhaus in Siegmundshof.
Inhalt
Impressum
Danksagung
Das Atelierhaus in Siegmundshof 11
Einige Künstlerinnen und Künstler, die bis 1934 im Atelierhaus gearbeitet haben.
Reinhold Begas 1831 – 1911
Käthe Kollwitz 1867 – 1945
Hedwig Wittekind 1896 – 1949
Joseph Budko 1888-1940
Israelitische Synagogengemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin 1869 – 1939
Adass Jisroel – Schulwerk und Synagoge in Siegmundshof 11
Dr. phil. Eduard Chaim Biberfeld 1864 – 1939
Dr. med. Jacob Levy 1889 – 1977
Dr. phil. Nachman Schlesinger 1883 – 1942
Max Mordechai Sinasohn 1887 – unbekannt
Siegmundshof 11 heute – Neubebauung und Mahnmal
Impressum
Eine Ausstellung von Gleis 69 e.V.
unter Mitwirkung von
Ulrike Berg-Dreithaler
Ulrike Ufert-Hoffmann
KuratorInnen Magdalena Zagorski und Thomas Abel
Idee und Redaktion Gleis 69 e.V.
Die Hansabibliothek ermöglichte die Ausstellung in einem angenehmen Rahmen.
Danksagung
Wir sprechen hier unseren Dank an folgende Menschen und Institutionen aus, deren Unterstützung zum Gelingen der Ausstellung beigetragen hat:
Berliner Landeszentrale für politische Bildung
Ulrike Berg-Dreithaler
Bibliothek der Jüdischen Gemeinde zu Berlin
Petra Bonavita
Elke Linda Buchholz
Bundesarchiv
Jüdisches Museum Berlin
Käthe Kollwitz-Museum
Landesarchiv Berlin
Dr. Beate Schaaf
Patricia Schöler und Raimund Oestreich, Hansabibliothek
Ulrike Ufert-Hoffmann
Magda Zagorski
Die Berliner Landeszentrale für politische Bildung förderte diese Ausstellung.
Das Atelierhaus in Siegmundshof 11
Auch im 19. Jahrhundert gab es in Berlin zu wenig Ateliers. Deshalb entstanden im Berlin der Gründerzeit erste Häuser ausschließlich für Ateliers. So planten die Königlichen Bauräte Böckmann und Ende im Hansaviertel einen der ersten Neubauten für diesen Zweck.
1886 errichteten sie auf dem Grundstück Siegmundshof 11 direkt am Spreeufer ein Atelierhaus für Maler und Bildhauer. Dieses Haus lehnte sich in seiner Funktionalität an die Gewerbebauten an, die zu dieser Zeit auf vielen Berliner Hinterhöfen entstanden. Im Unterschied zu ihnen stand das Haus an der Spree aber vollkommen frei. Seine Ateliers waren mit ihren großen Fenstern nach Norden ausgerichtet, im geringen Umfang auch nach Osten. Das ergab für die Künstler die besten Lichtbedingungen. Die Raumhöhe betrug zum Teil über fünf Meter. Daneben waren die Ateliers mit einem weiteren Wohnraum ausgestattet.
Lageskizze des Atelierhauses Siegmundshof 11. Landesarchiv Berlin
Als erste Mieter sind vor allem Professoren der Königlich Preussischen Akademie der Künste verzeichnet. Darunter befand sich auch der Bildhauer Reinhold Begas. In den nächsten Jahrzehnten änderte sich aber erkennbar die soziale Zusammensetzung der Künstler.
Nach der Jahrhundertwende zogen zunehmend auch Frauen ein. Zuletzt machte ihr Anteil mehr als ein Drittel aus. Nach der Gründung der Berliner Secession, unter anderem durch Max Liebermann, bestimmte ihre Kunstauffassung den Stil der Kunstwerke, die hier entstanden. Also keine Allegorien und Historienmalerei mehr. Bei dem täglichen Zusammenarbeiten und Zusammenleben bildeten sich Künstlergemeinschaften und wurden Feste gefeiert. Käthe Kollwitz hat darüber in ihrem Tagebuch geschrieben.
1924 erwarb die jüdische Synagogengemeinde Adass Jisroel das Haus und baute es schrittweise in Schulen und eine Synagoge um. 1934 ist die Malerin Irmengard von Suckow die letzte Künstlerin im Haus. Bis zum Sommer 1941 konnte die jüdische Gemeinde noch die Synagoge benutzen, danach musste sie das Gebäude auf Befehl der GeStaPo räumen. Es wurde bei den Bombenangriffen im November 1943 zerstört.
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Einige Künstlerinnen und Künstler, die bis 1934 im Atelierhaus gearbeitet haben.
