Diese Ausstellung reihte sich in die Ausstellungen über Jüdisches Leben in Tiergarten ein, die wir in den vergangenen Jahren bereits gezeigt haben:
2019 Synagogen in Tiergarten
2019 Jüdische Ärzte und Apotheker in Tiergarten
2022 Zwischen Emanzipation und Assimilation. Jüdische Künstlerinnen und Künstler in Tiergarten
2022 Charlotte Berend-Corinth. Frau-Muse-Malerin.
2023 Vom Atelier zur Synagoge.
Sie war im Mai 2024 in der Hansa Bibliothek zu sehen.
Medienecho:
https://www.tagesspiegel.de/berlin/ein-berliner-haus-erzahlt-seine-geschichte-ausstellung-uber-die-menschen-aus-der-bruckenallee-33-11653265.html
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1182493.erinnerung-an-den-holocaust-tuer-an-tuer-im-hansaviertel.html
Inhalt:
Impressum
Danksagungen und Förderung
Geschichte der Ausstellung
Zur Geschichte des Hansaviertels
Zur Geschichte des Hauses Brückenallee 33,
Baumeister, Eigentümer, Verwalter, Mieter.
Adressbuch-Einträge, Pläne, Fotografien.
Auszug aus Manuskript von Ernst Freudenheim
(englischer Originaltext und deutsche Übersetzung).
Familie Freudenheim
Hermann Struck
Helmuth Johannes von Moltke
Friedrich von Ilberg
Gustav Adolf von Götzen
Joseph Herzfeld
Margarete von Keyserlingk und Robert von Keyserlingk
Josephine Levy-Rathenau und Max Levy
Joachim von Winterfeld
Kurt von Lersner
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Impressum
Eine Ausstellung von Gleis 69 e.V.
unter Mitwirkung von
Ulrike Berg-Dreithaler und
Ulrike Eisenberg
Idee und Redaktion Gleis 69 e.V.
Kuratiert von Gleis 69 e.V.
Design Martin Seidemann
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Danksagungen und Förderung
Einen herzlichen Dank an alle, die uns auf vielfältige Weise bei der
Vorbereitung dieser Ausstellung geholfen und unterstützt haben:
Auswärtiges Amt / Politisches Archiv
Ulrike Berg-Dreithaler
Bundesarchiv / Fotoarchiv
Brill Deutschland GmbH
Alexander Darda / Zeitreisen Berlin
Deutscher LandFrauenverband
DLG-Verlags-GmbH
Dr. Ulrike Eisenberg
Ev. Kirchengemeinde Tiergarten
Tom Freudenheim
Geheimes Staatsarchiv Berlin
Instituts für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin /
Charité Berlin / Bibliothek
Dr. Moritz von Ilberg
Prof. Dr. Christoph von Ilberg
Geheimes Staatsarchiv Berlin
Jüdisches Museum Berlin / Archiv
Landesarchiv Berlin / Fotosammlung
Stella Levy-Köhler
Jürgen Nürnberger
Max-Planck-Gesellschaft, Berlin / Archiv
Elisabetta Mina
Dr. Nora Pester / Hentrich & Hentrich
Dr. Anke Sawahn
Dr. Beate Schaaf
Patricia Schöler / Hansabibliothek
Prof. Dr. Joachim Schlör
Martin Seidemann
Lothar Semmel / Verein für die Geschichte Berlins
Staatsbibliothek Berlin / Fotoarchiv und Handschriftenabteilung
Dieter G. Maier
Wir bedanken uns ebenfalls für die Förderung durch die
Berliner Landeszentrale für politische Bildung
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Geschichte der Ausstellung
Auch die Ausstellung hat bereits eine eigene Geschichte.
2021 waren wir inmitten der Vorbereitung für die Ausstellung „Von der Emanzipation zur Assimilation. Jüdische Künstlerinnen und Künstler in Tiergarten“. In diesem Zusammenhang hatten wir auch zur Hermann Struck recherchiert, der ein Atelier in der Brückenallee 33 benutzte.
Über seinen Beitrag kamen wir in Kontakt zu Prof. Schlör von der Universität Southampton Er hatte bereits umfangreich über jüdisches Leben im Vorkriegsberlin geforscht und gab uns Einblick in ein Manuskript von Ernst Freudenheim.
Dieses Manuskript war in den Fünfziger Jahren in der Emigration in den USA entstanden und schilderte unter anderem das Leben in diesem herrschaftlichen Haus am Anfang des 20. Jahrhunderts. Darin erschienen neben der Familie Freudenheim, der damalige Generalstabschef, der Leibarzt des Kaisers und ein bekannter Maler und Zionist. Und nicht zu vergessen, die allgegenwärtige Familie Tornow. Diese Konstellation war für eine Ausstellung wie geschaffen. Insbesondere, da nach den ersten Recherchen weitere politisch und gesellschaftlich interessante Persönlichkeiten auftauchten.
Glücklicherweise vermittelte Prof. Schlör auch den Kontakt zu Tom Freudenheim, dem Sohn von Ernst Freudenheim, der uns sein Einverständnis für die Nutzung des Manukriptes gab. In der Folge half Joachim Schlör mit Unterlagen und den Ergebnissen eigener Recherchen weiter, ebenso Tom Freudenheim mit zahlreichen Bildern und Dokumenten aus dem Familienbesitz.
Stella Levy-Köhler und Dr. Nora Pester vom Verlag Hentrich & Hentrich stellten uns im weiteren Verlauf umfangreiches Bildmaterial der Familie Levy zur Verfügung.
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Zur Geschichte des Hansaviertels
Der zwischen Berlin und Charlottenburg gelegene Tiergarten diente ursprünglich als kurfürstliches Jagdgebiet. Im Laufe des 18. Jahrhunderts gestaltete der Baumeister Knobelsdorff auf Wunsch von Friedrich II. diesen Wald allmählich zu einem öffentlichen Park um. Er sollte den Bürgern der Residenzhauptstadt zur Erbauung dienen. An den Rändern entstanden neben einigen Gewerbebetrieben Sommervillen, aus denen sich im Verlauf des 19 Jahrhunderts schließlich bevorzugte Wohnquartiere wie das Tiergartenviertel entwickelten.
So nahmen Immobilieninteressenten mehrere Anläufe, um eine königliche Erlaubnis zur Bebauung der Schöneberger Wiesen zu erhalten. Ab 1874 entstand hier das Hansaviertel als bürgerliches Wohnviertel südlich der Spree am Rand des Tiergartens. Wegen seines gehobenen Niveaus war eine Gewerbeansiedlung verboten. Außerdem waren bei den Gebäuden nur zwei Stockwerke zugelassen. Sein charakteristisches Aussehen erhielt das Viertel durch eine vielfältig eklektizistische Architektur. Neben repräsentativen Stadtvillen gab es aber auch eine Blockrandbebauung mit Seitenflügeln und Hinterhäusern. Dementsprechend wohnten dort sowohl großbürgerliche Familien als auch kleine Angestellte und Handwerker.
1872 begann der Bau der Stadtbahn, die dieses Wohngebiet dann in Ost-West-Richtung durchschnitt, aber das Hansaviertel auch verkehrsgünstig an das Zentrum anschloss. Seine Bewohner erreichten den Bahnhof Bellevue teilweise in wenigen Minuten.
Die Brückenallee, die sich nach Westen an die Kirchstraße anschloss, galt als besonders bevorzugte Wohnlage.
Am 22. November 1943 wurden weite Teile des Hansaviertels bei einem Bombenangriff zerstört, darunter auch die Brückenallee fast vollständig und das Haus Nr. 33.
Nach dem Krieg wurde 1957 im Rahmen der Internationalen Bauausstellung der Straßenverlauf im Hansaviertel weitgehend verändert. Die Brückenallee wurde zu einem großen Teil aufgehoben. Das Haus
Nr. 33 stand etwa westlich des Theatersaals der Akademie der Künste.
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Zur Geschichte des Hauses Brückenallee 33
1892 errichtete der Regierungsbaumeister Georg Levy hier auf dem Grundstück Nr. 33 ein repräsentatives Mietshaus mit 8-Zimmer-Wohnungen im Vorderhaus, aber auch deutlich kleineren Wohnungen für bescheidene Ansprüche im Hinterhaus. Das Haus wies zur Straße hin ein eindrucksvolles Gitter und einer Auffahrt auf. Seine technische Ausstattung befand sich auf der Höhe der damaligen Zeit.
Es besaß eine Niederdruck-Dampfheizung und eine eigene Maschine mit Akkumulator für die Elektrizitäts-versorgung.
Eigentümer:
Die längste Zeit befand sich das Haus im Besitz der Familie von der Schulenburg, einer Familie aus brandenburgischem Adel, die seit dem 14. Jahrhundert bekannt ist. Nach 1923 kam es dann in den Besitz von zwei sizilianischen Advokaten.
1892 – 1893 Daniel Collin (1824 – 1910), Buchhändler A. Asher & Co und Verlagsbuchhandlung I. Guttentag, Rentier.
1897 – 1898 Georg Levy, Regierungsbaumeister. Er erichtete
1889 Hutfabrik Gattel mit Wohnhaus in der Prinzenallee 58 und später das Jugendstil-Geschäftshaus Tietz in der Klosterstraße und zahlreiche andere Gewerbebauten.
1899 – 1914 Luise Gräfin von der Schulenburg – Filehne.
L. geb. Freiin von Sobeck-Zarrentin (1836–1913) war die Erbin ihres Mannes Adelbert von der Schulenburg- Filehne. Nach ihrem Tod 1913 ging das Erbe auf Ihre Tochter Henriette (1856–1937) über, die auch von 1921 – 1925 in der Brückenallee 33 wohnte.