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Arnold, H., Kunstmaler (1914-1928)
Bauer, M., Bildhauerin (1908-1912)
Becher, P., Bildhauer (1908-1920)
Begas, R., Bildhauer (1889-)
Block, J., Maler (1908-1920)
Blohm, W., Kunstmaler (1908-1911)
Bracht,E., Bildhauer (1890-)
Budko, J., Kunstmaler (1919-1928)
Dirksen, Bildhauer (1910)
Duncau, Malerin (1908)
Eberlein, Bildhauer (1910)
Eichhorst, F., Kunstmaler (1912-1928)
Epner, E., Bildhauer (1912-1913)
Falk-Finkelstein, Maler (1910)
Fränkel, F., Malerin (1908-1911)
Frankenbach, Th., Maler (1910)
Gaul, A., Bildhauer (1898-)
Gawens, Bildhauer (1921)
Genthe, J., Bildhauerin (1913-1914)
Götze, O., Kunstmaler (1911-1913)
Goldberg, E.,Maler (1910)
Gordon–Craig, E., Maler (1908)
Granzow, W., Kunstmaler (1916-1918)
Gustava Iselin geb. Haeger (1901 – 1906) Malerin
Haniel, R., Bildhauerin (1919)Harrach, H. A., Bildhauer (1912-1919)
Heise, K., Kunstmalerin (1916-1932)
Herz, Kunstmalerin (1916)
Hidding, H., Bildhauer (1890-)
Hochmann, H., Bildhauer (1912)
Hoffmann, A., Bildhauer
Hosaeus, H., Maler (1890-)
Hunerwadel, A., Bildhauer (1912-1918)
Junghann M., Bildhauerin (1909-1911)
Kampf, A., Maler (1890-)
v. Klever, J., Maler (1908-1911)
Knille, O., Maler (1888-)
Koch, M., Kunstmalerin (1913-1914)
Köpping, Maler (1908)
Kollwitz, K., Bildhauerin (1913-1921)
Kraemer, Bildhauer (1921-1929)
Kulwansky, Kunstmaler (1927-1929)
Landau, D., Bildhauerin (1913)
Langhan, Bildhauerin (1921)
Lederer, H., Bildhauer (1910-1919)
Lejeune, L., Maler (1890-)
Lüdecke, H., Kunstmaler (1919-1921)
Maaß, H., Kunstmaler (1908-1920)
Maddalena, T., Maler, Bildhauer (1913-1914)
Magnussen, W., Maler (1890-)
Maron, V., Malerin (1908-1909)
Marquart, B., Maler (1911-1913)
Mauracher, Bildhauer, Maler (1913-1914)
v. Mielzynski, M., Kunstmaler (1909-1919)
Mitscherlich, F., Bildhauerin (1909-1912)
Müller–Mathis, M., Bildhauerin (1912)
Nehring, Kunstmalerin (1927)
Neumann, Kunstmaler (1919-1921)
Pagels, H. I., Bildhauer (1908-)
Palmer, A., Maler (1910)
Parsons, K., Bildhauerin (1908-1911)
Peirotta, G.D., Kunstmaler (1908-1913)
Peterich, Bildhauer (1919-1921)
Rauch,J., Bildhauer (1916-1919)
Rehrmann, W., Kunstmaler (1910-1914)
Reißner, W., Bildhauer (1908)
Retticke, Bildhauer (1921)
Salomon–Schüler, W., Maler (1909)
Schebeck, F., Kunstmaler (1913-1914)
Schmarje, W., Medailleur
Schreiber, K., Bildhauerin (1912-1913)
Schulz, H., Kunstmaler (1913-1923)
Schwabach, Kunstmalerin (1914)
Seebold, R., Kunstmaler (1911)
Stademann,G., Kunstmaler (1913-1919)
Stuckenberg, F., Kunstmaler (1912-)
v. Suckow, I., Malerin (1908-1934)
Taschner, I., Bildhauer (1908-1914)
Terlass, P., Bildhauer (1912-1923)
v. Vietinghoff, gen. Schoel, Malerin (1908)
Waldschmidt, A., Kunstmaler (1912)
Weiß, W., Bildhauer (1908-1911)
Wendel, Bildhauer (1913-1919)
Wenck, E., Bildhauer (1919-1929)
Werkmeister, Kunstmaler (1916-1918)
Wentscher, Kunstmaler (1919-1929)
Wiese, Bildhauer (1913-1914)
Wittekind, H., Bildhauerin /1919-1928)
v.Wetter-Rosenthal, C., Bildhauerin (1909-1914)
Wolf, E., Maler (1908)
Würzbach, H., Maler (1909-1911)
Wollmann, O., Malerin, Bildhauerin (1911-1920)
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Reinhold Begas 1831 – 1911
Reinhold Begas ist der in Berlin am häufigsten mit Originalen vertretene Bildhauer. Insgesamt 33 seiner Werke sind auf Plätzen oder in öffentlichen Gebäuden Berlins aufgestellt. Mit seinen neobarocken
Werken zählt er zu den bekanntesten Bildhauern, die im 19. Jahrhundert in Berlin tätig waren. Neben seinen Lehrern und Kollegen Johann Gottfried Schadow (Quadriga auf dem Brandenburger
Tor) und Christian Daniel Rauch (Reiterdenkmal von Friedrich II. Unter den Linden). 1831 in Schöneberg geboren, 1911 in Tiergarten gestorben, befindet sich seine letzte Ruhestätte auf dem Alten Zwölf-Apostel-Kirchhof in Schöneberg und wird seit 1952 als Berliner Ehrengrab gepflegt.
Bereits seit 1892 heißt die Begasstraße im Malerviertel in Friedenau nach ihm.
Mit dem Schillerdenkmal auf dem Gendarmenmarkt wurde er 1871 schlagartig berühmt. Zu seinen bekannten Denkmälern in Tiergarten und Mitte gehören das Alexander-von-Humboldt-Denkmal (1883) Unter den Linden, der Neptunbrunnen, der als sein Meisterwerk gilt (1891) und das Bismarck-Nationaldenkmal (1901) am Großen Stern.
Der Neptunbrunnen stand ursprünglich auf dem Schlossplatz und wurde 1969 vor dem Roten Rathaus wieder aufgebaut.
Als Sohn des Malers Carl Joseph Begas (geb. 1794) entstammt RB einer Künstlerdynastie. Die Familie stammte aus Belgien und siedelte sich im 17. Jahrhundert in Heinsberg (Westfalen) an. Das Begas Haus dort widmet sich ausführlich der Künstlerfamilie.
Anders als sein Vater, der seit 1826 in Berlin am Hofe begehrter Porträtist war, begeisterte sich RB von Anfang an für die Bildhauerei. Seine Ausbildung übernahm sein Taufpate, der Bildhauer Ludwig Wilhelm Wichmann, in Berlin. Sein Studium setzte er 1846 bei Rauch und Schadow an der Berliner Kunstakademie fort. 1856 führte ihn ein Stipendium für zwei Jahre nach Rom. Dort machte er die Bekanntschaft mit den „Deutschrömern“ um Lehnbach, Böcklin und Feuerbach. Daneben prägte ihn aber vor allem die Begegnung mit den Werken von Michelangelo, Gianlorenzo Bernini und Jean Baptiste Carpaux.
1861 ereilte ihn ein Ruf samt Lehrauftrag an der Großherzoglich Sächsischen Kunstschule Weimar, die er aber 1863 bereits wieder verließ. Weitere Aufenthalte in Rom und Paris folgten, doch blieb das preussische Berlin fortan des Künstlers Heimat. 1886 zog er als einer der ersten Mieter ins Atelierhaus Siegmundshof 11 ein.
Reinhold Begas’ langes Leben ermöglichte ihm auch eine lange Schaffensperiode. Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II. waren seine vorzugsweisen Auftraggeber und Förderer. Für sie schuf er auch
repräsentative Büsten.
Im zweiten deutschen Kaiserreich machte er sich durch zahlreiche öffentliche Aufträge einen klingenden Namen. Sein pathetisch kraftvoller und zugleich erhabener Stil war in der damaligen Zeit sehr gefragt. Die im Auftrag des Kaisers oder anderer öffentlicher Auftraggeber gestalteten Hauptwerke, das Nationaldenkmal für Wilhelm I. am Stadtschloss und die Siegesallee im Tiergarten, existieren heute nicht mehr. Ersteres wurde nach einem Beschluss des Ost-Berliner Magistrats 1950 demontiert und später eingeschmolzen. Die „Via Triumphalis des Hohenzollernreiches“, von den Berlinern respektlos Puppenallee genannt, wurde in den letzten Kriegstagen von Rotarmisten buchstäblich zerschossen und zerhackt. Neben den monumentalen Denkmälern im öffentlichen Raum schuf Begas aber auch zahlreiche Büsten und Plastiken, die er im privaten Auftrag oder auf eigenes Risiko gestaltete. Stücke aus seiner Zeit in Rom sind dabei, ein wunderbarer Pan mit Flöte, aber auch zahlreiche Porträtbüsten und die Arbeiten, mit denen er seinem Mentor Adolph von Menzel Reverenz erwies. So modellierte Begas die Hände des älteren Kollegen und nahm ihm auf Wunsch der Witwe die Totenmaske ab.
Die Skulptur Amor und Psyche war 1981 anlässlich seines 150jährigen Geburtstages Motiv für eine
50 Pfennig-Briefmarke der Deutschen Bundespost Berlin. In renommierten Sammlungen und Museen wie z.B. der Alten Nationalgalerie oder dem Militärhistorischen Museum in Dresden sind heute seine Arbeiten ebenfalls zu sehen.
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Käthe Kollwitz 1867 – 1945
Geb. 8.Juli 1867 in Königsberg, gest. 22.April 1945 in Moritzburg bei Dresden.
Käthe, geb. Schmidt, wächst in einem liberalen und soziale Verantwortung vermittelnden Elternhaus auf. Ihr Großvater verlor wegen der Teilnahme an der 1848-iger Revolution und seiner politischen und religiösen Haltung seine Professur. Seine Lebensmaxime „Jede Gabe ist eine Aufgabe“ und sein Vorbild, für seine Überzeugungen einzustehen, bestimmten KKs weiteres Leben. Ihr Vater gab für seine sozialistischen Ideale eine juristische Karriere auf und wurde Maurermeister.
KK und ihre drei Geschwister erlebten in der Kindheit einen großen Freiraum und ihre Begabungen wurden früh gefördert.
Mit 17 Jahren durfte Käthe an die „Zeichenschule für Damen“ nach Berlin gehen. Ihr Vater wünschte sich Käthe als Malerin. Deswegen schickte er sie 1888 für zwei Jahre zum Studium nach München. Von dort kehrt sie mit neuen Fähigkeiten zurück und macht ihre ersten druckgrafischen Versuche.
Sie wählt aber nicht das Leben als freie Künstlerin, sondern heiratet 1891 ihren langjährigen Verlobten Karl Kollwitz. Er ist Arzt und früh in die SPD eingetreten. Käthes Vater schätzt ihn sehr, fürchtet aber für die künstlerische Karriere Käthes in ihrer neuen Rolle als Ehefrau und Mutter. Mit Karls Kassenzulassung
im Berliner Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg bekommt die junge Familie eine Existenzgrundlage.
Die Wohnung und Praxis in der Weißenburger Str. 25 bestimmen in den nächsten 50 Jahren ihr Leben. Hier wachsen ihre Kinder, Hans geb. 1892 und Peter geb. 1896, auf. Hier schafft sich KK ihren künstlerischen Freiraum und konzentriert sich dabei auf grafische Techniken. 1893 stellt sie zum ersten Mal auf der Freien Berliner Kunstausstellung aus. Unter dem starken Eindruck von Gerhard Hauptmanns Drama
Die Weber wird sie mit ihrem Zyklus Weberaufstand auf der Großen Berliner Kunstausstellung 1898 schlagartig bekannt. Der zweite Zyklus Bauernkrieg bringt ihr 1908 den Villa-Romana-Preis ein und das Stipendium für einen einjährigen Aufenthalt in Florenz. In dieser Zeit gelangt sie von der weicheren Lithografie über die Radierung zum strengen Holzschnitt.