1915 Schulenburg Erben.
1916 – 1917 Burggräfin zu Dohna – Lauck
1918 – 1922 Schulenburg Erbe
1923 – 1937 Paolo Zingali Tetto (1879 – 1969), Rechtsgelehrter, Großgrundbesitzer, wohnte in einer großen Jugendstilvilla in Catania / Sizilien.
1938 – 1943 L. Patti, Advokat, Catania
Verwalter:
Die längste Zeit hatte die Familie Tornow diese Aufgabe. Danach trat dann ein häufiger Wechsel ein.
1892 – 1893 Werner, Portier, Eisenbahnbeamter
1897 A. Borck, Portier
1900 – 1923 F. Tornow, Maschinist
1925 W. Raggatz, Sekretär
1926 – 1927 E. Werdenbach
1928 – 1935 R. Glasar
1936 – 1938 Deutsch-Schwedische Interessenvertretung
1939 – 1943 Gesellschaft für Interessenvertretung
Mieter:
Die vier Mietparteien, die im Mittelpunkt des Manuskripts von Ernst Freudenheim stehen.
1901 – 1931 Hermann Struck, Maler und Graphiker (Atelier im 3.Stock)
1903 – 1906 Helmuth Johannes von Moltke, der jüngere, Generaloberst (Hochpaterre)
1905 – 1930 Familie Freudenheim (2. Stock)
Leopold Freudenheim 1905, +1926. Else Freudenheim und Ernst Freudenheim 1905-1930
1914 – 1917 Friedrich von Ilberg, Generalarzt, Leibarzt von Wilhelm II., + 1916. (1.Stock)
Des weiteren in zeitlicher Folge
1897 – 1929 Dr. Emil Passburg
1899 – 1901 Gustav Adolf von Götzen
1899 – 1900 Leopold von Kleist
1900 – 1902 Dr. jur. Joseph Herzfeld
1901 – 1927 Dr. phil. Ing. Max Levy und Josephine Levy-Rathenau + 1921
1907 – 1908 Robert und Margarete von Keyserlingk
1931 – 1934 Joachim von Winterfeld
1933 – 1943 Kurt von Lersner
Von den Bewohnern des Hinterhauses lässt sich anhand von fünfzig Jahrgängen des Berliner Adressbuches feststellen, dass sie mit ihren Persönlichkeiten durch die Kontinuität ihrer Anwesenheit dieses Haus wahrscheinlich am meisten geprägt haben. Anhand der Eintragungen in den Adressbüchern lassen sich die verschiedenen Lebensläufe nur erahnen. Hier sind dafür stellvertretend vier Familien aufgeführt.
Familie Hilbert 1897 – 1943
Von 1897-1921 ist E. Hilbert Kriminal-Schutzmann eingetragen,
1922 wird er zum Kriminal-Beir.Assistent befördert und
1925 tritt er als Kriminalassistent a.D in den Ruhestand. 1928 ist er offenbar bereits verstorben. Von
1928-1940 ist seine Frau A. Hilbert eingetragen. Nach ihrem mutmaßlichem Tod übernimmt von
1941-1943 möglicherweise die Tochter oder eine andere Verwandte, Lina Hilbert, Postassistentin, die Wohnung.
Familie Tornow 1900 – 1940
Von 1900-1923 hat Friedrich Tornow als Verwalter und Hauswart dieses Haus geprägt. In dieser Zeit war er auch für die aufwendige Technik des Hauses verantwortlich.
Seine Frau war an der Betreuung des Hauses beteiligt.
1925-1930 ist sie als A. Tornow, Witwe, eingetragen. Die Familie Tornow wird als sehr groß beschrieben. So finden sich in den nächsten Jahren Einträge von weiteren Familienmitgliedern
1920-1933 H. Tornow, Schlosser, Eisenbahnbeamter, Werkführer,
1932-1940 K. Tornow, Hauswart und
1933-1934 W. Tornow, Rentnerin.
Familie Neugebauer 1905 – 1943
Von 1905-1926 wohnte K. Neugebauer hier. Als Berufsbezeichnung ist Kontordiener eingetragen.
1927-1928 ist er offenbar aus dem Berufsleben ausgeschieden, es findet sich der Eintrag „Invalide“.
1928-1943 hat nach seinem Tod seine Frau B. Neugebauer dort weiter gewohnt.
Familie Schöppenthau 1908 – 1940
Von 1908-1915 ist W. Schöppenthau als Droschkenkutscher verzeichnet,
1916-1919 steht für ihn die Berufsbezeichnung Droschkenführer, er ist jetzt offenbar mit einer Motordroschke unterwegs.
1921-1925 arbeitet er als Logenschließer und setzt sich
1926 als Rentier zur Ruhe.
1930 tritt er noch einmal kurz als Schiffreeder auf.
1931 wird dann Elisabeth Schöppenthau als Kontoristin eingetragen,
1934-1935 arbeitet sie als Kontrolleurin und ab
1936-1940 als Aufsichtsdame.
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Adressbuch-Einträge, Pläne, Fotografien.
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Auszug aus den Berliner Adressbüchern:
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Da die Brückenallee in ihrem ursprünglichen Verlauf und das Haus Nr.33 als solches nicht mehr vorhanden sind, haben wir versucht, die Lage von Straße und Haus im heutigen Stadtraum zu vermitteln. Wir hoffen, dass es mit Hilfe der Stadtpläne, von Fotos und einer Luftaufnahme gelungen ist.
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Berliner Stadtpläne:
Ausschnitt Hansaviertel 1923
(roter Pfeil weist auf Lage des ehemaligen Hauses Brückenallee 33 hin).
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Ausschnitt Hansaviertel 1910
(roter Pfeil weist auf Lage des Hauses Brückenallee 33 hin).
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Ausschnitt Luftbild Geoportal Hansaviertel 1923
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Frühere Verlauf der Brückenallee : Sicht nach Süden
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Frühere Verlauf der Brückenallee : Sicht nach Norden
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Fotos aus der ehemaligen Brückenallee
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Bilder des ehemaligen Hauses Brückenallee 33
( zweite Haus von links)
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Auszug aus Manuskript, das Ernst Freudenheim (1904 – 1986) in den fünfziger Jahren verfasst hat (Übersetzung. – Englisches Original folgt).
Brückenallee 33 in Berlin war die Adresse, wo ich geboren bin und wo ich geheiratet habe. Diese Adresse war der Inbegriff meiner Heimat und meiner Jugend. Auch wenn die Bomben des zweiten Weltkriegs dieses Haus vollkommen zerstört haben, ebenso die Straße – und wenn Deutschland insgesamt in meiner Erinnerung ein Mahnmal für seine Unmenschlichkeit ist – muss ich doch die Geschichte dieses vierstöckigen Hauses beschreiben. Vom Parterre bis zum Atelier, gemeinschaftliches Leben war in unserem Haus eine Realität, von der niemand bis jetzt erfahren hat.
Das stattliche Haus stand von der Straße etwas zurückgesetzt. Dadurch gab es eine Auffahrt, die aber nur bei besonderen Gelegenheit benutzt wurde. Bei einer Hochzeit oder einem Begräbnis im Haus. Sonst war sie durch zwei eiserne Tore verschlossen. Einige Stufen führten hinauf zur Eingangstür und erlaubten so einen Blick in das vordere Zimmer der Portierswohnung. Von dort aus konnten die Portiers mit einem Blick feststellen, wer geklingelt hatte und das Haus betreten wollte.
Herr Tornow war als Hauswart für die Reparaturen zuständig, seine Frau dagegen führte gern mit den Besuchern Konversation, bevor sie ihnen die Tür öffnete. Da nicht so viele fremde Besucher ins Haus kamen, beschränkte sich die Unterhaltung auf die Nachfrage nach der Gesundheit und auf das Wetter. Oft auch auf die Gesundheit ihres jeweiligen Babys, das sie gerade stillte. Tornows waren eine große Familie, und so habe ich Frau Tornow nur mit aufgeknöpfter Bluse in Erinnerung. Der oberste Knopf musste schon seit langem verloren gegangen sein. Eine andere Hauswartsfamilie haben wir während unserer Zeit in der Brückenallee 33 nicht erlebt.
Von der Haustür führten weitere Stufen zur Wohnung im Hochparterre. Dort wohnte Generalfeldmarschall von Moltke mit seiner Familie. Sein Rang entsprach einem amerikanischen Fünf-Sterne- General. Er war einer der militärischen Führer der kaiserlichen Armee im ersten Weltkrieg. Diesen Krieg haben die Deutschen verloren.
Im ersten Stock lebte Dr. von Ilberg, Leibarzt von Kaiser Wilhelm II. . Auch Ärzte werden einmal krank. Und wenn dieser Fall eintrat, kam der berühmte Patient, der Kaiser, mit der Kaiserin Augusta zu Ilberg auf einen Krankenbesuch. Dann wusste jeder im Haus . . der Kaiser kommt. Meine Schwester Lilli und ich standen auf dem Treppenabsatz. Und wenn dann das kaiserliche Paar vorbeiging, knickste meine Schwester und ich salutierte. Darauf hielt der Kaiser an, schüttelte uns die Hand und fragte nach den Namen, bevor er weiter hinaufstieg. Dabei zeigte er aber keine erkennbare Ablehnung wegen des jüdischen Klanges unseres Namens.
Dieses alte herrschaftliche Haus hatte noch keinen Fahrstuhl. Trotz der für die alten Leute beschwerlichen Stufen war es auch nachträglich undenkbar, dass das großzügig weite Treppenhaus mit einem Fahrstuhl hätte verunstaltet werden können.