1907 besucht sie in Paris mehrmals das Atelier von Auguste Rodin und bildet sich im plastischen Gestalten fort. Eine ihrer ersten plastischen Arbeiten ist das Reliefporträt zum 100. Geburtstag ihres Großvaters Julius Rupp.
In den nächsten Jahren entstehen für den Münchner Simplicissimus die Bilder vom Elend. Beispiele für Armut und Hunger sieht sie täglich in der Praxis ihres Mannes. Sie zeichnet auch die Mütter mit ihren Kindern im Städtischen Obdachlosenasyl an der Prenzlauer Allee. Diese Bilder, geboren aus ihrem Mitgefühl, erschüttern den Betrachter in ihrer Direktheit und Unerbittlichkeit der Darstellung. Die Möglichkeit, diese Not darzustellen, hilft ihr, das Leben zu ertragen: „Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind.“
Für die Arbeit an Plastiken braucht KK aber den Platz und das Licht eines Ateliers. Deshalb arbeitet sie
ab 1912 im Atelierhaus Siegmundshof. Hier entstehen die Figuren der trauernden Eltern für den Soldatenfriedhof in Flandern, wo ihr Sohn Peter ruht.
Sein Tod erschütterte sie zutiefst, denn sie selbst hatte ihm die Erlaubnis gegeben, sich freiwillig zu melden: „In unser Leben ist ein Riss gekommen, der nie wieder heil wird. Soll auch nicht.“ Sie überwindet die Lähmung, indem sie das Denkmal für ihr Kind schafft. Dieses Lebenswerk vollendet sie erst nach 17 Jahren. 1932 wird es auf dem Soldatenfriedhof in Flandern aufgestellt.
Zu ihrem 50. Geburtstag, am 8.Juli 1917 wird sie in ganz Deutschland mit Ausstellungen geehrt. Aber der andauernde Krieg und die an Körper und Seele versehrten Soldaten machen sie zur entschiedenen Kriegsgegnerin. In dieser Zeit entstehen zahlreiche Selbstbildnisse, wie zur Selbstbefragung, und viele Plakate mit Solidaritätsaufrufen. 1919 ernennt die Preussische Akademie der Künste KK als erste Frau zum Mitglied. Sie erhält den Professorentitel und 1929 auch als erste Frau den Orden „Pour le mérite“.
Nach dem Sieg der NSDAP im März 1933 muss KK aus der Akademie austreten und verliert ihr Atelier. „Leben kann man ja ohne die Arbeit, aber das Leben ist ohne Saft und Kraft.“ Den Wiedereintritt in die Akademie lehnt sie ab: „Ich will und muss bei den Gemaßregelten stehen“. 1934 werden ihre Werke noch einmal in Amsterdam ausgestellt, dann werden sie aber als entartet aus den deutschen Museen entfernt.
1940 stirbt Karl Kollwitz. Die Bronze „Abschied“ entsteht und ein Selbstbildnis mit Karl. Ihr Berliner Wohnhaus wird von einer Brandbombe getroffen und völlig zerstört. Ihre letzte Zuflucht findet sie in Moritzburg bei Dresden, wo sie wenige Tage vor Kriegsende durch ihre Enkelin betreut stirbt.
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Hedwig Wittekind 1896 – 1949
Hedwig Wittekind lebte und arbeitete ab 1919 zehn Jahre lang im Atelierhaus im Siegmunds Hof. Als Künstlerin ist die Bildhauerin heute zwar in Vergessenheit geraten, aber durch ihren couragierten und selbstlosen Einsatz in Erinnerung geblieben. 1943 versteckte sie ein jüdisches Mädchen und rettete es so vor dem Nazi-Terror.
Die am 7. Juni 1896 im oberhessischen Büdingen geborene Bildhauerin wuchs in einem streng konservativen bildungsbürgerlichen Milieu auf. Ihr Vater, ein Gymnasial-Professor, war ein überzeugtes Mitglied der NSDAP.
Nach Schule und Internat am Genfer See besuchte die künstlerisch begabte junge Frau zunächst die Stuttgarter Kunstgewerbeschule sowie die Königliche Zeichenakademie Hanau. Von 1915 bis 1917 studierte sie dann an der Großherzoglich Sächsischen Hochschule für Bildende Kunst in Weimar. Nach ihrem Abschluss zog sie nach Berlin, um dort als Künstlerin ihren Weg zu suchen. Zwischen 1919 und 1928 arbeitete sie im Atelierhaus, wo sie auch wohnte. Wie vielen Frauen nicht nur aus dem Umfeld des späteren Bauhauses blieb Hedwig Wittekind künstlerische Anerkennung und Erfolg jedoch verwehrt.
Trotz Beteiligung an Ausstellungen der Berliner Secession und der Preussischen Akademie der Künste lebte sie in prekären finanziellen Verhältnissen und war zeitweilig auf Unterstützung ihres Vaters und ihres Bruders Albrecht angewiesen. Um sich über Wasser zu halten, fertigte sie später vermehrt kunstgewerbliche Arbeiten an. Dennoch führte sie ein weitgehend freies und unabhängiges Leben als „Bohèmienne“, für das sie ihre verheiratete Atelierkollegin Käthe Kollwitz beneidete.