Geschichtsbücher vermitteln große Linien und Schlüsselereignisse, die zu Änderungen in der Regierungsform und zum Wechsel bei den Machthabern geführt haben. Geschichte persönlich in ihren Trends und Wechseln zu erleben, wie die Elterngeneration der Familie Freudenheim, ist schon eine besondere Erfahrung. Wir erinnern uns an die Kaiserzeit vor dem ersten Weltkrieg und an den Patriotismus unserer Eltern als Deutsche. Wir erinnern uns an die persönlichen und die finanziellen Beiträge aus diesem Patriotismus heraus, die unsere Familie und der Freundeskreis geleistet haben. Und wir taten es im Bewusstsein, Juden zu sein und deswegen für das Kaiserreich kämpfen zu dürfen, ohne je den Offiziersrang erreichen zu können. Auch die Titel, die Juden in der Industrie erhielten, waren teuer zu bezahlen. Aber die Aufforderung an meinen Vater, für ein Kirchenfenster zu spenden, wies dieser klar zurück.
Nach dem verlorenen Krieg und einem geflüchteten Kaiser verwandelte sich Deutschland in die Weimarer Republik. Viele Juden übernahmen dort Regierungsverantwortung. In dieser Zeit sank die Moral. Die territorialen Abtretungen an die Sieger und der Verlust der deutschen Währung ließ das Land in einen Taumel geraten, nur um sich nicht der Realität stellen zu müssen. Gleichzeitig war es die Zeit der kulturellen Spitzenleistungen, wobei die Künstler die besten Leistungen unter Drogen schufen.
Inflation, Arbeitslosigkeit, kein Geld, um einzukaufen und keine Beschäf-tigung, um sein Leben fristen. Das waren die Voraussetzungen für eine Revolution oder Machtübernahme durch Leute, die es besser machen wollten, aber erfolglos blieben. Auf den Trümmern einer gescheiterten Wirtschaft wurde das Tausendjährige Reich der Nazis errichtet. Es dauer-te gerade einmal zwölf Jahre, stellte aber Europa auf den Kopf, ebenso einen Großteil von Asien und von Nordafrika. Der zweite Weltkrieg betraf fast jedes Land auf der Erde, sei es als Kriegsteilnehmer, sei es als Waffenlieferant oder als Ziel für Flüchtlinge aus politischen oder religiösen Gründen.
Vor diesem historischen Hintergrund schildere ich unsere Familiengeschichte. Ich erinnere mich an Hermann Struck, einen berühmten Berliner Künstler und Freund der Familie. Er war ein orthodoxer Jude und mit dem Zionisten Theodor Herzl befreundet. Er hatte sein Atelier in unserem Haus mit seiner lebendigen Gemeinschaft, in die ich hineingeboren wurde. Im Hochparterre lebte Generalfeldmarschall von Moltke, des Kaisers Kriegsplaner. Im ersten Stock Dr. von Ilberg, des Kaisers Leibarzt. Im zweiten Stock lebten die Freudenheims, eine gutsituierte Kaufmannsfamilie. Über uns befand sich dann Hermann Strucks Atelier, das sich nicht über das ganze Stockwerk erstreckte.
Im Krieg arbeitete Struck als Berater für die deutsche Regierung und nahm die Interessen der polnisch-russischen Juden wahr. Da zu dieser Zeit Polen als Land nicht bestand, galten diese Juden als russische Staatsangehörige. Hundert Jahre zuvor gab es dort das polnische Königreich, dann nach dem ersten Weltkrieg die zweite polnische Republik. Während der Vorkriegs-Pogrome in Osteuropa wanderten viele Juden in die USA aus. Auf dem Weg nach Hamburg und Bremerhaven legten sie in Berlin eine Pause ein. Viele kamen dann auch zu Struck, um sich bei ihrer Auswanderung beraten zu lassen. Bei dieser Gelegenheit
fertigte Struck von den Auswanderern auch wundervolle Graphiken an.
Während die Vätergenerationen deutsche Patrioten waren und Mitglieder im Reichsverband deutscher Staatsbürger Jüdischen Glaubens, entwickelten die Einwanderer aus dem Osten zionistische Ideen, die außerhalb der Gedankenwelt unserer Eltern lagen.
Durch Struck wurde mein Interesse sowohl an seinen graphischen Arbeiten als auch am Zionismus geweckt. Während ich begriff, dass die Flüchtlinge allein wegen ihres Judentums verfolgt wurden, hätte ich mir nie vorstellen können, dass ich mich zwanzig Jahre später in derselben Situation wiederfinden würde. Während ich mich auf meine Bar Mizwa vorbereitete, wurde ich mir meines Judentums nachhaltig bewusst und beschäftigte mich mit allen Entwicklungen auf der Welt, die Juden betrafen. Während dieser Zeit erfolgte am 2. November 1917 die Bekanntgabe der Balfour Declaration. Darin unterstützte die Regierung Ihrer Majestät des Vereinigten Königreiches die Schaffung einer Heimstatt für Juden. Das war der erste Schritt, der zur Teilung Palästinas durch den UN-Beschluss am 29. November 1947 führte. Ein Teil sollte den Juden gehören, der andere den Arabern. Die Juden stimmten zu, die Araber nicht. Ich hoffe, dass ich später in dieser Familiengeschichte die Entwicklung des Zionismus und der jüdischen Geschichte beschreiben kann.
Meine zweite Frau Margot wuchs in der oberschlesischen Stadt Beuthen an der polnischen Grenze auf. Sie war nicht nur eine deutsche Patriotin sondern in diesen unruhigen Zeiten auch eine antipolnische Aktivistin. Sie warf sogar Bomben auf Polen. Heute würde man sie als Terroristin bezeichnen. Auch heute sehen wir Jugendliche mit Waffen dafür kämpfen, was sie für ihr Recht halten. Ewas später bildete Margot Jugendliche in einem orthodox und zionistisch geprägten Lager aus. So entstand unsere Nähe zum Zionismus und weniger zur Orthodoxie, auch weil wir durch den Kampf fürs Überleben keine Zeit fürs Thora- und Talmud-Studium hatten. Wir waren auf praktisches Handeln ausgerichtet und akzeptierten unser jüdisches Schicksal.
Ich hatte kurz vor dem Machtantritt Hitlers das erste Mal geheiratet, und unser erster Hochzeitstag war durch die NS-Boykottaktionen im April 1933 überschattet. Vor jedem jüdischen Laden, jeder Fabrik, jedem Büro standen SA-Leute in ihrer braunen Uniform und hinderten Kunden am Betreten. Die SA war ein Weg, Arbeitslose in Beschäftigung zu bringen. Unter diesen bedrohlichen Wolken am Horizont der deutschen Juden gelang es uns in beschränktem Umfang, uns auf die Auswanderung vorzubereiten.
Jüdisches Leben gab es weiterhin trotz immer stärker werdenden Restriktionen und Gesetze. Die Nürnberger Gesetze von 1935 legten aber eindeutig offen, worin die Pläne des Regimes bei der Lösung der Judenfrage bestanden.
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Auszug aus englischem Original-Manuskript, das Ernst Freudenheim (1904 – 1986) in den fünfziger Jahren verfasst hat. ( Deutsche Übersetzung sie oben).
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Familie Freudenheim
Vater Leopold (Lippmann) (6.7.1852 Samter [Szamotuły / Polen]- 16.8.1926 Berlin),
Mutter Else, geb. Friedländer (7.6.1877 Berlin – 2.5.1970 San Francisco / CA USA),
Tochter Lilli (28.3.1903 Berlin – 9.10.1993 San Mateo / CA USA),
Sohn Ernst Simon Nathan Freudenheim (19.12.1904 Berlin – 9.12.1986 Buffalo / NY USA),
Enkeltochter Margit (17.6.1928 Berlin – nach 6.11.1942 Auschwitz),
Enkelsohn Robert Leopold (31.3.1934 Stuttgart – 22.5.2023 Buffalo / NY USA),
Enkelsohn Tom Lippmann (3.07.1937 Stuttgart, jetzt New York, NY).
Ernst Freudenheims (EF) Vater Leopold zog 1870 aus Samter in die Reichshauptstadt Berlin, bald gefolgt von seinen vier Brüdern und seiner Schwester. Dort konnten sie sie einen erfolgreichen Holzhandel gründen.
Möglicherweise war Leopold auch als Lieferant am Bau des Deutschen Reichstags beteiligt. 1902 heiratete er Else. 1903 kam ihre Tochter Lilli Ernestine zur Welt.1904 zog die Familie dann in das Haus Brückenallee 33. Dort wurde im Dezember 1904 Ernst geboren. Er hat später im Alter das Leben in diesem herrschaftlichen Haus beschrieben, so wie es ihn in seiner Jugend geprägt hat (s. Textauszüge).
Um 1917, in der Zeit seiner Bar Mizwah, besuchte die Familie die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße, wenn auch nur zu den hohen Festtagen. Sie hatten dort einen reservierten Sitz, den EF nach dem Tod seines Vaters Leopold erbte.
In der Brückenallee 33 entwickelte sich auch die Freundschaft mit dem über dreissig Jahre älteren Hermann Struck. Struck weckte EFs Interesse an seinen graphischen Arbeiten, gleichzeitig aber auch am Zionismus und dem Schicksal des osteuropäischen Judentums. EF besuchte damals das Luisengymnasium in der Wilsnacker Straße. Ernst Boris Chain war dort sein Schulkamerad.
Bewusst erlebte EF am 2.November 1917 die Bekanntgabe der Balfour Declaration durch die englische Regierung mit. Seine Familie war patriotisch gesinnt und unterstützte das Deutsche Kaiserreich im Ersten Weltkrieg – auch wenn für Juden Offiziersränge nicht erreichbar waren.
Nach dem Krieg baute EF einen Handel mit altjüdischer Kunst auf und hatte ein Geschäft in der Kurfürsten- str. 99 / Ecke Budapester Straße, direkt gegenüber vom Elefantentor des Zoologischen Garten. Ein Album mit Abbildungen seiner wertvollen Stücke hat sein Sohn Tom später der University of California Berkeley geschenkt.
Die Familie erlebte die politischen Umbrüche und wirtschaftlichen Wirren der Weimarer Republik. 1926 starb Vater Leopold.
1927 heiratete EF Daisy Henschel (18.11.1905 Berlin – nach 6.11.1942 Auschwitz) aus einer angesehenen Berliner Familie gegen den Widerstand seiner eigenen Familie. 1928 kam ihre Tochter Margit auf die Welt. 1930 trennten sich EF und Daisy. Ihrer beider Persönlichkeiten waren doch zu verschieden. Nach der NS-Machtergreifung flüchtete Daisy mit der Tochter Margit nach Frankreich. Ein Brief, den sie 1940 an EF schrieb, erreichte ihn erst Jahre später. Darin berichtet sie von ihren vergeblichen Versuchen, nach Palästina oder den USA auszuwandern.
Offenbar kamen diese Versuche zu spät. So wurden Daisy und Margit am 6.11.1942 von Drancy nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
1930 zog EF nach Stuttgart und gab gleichzeitig die Wohnung in der Brückenallee 33 auf. 1932 heiratete er in zweiter Ehe Margot Ruth, geb. Freund (3.10.1906 Bytom/Polen – 8.12.1999 Buffalo / NY USA). Margot war nicht nur eine deutsche Patriotin, sondern auch ein aktive Kämpferin gegen die polnischen Gebietsansprüche in Oberschlesien. Das reichte bis zum Bombenwerfen. Später bildete sie Jugendliche in einem jüdisch-orthodox und zionistisch geprägten Lager aus und bereitete sie auf die Auswanderung nach Palästina vor.
So entwickelten beide eine gemeinsame Beziehung zum Zionismus. In Stuttgart übernahm EF verschie-denste Funktionen in der jüdischen Community und auch in einem jüdischen Sportverein. Gleichzeitig kümmerte er sich darum, jüdische Jugendliche aus dem Gefängnis freizubekommen, die dort nach den Nürnberger Gesetzen wegen des Vorwurfs der „Rassenschande“ festgehalten wurden.
1934 wurden Robert Leopold, sein erster Sohn, geboren, 1937 sein zweiter, Tom Lippmann.
1936 reiste EF zum ersten Mal nach Palästina, um dort die Möglichkeit, eine neue Existenz aufzubauen, einzuschätzen. Der Aufbau einer Gummifabrik mit den Elbegummi-Werken der Familie Gumpel zerschlug sich, da es kurz darauf zum arabischen Aufstand kam, der sich bis zum Kriegsbeginn hinzog.
Inzwischen war seine Familie in die Schweiz emigriert. Nach einer Reise durch Nord-und Südamerika ent-schloss sich die Familie, nach San Francisco zu gehen. Dort hätten sie zusammenbleiben können. Als Zionisten war ihnen klar, dass in Palästina in erster Linie Leute für die Landwirtschaft gebraucht wurden. Aber auf der Fahrt nach San Francisco blieben sie schließlich 1937 in Buffalo NY hängen. Und dort lebten sie auch in der nächsten Generation.
Anfang 1937 war es während der wirtschaftlichen Depression für EF schwierig, in Buffalo Fuß zu fassen. Erst die Neugründung einer Import-Firma für Halbedelsteine ermöglichte ihm den Nachweis, dass er seine Familie in den USA ernähren konnte. Daraufhin gelang es EF nach einem halben Jahr, seine Familie zusammen mit dem Kindermädchen Inge Pick nachzuholen. Anfangs war das ein entbehrungsreiches Leben.
Neben seinen Verpflichtungen in der Firma nahm EF viele Aufgaben für zionistische Organisationen als Redner, Spendensammler und Funktionär wahr. Auch drei jüdischen Pflegekindern aus Deutschland boten sie während des Krieges ein neues Heim. Auf Grund ihres politischen Engagements – Margot war Präsidentin des Buffalo Hassadah Chapter, EF Mitglied der Nationalen Exekutive der Zionist Organization of America (ZOA) – verfolgten beide aufmerksam die Entwicklung in der Welt und in Palästina. So feierten sie 1947 den UN-Beschluss zur Teilung Palästinas
Jerusalem (Israel) Photographs;Eretz Israel History Partition, 29. November 1947. Levin, Moshe Marlin /Meitar Collection / Israelische Nationalbibliothek / The Pritzker Family National Photography Collection. CC BY 4.0
und schmuggelten Waffen aus Kanada nach New York zur Unterstützung der Haganah in Palästina. Damals waren beide gerade eingebürgert worden. Wären sie bei dem Waffenschmuggel gefasst worden, hätten sie auf jeden Fall ihre gerade erst erworbene US-Staatsbürgerschaft verloren.
Während des Zweiten Weltkrieges gelang es EF nur unter großem Aufwand, mit dem Handel in Halbedelsteinen die Existenz der Familie zu sichern. Erst nach dem Krieg war es ihm möglich, die Firma wieder wirtschaftlich sicher aufzustellen. Auf Geschäftsbeziehungen nach Deutschland verzichtete er vollständig. Dafür konnte er neue Kontakte zu Lieferanten in allen Gegenden der Welt aufnehmen.
Kurz nach seiner Einwanderung 1938 waren Schwester Lilli und ihre Familie ebenfalls emigriert und hatten sich zusammen mit Mutter Else in San Francisco angesiedelt. 1947 gelang es EF zum 70. Geburtstag seiner Mutter zum ersten Mal, diesen Teil der Familie in Kalifornien zu besuchen.1986 starb EF in Buffalo NY.
Tom Lippmann hat nach einer akademischen Ausbildung als Kunsthistoriker in verschiedenen amerikanischen Museen, wie den Smithonian`s und anderen Bildungseinrichtungen gearbeitet, war aber auch 1998 stellvertretender Direktor im Jüdischen Museum Berlin. Er lebt jetzt in den USA.
Sein älterer Bruder Robert Leopold hat im Elternhaus in Buffalo wie sein Vater eine Kunstgalerie geführt.
Das 1906 gebaute Haus war von 1939 bis 1958 im Besitz der Familie Freudenheim. Ernst Freudenheim betrieb hier seinen Edelsteinhandel. In den Vierziger Jahren beherbergte er häufiger Flüchtlinge aus Europa im zweiten Stock des Hauses. Von 1964 bis 1973 gehörte das Haus noch einmal EFs Sohn Robert.
Bilder der Familie Freudenheim
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Hermann Struck 1876 – 1944
Hermann Struck, der seine Werke auch mit Chaim Aharon Ben David signierte, wurde in eine wohlhabende, jüdisch-orthodoxe und kinderreiche Berliner Familie geboren. Die Eltern besaßen in der Kottbuser Straße in Neu-Kölln eine Holzhandlung. Die Familie gehörte der Israelitischen Religionsgesellschaft Adass Jisroel an, die als Gegenbewegung zum liberalen deutschen Judentum gegründet worden war.
Er besuchte das Friedrichs-Gymnasium und hätte wie sein Großvater Rabbiner werden sollen, durfte aber aufgrund seiner künstlerischen Begabung Malerei studieren. In seinen Zwanzigern verband HS den jüdischen Glauben mit der Idee des Zionismus. 1894 war er einer der Gründer von Bar Kochba, dem ersten jüdischen Sportverband in Deutschland.
Parallel zu seiner künstlerischen Arbeit engagierte HS sich in zionistischen Kreisen und nahm 1901 am Fünften Zionistischen Weltkongress teil. Dort wurde die Mizrahi-Bewegung gegründet, die die Kluft zwischen orthodoxem Judentum und säkularem Zionismus überbrücken sollte. HS war einer der Aktivisten dieser Bewegung.
Gleichzeitig entwickelte er sich zum einflussreichen Graphiker und wurde 1904 Mitglied der Berliner „Secession“. Sein 1908 erschienenes Lehrbuch Die Kunst des Radierens gilt bis heute als Standardwerk. Auch Lovis Corinth, Marc Chagall, Max Slevogt und Max Liebermann ließen sich von HS in den Techniken des Radierens und der Lithographie unterrichten1903 nahm HS an einer ausgedehnten Reise nach Palästina teil, die im Auftrag Herzls stattfand und das Ziel hatte, Siedlungsmöglichkeiten im Land zu erkunden.
Neben diesen zionistisch motivierten Aktivitäten blieb HS einerseits orthodoxer Jude, der aber andererseits auch das gesellschaftliche Leben in Berlin schätzte. Und HS vereinte nicht nur Orthodoxie und Zionismus in seiner Person, sondern auch Jude Sein und national gesinnter Deutscher.
1915 meldete sich der 39-Jährige freiwillig zum Wehrdienst. Er arbeitete zunächst in der Presseabteilung des Heeres als Übersetzer und Zensor im vom Deutschen Kaiserreich besetzten Gebiet in Osteuropa. Hier, in Kowno, begegnete HS unter anderen Arnold Zweig, Richard Dehmel, Viktor Klemperer und Karl Schmitt-Rottluff.
HS war für den Kontakt zur jüdischen Bevölkerung zuständig, lernte dabei mit großer Empathie das Ostjuden-tum kennen. 1917 wurde er auf seine Bitte an die russische Front versetzt.
Nach dem Krieg nahm Struck im Auftrag der deutschen Regierung als Experte für jüdische Angelegenheiten an der Friedenskonferenz in Versailles teil. Viele Bilder von Landschaften und Städten entstanden in der Kriegszeit und auf Strucks zahlreichen Reisen. Vor allem aber war er ein großer Porträtist.
Die Kriegszeit war für ihn eine sehr kreative Phase, in der er über 400 Werke schuf. In seinen Bildern dokumentierte er das jüdische Leben im Osten. Eine Auswahl erschien mit einem erläuternden Text von Arnold Zweig in dem Buch Das ostjüdische Antlitz.
Später porträtierte er Kriegsgefangene aus den französischen und britischen Kolonien. 100 dieser Bilder wurden 1917 in dem Buch Kriegsgefangene. Hundert Steinzeichnungen von Hermann Struck veröffentlicht.