Wie ihr Bruder Albrecht trat auch Hedwig 1933 zunächst in die NSDAP ein, eine Voraussetzung, um in die Reichskulturkammer aufgenommen zu werden. Schon ein Jahr später verließ sie jedoch die Partei wieder, zu der sie immer mehr auf Distanz ging. Über ihren Freund, den Kommunisten Franz Streit, kam sie in Verbindung mit Mitgliedern der Widerstandsgruppe um den KPDFunktionär Anton Saefkow und erklärte ihre Bereitschaft, illegale Aktionen zu unterstützen. Während der „Fabrikaktion“ im Februar 1943, bei der die letzten in Berlin lebenden Jüdinnen und Juden von der GeStaPo aufgespürt und deportiert wurden, tauchte das jüdische Musiker-Ehepaar Adelheid und Werner Müller mit seiner dreijährigen Tochter unter und suchte Schutz. Hedwig Wittekind und Franz Streit, der in Wittekinds Atelierwohnung in Berlin-Friedenau lebte, entschlossen sich, die Familie dort zu verstecken.
Hedwig Wittekind, die inzwischen vor den zunehmenden Bombenangriffen wieder nach Büdingen gezogen war und dort als Evakuierte lebte, nahm das Kind in ihre Obhut. Kein einfaches Unterfangen. Doch niemand in Büdingen wurde anscheinend misstrauisch, niemand denunzierte sie. Offenbar traute man einer unverheirateten Künstlerin mit entsprechend lockerem Lebensstil wie ihr durchaus zu, ein uneheliches Kind zu haben. Als das Kind jedoch krank wurde, informierte der Arzt das Jugendamt. Es wurde anschließend im Kinderheim der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt untergebracht, wo es das Ende der NS- Herrschaft überlebte.
„So nahm die NSV ein kleines jüdisches Mädchen auf, ein wahrscheinlich einzig dastehender Fall im Reiche Adolf Hitlers“, schrieb Hedwig Wittekind in ihren Erinnerungen.
Franz Streit und das Ehepaar Müller wurden am 20. Juli 1944 in Berlin verhaftet. Als Mitglied der Widerstandsgruppe Saefkow-Jacob-Bästlein wurde Streit vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 22. Januar 1945 hingerichtet. Werner und Adelheid Müller wurden ins KZ Auschwitz deportiert. Werner Müller kam am 3. Januar 1945 in Landsberg ums Leben. Seine Frau überlebte mehrere Konzentrationslager als Pflegerin und wurde im KZ Theresienstadt von der Roten Armee befreit. Sie konnte ihre Tochter anschließend wieder zu sich nach Berlin holen.
Hedwig Wittekind schrieb ihre Erinnerungen an die Rettung des Kindes im Sommer 1945 auf. Als Künstlerin sah sie für sich nach dem Krieg keine Perspektive mehr. Sie starb am 31.Oktober 1949 in Büdingen, vermutlich durch Suizid.
Die Soziologin Petra Bonavita hat die „wunderbare Rettung eines kleinen jüdischen Mädchens durch Hedwig Wittekind“ anhand Wittekinds Aufzeichnungen und Briefwechsel sowie eigener Recherchen in ihrem Buch „Die Bildhauerin und das Kind“ (Schmetterling Verlag) nachgezeichnet.
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Joseph Budko 1888 -1940
Geb. 27. August 1888 in Płońsk, Russisches Kaiserreich; gest. 17. Juli 1940 in Jerusalem, Völkerbundmandat für Palästina. Ursprünglich sollte Joseph Budko nach dem Wunsch seiner Eltern Rabbiner werden.
So kommt er als Vierzehnjähriger nach Wilna, dem Jerusalem des Nordens, wo er neben den talmudischen Studien die Realschule besucht und gleichzeitig an der Kunstschule Unterricht erhält. 1902 schließt er in Wilna die Realschule ab und geht 1910 nach Berlin.
Mehr zufällig gerät er dort in den Kreis von Hermann Struck. Struck ist orthodoxer Jude und versucht seinen Glauben mit den Zielen des Zionismus zusammenzubringen. Gleichzeitig ist er ein anerkannter Graphiker, bei dem auch auch Liebermann und Corinth gelernt haben. Budko wird er später als seinen Lieblingsschüler bezeichnen. Zuerst aber nimmt Budko seine Tätigkeit bei der Firma Gladenbeck in Anspruch, wo er das Ziselierhandwerk erlernt. In der Handwerksschule lernt er parallel auch den Beruf des Kupferstechers. So erfährt er eine solide handwerkliche Ausbildung, auf die er später bei seinen künstlerischen Arbeiten immer wieder zurückgreifen kann. Anschließend besucht er die Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums. Auch hier bildet er sich vor allem handwerklich weiter. Er besucht die Fachklasse für Metallzeichnen und die Werkstätten für Metallarbeiten. 1914 schließt er dort seine Ausbildung ab und beginnt dann mit graphischen Arbeiten. Zuerst versucht er sich an Landschaftsbildern, dann kommen Reproduktionen von Gemälden. Seine ersten Auftragsarbeiten sind Illustrationen zu Erzählungen jüdischer Dichter. So entstehen die Arbeiten zu Perez, zu Schalom Asch, Scholem Aleichem und zu Fischmann. Im nächsten Entwicklungsschritt fertigt er Exlibris-Entwürfe an, wobei er hebräische Buchstaben als dekorative Elemente verwendet. Es folgen verschiedene Zyklen und weitere Radierungen. 1916 entsteht ein Zyklus zur Ilustration derHagada und danach das „ Jahr der Juden“.