HS porträtierte aber auch zahlreiche bekannte Persönlichkeiten – besonders verbreitet in zionistischen Kreisen war sein Porträt Theodor Herzels.
1920 heiratete Hermann Struck Mally Streisand, die seine Sekretärin in Kowno gewesen war. Er lebte zwischen 1901 und 1931 im Haus Brückenallee 33, wo er sich Gesprächsräume in seinem Atelier einrichten ließ, denn er war ein oft konsultierter Ratgeber in künstlerischen und gesellschaftlichen Fragen. Der Literaturkritiker Alfred Kerr und der Schauspieler Alexander Granach gehörten zu diesem Kreis.
Im Dezember 1922 wanderten HS und seine Frau nach Palästina aus, wobei es ihm zugute kam, dass er schon Hebräisch und Englisch beherrschte. Er spielte auch in Palästina eine wichtige Rolle im sozialen und kulturellen Leben, insbesondere in Haifa.
1925 zog das Ehepaar in ein drei-stöckiges Haus, das der Architekt Alexander Baerwald, ein Schulfreund, für sie entworfen hatte. Das Grundstück hatte HS bereits vor dem Ersten Weltkrieg gekauft. Es liegt heute mitten in bebautem Gebiet in Haifa und wird als Hermann Struck Museum genutzt. Die Ehe mit Mally blieb kinderlos.
HS blieb in Kontakt mit seinen Freunden in Berlin, behielt sein Domizil in Tiergarten und verbrachte dort bis 1933 jeden Sommer
In Palästina engagierte HS sich in verschiedenen künstlerischen Initiativen, aber er hatte keine eigene Aus-stellung mehr. Als Lehrer für die graphischen Techniken jedoch war er sehr gefragt. Sein Haus war immer voll von zahllosen Besuchern und Bittstellern. Insbesondere vor dem Zweiten Weltkrieg verschaffte er vielen deutschen Juden Einwanderungserlaubnisse.
Am 11.01.1944 starb HS in Haifa an einem chronischen Nierenleiden. Tausende nahmen an seiner Beerdigung teil.
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Helmuth Johannes Ludwig von Moltke, der Jüngere, 1848 – 1916
Helmuth „Helly“ Johannes Ludwig von Moltke, genannt Moltke der Jüngere, zählt zu den fragwürdigsten Persönlichkeiten des 1918 untergegangenen Kaiserreichs. Der Generalstabschef gilt als einer der zentralen Kriegstreiber im Vorfeld des Ersten Weltkrieg (1914-1918) und war für die Niederlage Deutschlands mitverantwortlich. Umstritten ist er bis heute auch wegen seiner reaktionären und antidemokratischen Einstellung sowie rassistischen Haltung, vor allem gegenüber den slawischen Völkern.
Moltke wurde 1848 in Gersdorf (Mecklenburg) geboren. Er war der Neffe des preussischen General-feldmarschalls Helmuth Karl Bernhard Graf von Moltke (1800-1891), des Älteren, einem der bedeutendsten Heerführer und Kriegshelden seiner Zeit.
Seine militärische Laufbahn wurde bereits durch seine Herkunft geprägt und war auf eine erfolgreiche Karriere ausgerichtet, die kurz nach seiner Fähnrichsprüfung 1869 im Grenadier-Regiment „König Wilhelm I.“ begann, mit dem er auch im Deutsch-Französischen Krieg kämpfte. Nach der Ausbildung zum Generalstabsoffizier 1875-78 an der Kriegsakademie Berlin wurde er 1880 Mitglied des Großen Generalstabes. Zwei Jahre später machte ihn sein Onkel zu seinem Adjutanten, den er auf zahlreichen Reisen und bei verschiedenen gesellschaftlichen Anlässen begleitete. Es folgten elf Jahre im engsten Umfeld des Kaisers Wilhelm II.,
mit dem ihn ein persönliches und freundschaftliches Verhältnis verband. Nach dem Tod seines Onkels ernannte ihn der Kaiser 1891 zu seinem Flügeladjutanten, 1893 übernahm er das Kommando der Schloßgarde. Nach seiner Beförderung zum Generalmajor 1902 setzte ihn Wilhelm II. als Generaladjutanten und Kommandeur der 1. Division des Gardekorps ein.
1906 wurde er zum Chef des Großen Generalstabes berufen – als Nachfolger Alfred von Schlieffens. Als enger Vertrauter des Kaisers fiel die Wahl auf ihn – ein Amt und eine Bürde, die er selbst jedoch nicht angestrebt hat.
Das preussische Kriegsministerium hatte inzwischen die Aufrüstung und massiver Verstärkung der Armee beschlossen. Die Reichsleitung um Wilhelm II. glaubte, mit dem 1905 formulierten und von Moltke überarbeiteten so genannten „Schlieffen-Plan“ eine Strategie für einen militärischen Sieg gegen Frankreich und Russland zu besitzen. Demnach sollte zunächst Frankreich angegriffen und rasch geschlagen oder zumindest geschwächt werden, um dann einen Feldzug gegen Russland zu führen.
Nicht nur die Militärführung sah sich durch die „Triple Entente“, dem 1904 aus Frankreich und Russland geschlossenen und 1907 um Großbritannien erweiterten informellen Bündnis gefährlich „eingekreist“. Für die drei Staaten war es ein defensiver Pakt gegen ein unkalkulierbares und tendenziell gefährliches Deutschland. Moltke hielt einen „großen Krieg“ für unvermeidbar und avancierte spätestens 1911 zum stärksten Befürworter eines „Präventionskriegs“, bevor die Gegner noch stärker würden.
Aber auch in der erstarkenden Sozialdemokratie sah er ein Hindernis. „Je eher, desto besser“ lautete seine Maxime. Die „Julikrise“ 1914 nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand
diente letztendlich als willkommener Vorwand.
Die Kriegspläne wurden voran getrieben. Moltke ermunterte den österreichischen Stabschef am 31. Juli 1914 zur Generalmobilmachung. Gleichzeitig stellte Deutschland Russland und Frankreich Ultimaten. Einen Tag später erklärte Deutschland Russland den Krieg, zwei Tage später auch Frankreich. Über das Reich wurde der Ausnahmezustand verhängt. Nach Ansicht der meisten Historiker*innen trägt Deutschland die Hauptschuld für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
Schon im September 1914 kam der Vormarsch der deutschen Armee rund 50 Kilometer vor Paris an der Marne zum Stehen. Moltke gab die verlustreiche Schlacht verloren und ordnete den Rückzug an. Seine Rechnung ging nicht auf. Er erlitt einen Nervenzusammenbruch und wurde von Wilhelm II. als General-stabschef abgesetzt. 1916 erlag er im Berliner Reichstag einem Schlaganfall.
Text:
Generaloberst Helmuth von Moltke
Chef des Großen Generalstabes
23.5.1848 – + 18.6.1916
Eliza von Moltke
geb. Gräfin Moltke-Huitfeldt
20.5.1859 – + 29.5.1932
1903 – 1906 wohnte Moltke in der Brückenallee 33.
Verheiratet war er seit 1878 mit Eliza von Moltke-Huitfeldt, die in spirituellen Kreisen verkehrte, zuhause Séancen abhielt und eine der ersten Schülerinnen von Rudolf Steiner war. Moltke selbst beschäftigte sich zwar mit dessen Lehre, blieb aber beim Christentum.
Nach seinem Tod hielt Steiner die Gedenkrede im Generalstab.
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Friedrich Wilhelm Karl von Ilberg 1858-1916
Friedrich (Fritz) Wilhelm Karl Ilberg wohnte mit seiner Familie 1914 und 1915 in der Brückenallee 33. Der erste dort geschriebene Brief datiert vom August 1914; die Briefe von 1915 haben dieselbe Adresse. 1916 schreibt er aus der Lyckallee 24, bis 1913 aus Alt-Moabit 89.
Ilberg wurde am 10.08.1858 in Crossen an der Oder (heute Krosno Odrzanskie) als Sohn des Kreisgerichtsrats Christoph August Adolf Ilberg und seiner Frau Louise Franziska, geb. von Muschwitz, geboren.
Er studierte von 1878 bis 1882 am Friedrich-Wilhelms-Institut (später Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen) in Berlin und promovierte 1882. Es schloss sich eine militärärztliche Laufbahn an: Seit September 1883 war Ilberg Assistenzarzt im Dragoner-Regiment Nr. 15, wurde 1887 Oberarzt im Garde-Kürassier-Regiment, 1889 Stabsarzt im Infanterie-Regiment 84 und trat 1887 in die Berliner Militärärztliche Gesellschaft ein. Von September 1890 bis September 1893 war er an die 1. Medizinische Klinik der Charité kommandiert. Dort publizierte er 1892 über die Pachydermie, eine Verhornung der Stimmlippenschleimhaut, und zeigte damit bereits ein Interesse an der Laryngologie.
Danach diente er im Garde-Füsilier-Regiment und heiratete im Oktober 1893 in Magdeburg die 15 Jahre jüngere Margarete Johanne Emilie (1873-1943), geb. Liebau, Tochter eines Ritterguts- und Fabrikbesitzers. Beide waren evangelisch. Das Paar wohnte in Alt-Moabit 89. In den nächsten Jahren wurden vier Kinder geboren: Adolf Hermann Konrad (1894-1963), Dorothea Franziska Pauline (1895-1986), Friedrich Wilhelm Wolfgang August Viktor (1898-1935) und Margarete Ehrentraut (1901-1960).
Am 27.01.1897 wurde Ilberg zum stellvertretenden Leibarzt des nur ein Jahr jüngeren Kaisers Wilhelm II (1859-1941) ernannt und stieg zwei Jahre später zum 2. Leibarzt und am 05.12.1905 zum 1. Leibarzt auf.