Nach den Radierungen versucht er sich an Holzschnitten. Es entstehen llustrationen zu den Psalmen mit deutschen und hebräischen Buchstaben. Diese Arbeiten veröffentlicht er im Verlag von Fritz Gurlitt. In der Zeit von 1919 bis 1928 arbeitet er im Atelierhaus in Siegmundshof. 1922 läßt er Marc Chagall in seinem Atelier arbeiten, als sich dieser für ein Jahr in Berlin aufhält.
Mitte der Zwanziger Jahre begann er sich dann auch der Malerei zu widmen.
1933 war er als Jude gezwungen, nach Palästina zu emigrieren. Dort leitete er von 1934 bis 1940 die neue Kunstgewerbeschule Bezalel School for Arts & Crafts in Jerusalem.
Budko fertigte eine Vielzahl von graphischen Arbeiten zum ostjüdischen Kulturkreis und zu biblischen Themen an.
In Palästina stellte er auch dortige Landschaften dar. Ähnlich wie sein Lehrer Hermann Struck, der 1933 ebenfalls nach Palästina übergesiedelt ist.
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Israelitische Synagogengemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin 1869 – 1939
Da sie sich in der mehrheitlich liberal ausgerichteten Berliner Gemeinde kein Gehör mehr verschaffen konnten, gründeten 1868 200 jüdisch-orthodoxe Familien die gesetzestreue jüdische Religionsgemeinschaft Adass Jisroel. Als ihren ersten Rabbiner beriefen sie Dr. Esriel Hildesheimer aus Eisenstadt. Am 2. September 1869 traf er in Berlin ein und schon am nächsten Tag nahm er seine Lehrtätigkeit auf.
Er rief bald eine Religionsschule für Kinder ins Leben und ließ eine koschere Fleischerei und Bäckerei eröffnen. Später kam ein eigener Friedhof in Weißensee hinzu. Im April 1870 wurde das Gemeindestatut beschlossen. 1873 gründete Hildesheimer ein orthodoxes Rabbiner-Seminar in der Gipsstr. 12 a. In diesem Gebäude befand sich ebenfalls eine Mikwe und eine Synagoge.
1885 erhielt Adass Jisroel seine rechtliche Eigenständigkeit. Dadurch konnten neue Mitglieder direkt dort eintreten. Die Gemeinde nannte sich jetzt Israelitische Synagogengemeinde (Addass Jisroel) zu Berlin. Da die Gemeinde weiter wuchs, zog sie im September 1904 in die Artilleriestraße 31, in eine neu erbaute Synagoge mit Gemeindehaus und Rabbinerseminar.
1924 erwarb die Gemeinde im Hansaviertel schließlich das Atelierhaus Siegmundshof 11 und richtete dort mehrere Schulen und eine Synagoge ein.
In der Reichspogromnacht blieben die Synagogen und Schulen von Adass Jisroel unangetastet. Verschiedene Lehrer und Rabbiner wurden dagegen ins KZ verschleppt. Schließlich musste die Gemeinde unter dem Zwang der GeStaPo ihre Eigenständigkeit aufgeben und sich im März 1939 mit der liberalen jüdischen Gemeinde zusammenschließen.
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Adass Jisroel – Schulwerk und Synagoge in Siegmundshof 11
Im März 1919 fasste die Gemeinde Adass Jisroel den Beschluss, ein Schulwerk zu gründen. Bereits im Mai 1919 hatte man Räume und Lehrer gefunden und die nötigen Schüler geworben. Die Schule fand großen Zuspruch, sodass sie bereits nach einem Jahr erweitert werden musste. Sie galt bald als eine der besten in Berlin.
Unter dem Prinzip der Gesetzesfreude (Simcha schel Mizwa) wuchsen die Kinder aus unterschiedlichsten Schichten und Herkommen schnell zu einer Gemeinschaft zusammen. Dabei fanden jüdische Glaubensinhalte in den verschiedenen Fächer Eingang.
Die Schule wuchs ständig, sodass immer wieder neue Räume und geeignete Lehrer gefunden werden mussten. Im September 1925 erhielt Addas Jisroel die ministerielle Genehmigung höhere Lehranstalten zu betreiben. Im Oktober 1926 schließlich konnte das ehemalige Atelierhaus Siegmundshof 11 mit allen Klassen bezogen werden.
Mit hohem Engagement der Lehrer und der Gemeinde und einer bewundernswerten Spendenbereitschaft der Eltern und Förderer wurden neben der Volksschule die Oberstufen im Gymnasium und Lyzeum ausgebaut.
Die ersten Schüler legten im März 1930 ihr Abitur ab. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 brachte neue Herausforderungen für diese Schulen. So wurde eine große Zahl jüdischer Schüler zum Wechsel von staatlichen Schulen auf jüdische gezwungen. Gleichzeitig verloren die Schulen von Adass Jisroel zunehmend Lehrer durch Auswanderung nach Palästina und anderweitige Emigration. Auch die finanzielle Situation von Schule und Gemeinde verschlechterte sich immer mehr.
Trotzdem waren an der Schule weiterhin Ärzte und Schulpflegerinnen regelmäßig um die Gesundheit der Kinder bemüht. Patenschaften ermöglichten bedürftigen Kindern den Schulbesuch. Auch ein Mittagstisch und eine Hortbetreuung wurde angeboten und kamen besonders ärmeren Kindern zugute. Im Februar 1939 fand die letzte Abiturprüfung statt. Im März 1939 schloss das NS-Regime alle Schulen von Adass Jisroel.