Empfohlen wurde Ilberg 1897 von Rudolf von Leuthold (1832-1905), der seit 1888 kaiserlicher Leibarzt war. Alle drei Leibärzte des Kaisers besaßen einen militärischen Rang, wie auch der Kaiser nach Familientradition militärisch erzogen und ausgebildet worden war. Möglicherweise war auch Ilbergs Interesse für die Laryn-gologie für seine Ernennung mitentscheidend, denn sowohl der Vater als auch ein Onkel des Kaisers waren an Kehlkopfkrebs gestorben, sodass die Angst vor dieser Krankheit den Kaiser zeitlebens plagte.
Wissenschaftlich war Ilberg zwar selbst kaum aktiv, war aber bis in höchste Stellen vernetzt und nahm wichtige Positionen in wissenschaftlichen Gesellschaften ein. So war er ab Oktober 1904 etatmäßiges Mitglied des Wissenschaftlichen Senats der militärärztlichen Kaiser-Wilhelms-Akademie.
1907 wurde er Mitglied des Gründungsvorstands der Robert-Koch-Stiftung zur Förderung der Tuberkuloseforschung – wohl auf Initiative des preußischen Ministerialdirektors Friedrich Althoff.
1912 wurde er zum Vorsitzenden des Kuratoriums des neu zu gründenden Kaiser-Wilhelm-Instituts für experimentelle Therapie berufen – eines der ersten Institute der 1911 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft für die Förderung der Wissenschaften. Bei der Eröffnung des Instituts Ende Oktober 1913 trat er zwischen dem Kaiser und Adolf von Harnack (1851-1930), dem Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, auf.
Seine Funktion als Generalarzt und Korpsarzt des Gardekorps in Berlin konnte er als Leibarzt kaum ausfüllen. Denn er war fast ständiger Begleiter des Kaisers, auf Reisen, bei abendlichem Bankett, bei Treffen mit internationalen Politikern und Geschäftsleuten. Aus dieser Zeit stammen noch einige Reiseandenken aus China und Skandinavien, die sich im Familienbesitz befinden.
Die kaiserlichen Leibärzte betreuten nicht nur den Kaiser, sondern auch seine „engere Entourage“. Zu Ilbergs Aufgaben gehörte auch, dass er für die Behandlung des Kaisers die besten Spezialisten nach Berlin holte. So operierte 1903 Gustav Spieß (1862-1948), ein berühmter Frankfurter Rhino-Laryngologe, den Kaiser an einem Stimmbandpolypen. Die Familien Ilberg und Spieß freundeten sich an, und 1927 heiratete Wera Spieß (*1906) Ilbergs jüngeren Sohn August Viktor, der ebenfalls Laryngologe wurde, aber schon 1935 starb. Sein Sohn Christoph von Ilberg führte später als Ordinarius für HNO-Heilkunde und Direktor der HNO-Universitätsklinik in Frankfurt die Familientradition fort.
Ilberg wurde mit insgesamt mehr als 50 in- und ausländischen Orden ausgezeichnet, darunter 1899 mit dem Ritterkreuz 1. Klasse. Die wohl höchste Auszeichnung war Ilbergs Nobilitierung am 27.01.1908 auf Initiative des Kaisers.
Im Ersten Weltkrieg war von Ilberg in seiner Funktion als Leibarzt auch Mitglied des Großen Hauptquartiers, das vom Chef des Generalstabs geleitet wurde. Allerdings muss er bereits 1915 so schwer erkrankt sein, dass er nicht mehr am Krieg teilnehmen konnte. Stattdessen wurde ihm verordnet, von Ende Mai „bis November oder Dezember Aufenthalt auf dem Lande zu nehmen“. Seine Tochter Dorothea, frisch gebackene Hilfs-schwester, durfte auf Bitten von Ilbergs bei Martin Kirchner (1854-1925), dem Ministerialrat für Medizin, ihr Staatsexamen vorzeitig ablegen, um ihn begleiten zu können.
Noch nicht 58 Jahre alt, starb von Ilberg am 8. Juli 1916 nachmittags um halb drei „infolge eines Herzleidens“ in der damaligen Wohnung der Familie in der Lyckallee 24, nahe der Charlottenburger Heerstraße. Seinen Tod meldete die Köchin Emilie Kulling noch am selben Tag auf dem Amt. Der Tod des kaiserlichen Leibarztes war sogar dem British Medical Journal eine Notiz wert. Von Ilbergs Grab auf dem Kaiser Wilhelm Gedächt-nis-Friedhof in Berlin-Charlottenburg existiert heute nicht mehr.
Dr. Emil Passburg
(noch in Arbeit)
Leopold von Kleist 1872 – 1946
Leopold von Kleist entstammt altem pommerschen Adel, der sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Er wird am 29.03.1872 in Winzig / Niederschlesien geboren und stirbt am 14.01.1946 auf Schloss Sandfort im Münsterland.
Er absolviert das Kadettencorps und wird 1890 zum Sekondeleutnant ernannt und dem 2. Garde-Feldartillerie-Regiment in Potsdam zugewiesen,
1896 zum Premierleutnant befördert, wird er als Lehrer an die Feldartillerie-Schießschule Jüterbog kommandiert.
1898 übernimmt er als Hauptmann und Batteriechef das Großherzoglich Hessische
Feldartillerie-Regiment Nr. 25.
1898 heiratet er Luise Gräfin von der Schulenburg-Burgscheidungen (1879 – 1966).
In der Zeit von 1899 – 1900 wohnt er in der Brückenallee 33.
1907 wird er an das 4. Garde-Feldartillerie-Regiment kommandiert und kehrt
1911 zum Major befördert zu seiner Stammeinheit, dem 2. Garde-Feldartillerie-Regiment in Potsdam, zurück.
Als Oberst ernennt in Wilhelm II. zum Flügeladjudanten. Damit gehört er zum Gefolge des Kaisers,
der ihn offensichtlich sehr schätzt.
Nach dem Ersten Weltkrieg fungiert er 1926 – 1932 als Leiter der Generalverwaltung des vormals regierenden Königshauses Hohenzollern und als Generalbevollmächtigter. Das entspricht dem Rang eines Ministers.
Er stirbt am 14.01.1946 auf Schloss Sandfort im Münsterland.
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Gustav Adolf von Götzen 1866 – 1910
Gustav Adolf Graf von Götzen wurde am 12.Mai 1866 auf Schloss Scharfeneck in Niederschlesien geboren. Er entstammte dem protestantischen Zweig einer schlesischen Adels-und Offiziersfamilie. Nach einem Studium der Rechts-und Staatswissenschaften in Paris, Berlin und Kiel trat er in das 2. Garde Ulanen-Regiment ein.
Er erhielt das Offizierspatent und ging 1890 als Militärattaché nach Rom. Von dort aus unternahm er einen Jagdausflug zum Kilimandscharo. Das war seine erste Begegnung mit Afrika. Nach einer Reise 1892 nach Kleinasien trat er in die Kriegsakademie ein. Vom Dezember 1893 bis zum Dezember 1894 war er mit einer privaten Expedition und 600 Trägern von der ostafrikanischen Küste nach Ruanda und weiter bis zur Mündung des Kongo in den Atlantik unterwegs. Diese Unternehmung reihte sich in die deutsche Kolonialpolitik nach der Kongokonferenz 1884 ein. Das Deutsche Reich war daran interessiert, seine kolonialen Interessen gegen die des belgischen Königs und die Großbritanniens abzugrenzen.
1896 war von Götzen als Militärattaché in Washington D.C. und nach seiner Beförderung zum Hauptmann wurde er 1900 in den Generalstab berufen. Von 1899 bis 1901 wohnte er in der Brückenallee 33.
1901 wurde als Gouverneur nach Deutsch-Ostafrika entsandt und übernahm zum Major befördert den Oberbefehl über die dortige Schutztruppe.
1906 richtete sich der Maji-Maji-Aufstand der einheimischen Bevölkerung gegen die koloniale Unter-drückung. Von Götzen schlug diesen Aufstand um den Preis von mehreren hunderttausend Toten nieder.
1906 kehrte er aus gesundheitlichen Gründen nach Deutschland zurück. Er war weiterhin als Mitglied der Deutschen Kolonialgesellschaft tätig und fungierte zuletzt als Preußischer Gesandter bei den Hansestädten und Großherzogtum Mecklenburg. Er wurde 1910 auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg begraben.
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Joseph Herzfeld 1853 – 1939
Joseph Herzfeld wurde am 18.12.1853 in Neuß als Sohn des jüdischen Baumwollfabrikanten Jakob Herzfeld geboren. Er war der ältere Bruder des Schriftstellers Franz Herzfeld ( Franz Held ), für dessen Söhne Wieland ( Wieland Herzfelde, Gründer des Malik-Verlages) und Helmut ( John Heartfield ) er nach dem Verschwinden ihres Vaters die Vormundschaft übernahm.1871 schloss er das Gymnasium ab. Nach Tätigkeiten in der väterlichen Fabrik und einer Bank ging er 1873 in die USA. Dort arbeitete er erst als Kaufmann, später nach einem Jurastudium am Columbia College N.Y. als Rechtsanwalt. Er unternahm ausgedehnte Reisen durch die USA, Kanada und das noch spanische Kuba. 1885 kehrte er nach Deutschland zurück und studierte an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin deutsches Recht. Nach seiner Promotion ließ er sich als Rechtsanwalt nieder.
1898 trat er aus der jüdischen Gemeinde aus. 1900 bis 1901 wohnte er in der Brückenallee.
Mit Unterbrechung gehörte er dem Reichstag als Abgeordneter der SPD von 1898 bis 1918 an.
Nur widerstrebend stimmte er 1914 aus Parteidisziplin für die Kriegskredite. Später lehnte er weitere Kredite ab und war an der Gründung der USPD, einer Abspaltung der linken SPD, beteiligt.
Für die USPD zog er 1920 auch wieder in den Reichstag ein, wechselte dann aber zur KPD, die er bis 1924 als Abgeordneter vertrat.
1933 floh Herzfeld erst in die Schweiz und dann nach Meran. Er starb am 27. Juli 1939 in Klobenstein, einem Ausflugsort oberhalb von Bozen.
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Robert von Keyserlingk 1866 – 1959
Robert Graf von Keyserlingk – Cammerau wurde am 10.03.1866 in München geboren. Er stammt aus einer Familie des ostpreußisch-baltischen Adels. Nach dem Besuch des Gymnasium in Glogau schloss er sein Jurastudium in Leipzig und Breslau 1891 mit der Promotion ab.
1895 – 1896 unternahm er ausgedehnte Reisen nach Russland und in den Fernen Osten. Nach einer Laufbahn im Gerichtswesen wurde er 1898 – 1906 zum Landrat des Landkreises Fischhausen / Ostpreußen ernannt.
1906 / 09 wechselte er als Vortragender Rat und geheimer Regierungsrat in das preußische Ministerium für Landwirtschaft. 1907 – 1908 wohnte er in der Brückenallee 33.
1910 wurde er zum Regierungspräsident in Königsberg /Ostpreußen ernannt und kehrte 1915 – 1917 als Ministerialdirektor in das preußische Ministerium für Landwirtschaft zurück.
1917 wurde er als Berater in den Stab des Generalquartiermeisters Erich von Ludendorf abgeordnet
und diente dann bis 1918 als Reichskommissar für Litauen und die baltische Provinzen. Von dieser Position trat er bald zurück, da er gegen das Diktat der Kriegswirtschaft nichts ausrichten konnte. Nach 1918 zog er sich als Landwirt auf das Gut Cammerau zurück.
Er war Mitbegründer der Deutschnationalen Volkspartei, Mitglied im Deutschen Herrenclub und gehörte von 1920 – 1933 dem Preußischen Staatsrat an. 1932 war er einer der Mitunterzeichner einer Eingabe, die
Bankiers, Großindustrielle und Großgrundbesitzer an den Reichspräsidenten Hindenburg gerichtet und darin die Kanzlerschaft Hitlers gefordert hatten.
Politisch hing er sein Leben lang dem Kaiserreich an. Nach 1933 distanzierte er sich erst allmählich vom NS-Regime und hat sich später einen „Nationalsozialismus mit anständigen Menschen“ gewünscht.
Den Betrieb auf dem Gut Cammerau hielt er im Krieg mit Zwangsarbeitern aufrecht. 1945 flüchtete er mit seiner Frau vor der Roten Armee nach Westen.
Seine Frau Margarete war die Tochter des Rittergutbesitzers Wilhelm Hirt auf Cammerau.
Ihre Tochter Doris war mit Lothar Freiherr von Richthofen verheiratet, einem Bruder von Manfred von Richthofen. Lothar von Richthofen verunglückte 1922 tödlich bei einem Flugzeugabsturz.
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Margarete von Keyserlingk 1879 – 1958
Ernestine Kataharina Margarethe „Gretel“ Gräfin von Keyserlingk geb. Hirt wurde am 13. Juni 1879 auf
Gut Cammerau in Niederschlesien geboren. Sie war das einzige Kind des Verlegers und Rittergutsbesitzers Wilhelm Hirt. Er saß als Abgeordneter im preußischen Landtag und hatte den Bund der Landwirte mitbegründet. Ihre Mutter Magda stammte aus der Industriellenfamilie Websky. In einer großbürgerlichen Umgebung aufgewachsen fand MK dort Vorbilder für politisches und karitatives Handeln.
Katharina-Margarethe-Keyserling/
000000018205143996.
1900 heiratete sie Robert Graf von Keyserlingk, damals Landrat in Fischhausen / Ostpreußen.
1907 – 1908 wohnte sie mit der Familie in der Brückenallee 33. In diesem Jahr lernte sie zum ersten Mal die Metropole Berlin kennen.
1908 nach der Ernennung ihres Mannes zum Regierungspräsidenten in Königsberg arbeitete sie dort im Landwirtschaftlichen Hausfrauenverein (LHV) mit. Bei Kriegsbeginn 1914 erlebte sie den Einmarsch der russischen Armee in Ostpreußen und die folgende Flucht der Bevölkerung. Seit 1917 im Vorstand des Reichsverbandes LHV vertrat sie den RLHV von 1921 – 1933 im Bund Deutscher Frauenvereine (BDF). Seit 1919 gehörte sie der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) an, ebenso dem Vaterländischen Frauenvereins vom Roten Kreuz (VFV). 1932 erhielt sie das Ehrenzeichen des Deutschen Roten Kreuzes.
1925 besuchte sie als Repräsentatin der deutschen Frauenbewegung den Internationalen Kongress des International Council of Women (IWC) in Washington D.C.. 1927 nahm sie gemeinsam mit ihrem Mann an der Tagung des Internationalen Agrarinstitutes in Rom teil.
Auf dem IWC-Kongress 1929 in London war sie eine der Mitbegründerinnen des Weltlandfrauenverbandes ( Associated Country Women of the World ACWW ). Er geht jetzt seinem 95jährigen Jubiläum entgegen. Sein Gründungstag, der 15. Oktober, wird seit 2008 als International Day of Rural Women begangen.
1950 wurde sie zum Ehrenmitglied des ACWW ernannt.
In ihrer berufspolitischen Arbeit setzte sich MK für die Qualifizierung der Landfrauen ein, vertrat aber als Gutsfrau nachdrücklich Arbeit-geberinteressen. Politisch gehörte sie zum national-konservativen Lager und hielt dabei eine gewisse Distanz zum NS-Regime ein.
Der Gutsbetrieb in Cammerau wurde im Krieg durch Zwangsarbeiter aufrecht erhalten.
Bis 1945 lebte sie auf Schloss Cammerau bei Schweidnitz in Niederschlesien. Von dort floh sie bei Kriegsende mit ihrem Mann nach Baden Baden, wo sie am 13.02.1958 starb.
Ihre einzige Tochter, Doris Freiherrin von Richthofen (geb. 1901), starb am 20.12.1945 in Woltorf. Sie war die Witwe von Lothar Freiherr von Richthofen.
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Max Levy 1869 –1932
Max Levy lebte von 1901 bis 1927 im Haus Brückenallee 33.
Er wurde in Stargard (Pommern) als dritter Sohn des Bankiers Moritz Levy und dessen Frau Ernestine geboren. Max Levy studierte zunächst Physik und Mathematik und danach Elektrotechnik an verschiedenen Universitäten. 1891 legte er das Examen zum Diplomingenieur ab und wurde im folgenden Jahr zum Dr. phil. promoviert.
Nach einer kurzen Anstellung in einem Nürnberger Elektrizitätsunternehmen ging er 1893 zur AEG nach Berlin. Dort war er zunächst für die Planung elektrischer Großanlagen zuständig und als die AEG 1896 eine Abteilung für Röntgengeräte gründete, wurde er deren Leiter. Er schrieb die Broschüre Die Durchleuchtung des menschlichen Körpers mittels Roentgen-Strahlen. Innerhalb kürzester Zeit gelangen ihm Erfindungen, die die Röntgengeräte wesentlich verbesserten.
Schon 1896 stellte er die neuen diagnostischen Möglichkeiten auf dem Chirurgenkongreß in Berlin und auf dem Internationalen Physiologischen Kongreß in München vor, was großen Eindruck machte. Levy verhandelte daraufhin ergebnislos mit Wilhelm Conrad Röntgen über eine exklusive technische Verwertung von dessen Entdeckung durch die AEG. Röntgen war aber der Ansicht, dass seine Entdeckung der Allgemeinheit gehören sollte.
Daraufhin gründete Levy 1897 die Dr. Max Levy GmbH für Röntgengeräte, deren Produktionsstätte sich im Wedding in der Müllerstr. 30 befand. Ab 1914 produzierte die Firma dann neben Röntgengeräten die unterschiedlichsten Elektrogeräte wie z.B. Nähmaschinen oder Ventilatoren unter dem Namen Tornado.
Um 1922 waren etwa 800 Personen in der Firma beschäftigt. Sie besaß drei Tochtergesellschaften und zahlreiche in- und ausländischen Vertretungen.
Die Tornados sind heute begehrte Sammlerstücke und waren damals so beliebt, dass die Firma drei Jahre nach Max Levys Tod in Tornado Elektromotoren umbenannt wurde. Heute gehört die Tornado Antriebs-technik GmbH zur französischen ACCÉDIA‑Gruppe.
Levy engagierte sich auch in zahlreichen wirtschaftsnahen Organisationen und in der Kommunalpolitik. Er war z.B. Hauptausschussmitglied im Reichsverband der Deutschen Industrie und Vorsitzender des Vereins Elektrotechnischer Spezialfabriken.
Außerdem schrieb er Artikel für Fachzeitschriften und gab Broschüren heraus.
Im Jahr 1900 heiratete Max Levy die acht Jahre jüngere Josephine Rathenau, eine Nichte des AEG-Gründers Emil Moritz Rathenau und eine Cousine von Walther Rathenau. Das große ehrenamtliche Engagement seiner Frau für die Frauenemanzipation, insbesondere für die Berufsberatung für Frauen, unterstütze er. Die Ehe blieb kinderlos und Josephine starb schon 1921; vier Jahr später ehelichte Max die 25 Jahre jüngere Cläre Hagelberg, mit der er zwei Kinder hatte.
Zusammen mit seiner ersten Frau trat Max Levy 1918 in die neu gegründete, linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) ein und war eine zeitlang Mitglied der Stadtverordneten-Versammlung von Berlin.