Nach der Schließung der Synagoge Artilleriestraße 1939 konnte die Synagoge in Siegmundshof noch
bis Sommer 1941 benutzt werden. Dem Rektor Max Sinasohn gelang es 1940 sogar, zum Laubhüttenfest auf dem Gelände versteckt noch eine Laubhütte (Sukka) trotz strengem Verbots durch die GeStaPo aufzubauen. Danach fanden die Gottesdienste in der Wochentagssynagoge in der Levetzowstraße statt. Im Oktober 1941 wurde auch diese Synagoge beschlagnahmt und in ein Sammellager für die Deportationen umgewandelt. Deshalb trafen sich die letzten Gemeindemitglieder in einer Betstube in der Wilsnacker Str. 3.
Im November 1943 wurde das Gebäude Siegmundshof 11 bei den schweren Bombenangriffen auf das Hansaviertel ebenfalls zerstört.
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Dr. phil. Eduard Chaim Biberfeld 1864 – 1939
geb. 31.10.1864, in Breslau, gest. 30.09.1939 in Jerusalem. Er stammt von väterlicher und mütterlicher Seite aus Rabbinerfamilien und erhielt eine religiöse Erziehung im Sinne des Gaon von Wilna (1720-1797).
Nach dem Abitur 1884 begann er ein Studium der Philosophie an der Friedrich Wilhelm Universität zu Berlin (1886 – 1890), das er mit einer Promotion abschloss. Parallel dazu studierte er am
orthodoxen Rabbinerseminar bei Esriel Hildesheimer. 1894 erhielt er die Smicha (Einsetzung als Rabbiner) und trat sein erstes Rabbinat in Karlsruhe an. Um wirtschaftlich unabhängig zu sein, nahm er 1899 ein Medizinstudium auf, das er in kürzester Zeit abschloss. Nach der Approbation 1904 ließ er sich mit einer Kassenpraxis nieder, die er über dreissig Jahre betrieb. Daneben nahm er die Aufgabe eines Vertrauensarztes der Börse wahr. Ab 1895 unterstützte er in Berlin als Rabbinatsassessor Esriel Hildesheimer bis zu dessem Tod 1899 bei der Arbeit in der Synagogengemeinde Adass Jisroel.
Gleichzeitig lehrte er als Rabbiner am traditionsreichen Beth Hamidrasch in der Heidereuter Gasse und war Vorsitzender der Repräsentantenversammlung der Gemeinde.
Das Lehrhaus (Beth Hamidrasch) geht auf David Frankel zurück, den Dessauer Lehrer Moses Mendelssohns, und war eine von der Gemeinde unabhängige Institution. In die Alte Synagoge kam man im Übrigen nur durch eine Toreinfahrt des Beth Hamidrasch in der Heidereuter Gasse 4.
Biberfelds Hauptsorge aber galt der Errichtung eines thoratreuen Schulwerk in der Synagogengemeinde. Er war dort im Vorstand und unterrichtete auch regelmäßig zu Thora und Talmud. Eine besoldete Stelle in der Gemeinde hat er aber immer abgelehnt. Er war mit Fanny Deutschländer verheiratet und hatte mit ihr fünf Söhne. Bis zu seiner Emigration 1939 wohnte er in der Heidereuter Gasse 4 neben dem Beth Hamidrasch und der Alten Synagoge.
Daneben engagierte er sich für verschiedensten Initiativen in Palästina, war im Vorstand von ESRA vertreten und sorgte sich vorrangig um eine thoratreue Erziehung für die Kinder in Palästina. Er war im Verein der Schabbathfreunde aktiv und pflegte den Schabbath auch im persönlichen Bereich immer streng einzuhalten. Außerdem gehörte er den Vereinen Montefiori und Agudas Jisroel an. Am orthodoxen Kultus hielt er fest. Er lehnte das Orgelspiel in der Synagoge ab, ebenso Deutsch als Gebetssprache und setzte sich für das rituelle Schächten von Schlachttieren ein. Von ihm stammen zahlreiche wissenschaftliche und theologische Veröffentlichungen.
Im April 1939 gelang es ihm, schwer krank mit seiner Familie nach Palästina zu emigrieren. Dort ist er am 30. September 1939 gestorben.
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Dr. med. Jacob Levy 1889 – 1977
Geb. 14.04.1889 in Berlin, gest. 1977 in Jerusalem. Er war verheiratet und hatte sechs Kinder.
Er studierte Medizin in Berlin und Magdeburg. 1913 erhielt er seine Approbation. Anschließend nahm er am Ersten Weltkrieg teil. Levy gehörte dem orthodox ausgerichteten Judentum an. Er war Mitglied der Israelitischen Synagogengemeinde Adass Jisroel und auch von Agudas Jisroel, einer thoratreuen Vereinigung, die sich gegen die Assimilation von Juden wandte.
Nach dem Krieg erhielt er seine weitere ärztliche Ausbildung an Neumanns Kinderhaus in Berlin, einer bekannten sozialpädiatrisch ausgerichteten Institution. 1920 ließ er sich als Kinderarzt nieder. Daneben war er Schularzt im Schulwerk der Israelitischen Synagogengemeinde Adass Jisroel und gehörte auch deren Schulrat an. Da die verschiedenen Schulen auch von Kindern zunehmend armer und hilfsbedürftiger Familien besucht wurden, kam Levy gerade vor den langen Sommerferien eine wichtige Aufgabe zu. Dann wurden die verschiedenen Ferienplätze auch nach Bedürftigkeit und gesundheitlichen Gesichtspunkten verteilt.
1933 drohte Levy als Juden der Entzug der Kassenzulassung. Erst als er sich die Anerkennung als Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg erstritten hatte, konnte er weiterpraktizieren. 1938 wurde ihm wie allen anderen jüdischen Kassenärzten dann die Kassenzulassung endgültig entzogen.
Zuletzt wohnte er in NW 87, Siegmundshof 21. Dort befand sich auch seine Praxis.
Am 8.01.1939 gelang ihm mit seiner Familie die Flucht nach Palästina. Dort praktizierte er bis 1960 weiter als Kinderarzt. Er wohnte in Jerusalem, in der Assa St. 19. In Jerusalem ist er 1977 gestorben.
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Dr. phil. Nachman Schlesinger 1883 – 1942
Geb. 14.02.1883 in Hamburg, ermordet 1942 in Auschwitz. Mit seiner Ehefrau Käthe, geb.Bauer 25.05.98 hat er neun Kinder. Nach dem Abitur folgt ein Studium der Mathematik und Physik an verschiedenen Universitäten. 1909 ruft man Schlesinger nach Jaffa, um dort die Reorganisation der Tachkemonischule in Angriff zu nehmen. Diese Schule sollte als thoratreue Realschule vergleichbar mit Vorbildern aus Hamburg und Frankfurt /M. aufgebaut werden. An der Hamburger Talmud-Thora-Realschule waren bereits Vater und Bruder von Nachman Schlesinger tätig gewesen. Er erkrankt in Jaffa an Malaria und kehrt deshalb bereits 1911 nach Deutschland zurück.
1915 wird Schlesinger zum Kriegsdienst eingezogen. Die Heeresverwaltung Ober Ost kommandiert ihn zur Leitung des Jüdischen Realgymnasium nach Kowno. Dort ist er bis 1921 weiter tätig, zuletzt im Dienst der Litauischen Regierung. 1921 wird er von der Israelitischen Synagogengemeinde Adass Jisroel nach Berlin geholt, um dort das Schulwerk der Gemeinde aufzubauen.
Bis 1939 leitet er als Direktor das Realgymnasium und das Oberlyzeum in Siegmundshof 11. Als diese Schulen 1939 vom NS-Regime geschlossen werden, wechselt er als Lehrer an die Oberschule der liberalen Jüdischen Gemeinde bis Juli 1942. 1942 wird er schwer erkrankt im Jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße aufgenommen. Sein letzter Wohnsitz ist in Berlin NW 87, Lessingstr. 13.
Am 5. Dezember 1942 wird er auf einer Trage vom Jüdischen Krankenhaus ins Sammellager Große Hamburger Straße gebracht und dann mit seiner Frau und den neun Kindern am 6. Dezember 1942 vom Güterbahnhof Moabit mit dem 24. Osttransport nach Auschwitz deportiert.
Zu diesem Zeitpunkt sind David 18 Jahre, Hanna 17 Jahre, Martin Meyer 16 Jahre, Fanny 15 Jahre, Rosa 13 Jahre, Samuel 12 Jahre, Rahel 11 Jahre, Betty 9 Jahre und Michael 8 Jahre alt. Sein Vermögen, seine Wohnungseinrichtung und seine Bücher werden eingezogen. Die ganze Familie wird in Auschwitz ermordet.
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Max Mordechai Sinasohn 1887 – unbekannt
Er wurde am 21.10.1887 in Schönlanke in der Provinz Posen geboren. Die Schule besuchte er in Schönlanke und Berlin und 1905-1907 die Lehrerbildungsanstalt der Gemeinde Berlin.
1907 begann er seine Berufstätigkeit als Lehrer am Untergymnasium und der Handelsschule des Vereins Cultura in Bukarest. Außerdem unterrichtete er als Religionslehrer an einer deutschen Realschule. 1910 wechselte er als Lehrer im Staatsdienst zu den jüdischen und Simultanschulen in Bromberg. 1912 legte er erfolgreich seine zweite Volksschullehrerprüfung ab und erhielt eine feste Anstellung. 1915 – 1918 nahm er am ersten Weltkrieg teil.
1919 – 1939 wirkte er als Schulleiter der Grund- und Volksschule am Schulwerk der Israelitischen Synagogengemeinde Adass Jisroel zu Berlin. 1919 – 1922 absolvierte er gleichzeitig ein Studium an der Friedrich Wilhelm Universität zu Berlin. Im April 1939 wechselte er in der Funktion des Schulleiters zur Jüdischen Gemeinde von Berlin.
Zuletzt wohnte er in NW 87, Solinger Str. 4 . Er war mit Rahel Ruth, geb. 25.05.1891, verheiratet und hatte eine Tochter Mirjam, geb. 8.05.1921. Die letzte Postzustellung an ihn war am 10.09.1942 an das Sammellager Große Hamburger Straße gerichtet. Ob die Post ihn erreicht hat, ist unbekannt, denn 1942 floh er nach Belgien und lebte dort bis Kriegsende im Untergrund.
1945 – 1947 arbeitete er wieder als Lehrer an der Schule „Jessoda Thora“ in Antwerpen. 1947 ging er nach Palästina und war dort bis 1952 als Lehrer tätig. Ab 1955 arbeitete er aus gesundheitlichen Gründen als Berater in Entschädigungsangelegenheiten und Korrespondent für ein Berliner Anwaltsbüro. In seinen späteren Lebensjahren hat er Bücher über die Geschichte der Israelitischen Synagogengemeinde Adass Jisroel und über die Berliner Privatsynagogen geschrieben. Diese Bücher stellen wichtige Zeugnisse der Geschichte des Berliner Judentums dar. Über den Zeitpunkt seines Todes ist nichts bekannt.
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