Liberal eingestellte deutsche Industrielle und Bankiers, unter ihnen Max Levy, gründeten im Dezember 1918 unter Führung von Carl Friedrich von Siemens das Kuratorium für den Wiederaufbau des deutschen Wirtschaftslebens (KfW). Das war eine Lobbyorganisation zur Parteienfinanzierung, insbesondere der DDP. 1930 löste sich das Kuratorium auf, nachdem die Berliner Großbanken und Ernst Borsig ausgetreten waren.
Im April 1932 hielt sich Max Levy mit seiner Familie in Meran auf. Dort starb er nach kurzer Krankheit. Die Trauerfeier fand in der Halle des Waldfriedhofes Dahlem unter großer Beteiligung von Vertretern der Industrie statt. Seine zweite Frau starb 1988, nachdem sie unter anderem in England, Brasilien und Belgien gelebt hatte. Beide sind auf dem Waldfriedhof in Dahlem bestattet.
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Josephine Levy-Rathenau 1877–1921
Josephine wurde am 3.6.1877 als drittes Kind von Oscar Moritz Rathenau und dessen Frau Hermine Blanka, geb. Goldberger geboren. Die aufgeklärt säkulare und wohlhabende jüdische Familie wohnte im Tiergartenviertel. Der Vater, ein Bruder des AEG-Gründers Emil Moritz Rathenau, war Mitinhaber des Geschäfts Rathenau & Arnheim – Tuch und Buckskin en gros. 1881 gehörte er zu den allerersten Fernsprechteilnehmern, die damals noch als „99 Narren“ verspottet wurden. Der Reichsaußenminister Walther Rathenau war Josephines Vetter und Max Liebermanns Tante Teibchen war ihre Großmutter.
Im Gegensatz zu ihren Brüdern besuchte Josephine, wie zu ihrer Zeit üblich, kein Gymnasium sondern eine städtische Höhere Mädchenschule, die Charlottenschule in Tiergarten. Hier erwarb sie vermutlich ihre ersten Fremdsprachenkenntnisse. Später sprach sie ausgezeichnet Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch. Auch in „wissenschaftliche Werke“ habe sie sich mit viel Fleiß eingearbeitet, hieß es in einem Nachruf.
Als sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den Städten eine bürgerliche Frauenbewegung bildete und Frauenvereine gegründet wurden, war Josephine noch keine 20 Jahre alt, zeigte aber schon großes Interesse und engagierte sich. Zweck dieser Vereinigungen war es, Frauen und Mädchen aus wohlhabenden Familien für soziale Arbeit zu gewinnen. Das Ziel war, Menschen aus besitzlosen Schichten zu unterstützen und gleichzeitig „Erziehungsverein für die Mitarbeiterinnen“ zu sein.
Zusammen mit ihrer Mutter und anderen Frauen gründete Josephine mit 22 Jahren den Berliner Frauenclub von 1900. Er war ein Zusammenschluss von meist berufstätigen Frauen aus der bürgerlichen Mittelschicht, die sich sozial und politisch engagierten und regelmäßig kulturelle Veranstaltungen organisierten. Der Verein bestand bis 1930.
Ebenfalls im Jahr 1900 heiratete Josephine den Elektrogeräte-fabrikanten Dr. Max Levy. Das Ehepaar zog in das Haus Brückenallee 33 (1901- 1924). Max unterstützte das ehrenamtliche Engagement seiner Frau.
Die Ehe blieb kinderlos.
Josephine übernahm 1902 die Leitung einer vom Bund Deutscher Frauenvereine gegründeten Auskunftsstelle für Frauenerwerb und behielt sie bis zu ihrem frühen Tod. Diese nannte sich später auch Auskunftsstelle für Fraueninteressen und wurde zur ersten selbständigen Berufsberatungseinrichtung in Deutschland.
In mühevoller Recherchearbeit trug Josephine Material zusammen für ihr 1906 erstmals erschienenes Buch Die deutsche Frau im Beruf – Praktische Ratschläge zur Berufswahl. Darin fanden sich Informationen über jeden für Frauen zugänglichen Beruf und Hinweise zu Ausbildungsdauer und ‑kosten, Zulassungs- und Aufnahmebedingungen, Berufsaussichten, Anstellungsmöglich-keiten, Pensionsberechtigungen etc.
Zusammen mit Marie-Elisabeth Lüders und Maria Lischnewska gründete Josephine 1909 den Verband für handwerksmäßige und fachgewerbliche Ausbildung der Frau. Dieser kämpfte erfolgreich dafür, dass Frauen in bis dahin Männern vorbehaltenen Berufen Prüfungen ablegen und arbeiten durften.
Zusammen mit Ihrem Mann Max trat Josephine 1918 in die neugegründete Deutsche Demokratische Partei (DDP) ein. Beide engagierten sich in der Kommunalpolitik.
Bereits Anfang 1915 war sie erkrankt und musste operiert werden. Sie arbeitete danach mit viel Energie weiter, auch nach einer zweiten Operation 1919, und verstarb am 15.11 1921. Ihr Grab befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof Schönhauser Allee.
Der Deutsche Verband für Bildungs- und Berufsberatung e.V. und sein Publikationspartner wbv Media vergeben seit 2021 jährlich den Josephine Levy-Rathenau-Preis für eine besonders gelungene Master-arbeit, die sich mit seinem Aufgabenbereich befasst.
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Joachim von Winterfeld 1873 – 1934
Joachim von Winterfeld-Damerow stammte aus einem alten preußischen Adelsgeschlecht. Er wurde am 31.05.1873 in Berlin geboren. 1885 bestand er auf dem Gymnasium in Prenzlau sein Abitur. Das folgende Jurastudium brach er ab, um in die preußische Armee einzutreten. 1895 wurde er zum Leutnant der Artillerie ernannt.
1900 meldete er sich freiwillig zu dem Expeditionscorps, das zur Niederschlagung des Boxeraufstandes nach China entsandt wurde. Seine ausgedehnte Rückreise führte ihn über Japan und die USA wieder nach Deutschland.
Bereits 1904 meldete er sich erneut für einen Einsatz nach Deutsch-Südwestafrika. Er befehligte dort eine Artillerieeinheit, die am Völkermord an den Hereros beteiligt war.
Gesundheitliche Probleme zwangen ihn zur Rückkehr nach Deutschland. Dort übernahm er die Leitung der Artillerie-Schule in Jüterbog.
Bei Beginn des ersten Weltkriegs 1914 befehligt er eine Artillerieeinheit in Frankreich, später in Polen und Russland, dann wieder an der Westfront. Zuletzt im Range eines Oberstleutnants und als Regiments-kommandeur.
Nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 nahm er den Abschied. Er lebte dann auf seinem Gut in Damerow.
Von 1931 – 1934 lebte er auch in Berlin in der Brückenallee 33. Seine Frau behielt diese Wohnung noch bis 1936. Er war jetzt als gern gelesener Schriftsteller tätig und schrieb auch Gedichte. Seine Werke waren durch Soldatenromantik und eine nostalgische Einstellung bestimmt.
1920 hatte er Margherita Moser von Vilseck geheiratet. Aus dieser Ehe stammen drei Söhne und eine Tochter
Er starb am 30.05.1934 in Berlin und wurde in Damerow auf dem Friedhof derer von Winterfeld begraben. Das Schloss auf dem Gut von Winterfeld ist 1945 völlig zerstört worden.
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Kurt von Lersner 1883 -1954
Kurt Freiherr von Lersner stammt aus einem alten hessischen Adelsgeschlecht mit einem Gut in Nieder-Erlenbach. Er wird am 12.12.1883 in Saarburg geboren. Sein Vater ist preußischer Offizier und Gutsbesitzer, seine Mutter geb. Jacobson-Klenz stammt aus einer jüdischen Familie.
Nach Gymnasium und Banklehre absolviert er ein Jurastudium in Genf, Bonn, Berlin, Heidelberg und Paris. Seine Militärzeit beendet er als Leutnant im 7. Husarenregiment.
Ab 1908 ist er im Diplomatischen Dienst mit Stationen in Paris, Brüssel, Washington D.C. tätig, dort knüpft er freundschaftliche Beziehungen zu Franklin D. Roosevelt, dem späteren US-Präsidenten und Franz von Papen, späterer Reichskanzler, an.
Im ersten Weltkrieg befindet er sich zeitweise als Rittmeister der Reserve an der Front.
Ab 1916 delegiert ihn das Auswärtige Amt als sein Vertreter in das Große Hauptquartier. Später dient er als Verbindungsmann zwischen Reichsregierung und dem Generalquartiermeister Erich von Ludendorf.
1917 ist er an der Einschleusung Lenins nach Russland beteiligt und dann an den Friedens-verhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und Russland in Brest-Litowsk.
1918 / 19 nimmt er an den Verhandlungen in Spa zum Waffenstillstand teil, anschließend als Regierungs-kommissar an den Friedensverhandlungen in Versailles. Später übernimmt er auch den Vorsitz in der deutschen Delegation.
Er unterschreibt mit Georges Clemenceau und David Lloyd George als erster den Vertrag von Versailles. Die Erfüllung der Forderung der Aliierten, eine größere Anzahl vermeintlicher deutscher Kriegsverbrecher auszuliefern, verhindert er durch seinen Rücktritt.
1920 – 1924 sitzt er als Abgeordneter für die Deutsche Volkspartei im Reichstag und ist Mitglied des Aus-wärtigen Ausschuss. Später wechselt er zur Deutschnationalen Volkspartei.
1932 bei der Entmachtung der preußischen Landesregierung zugunsten der Reichsregierung (Preußenschlag) überträgt ihm Reichskanzler von Papen eine Vermittlungstätigkeit mit den anderen Länderregierungen.
1933 vermittelt er den Kontakt zwischen Hitler und von Papen.
1933 – 1943 hat er eine Wohnung in der Brückenallee 33, wohnt aber auch gleichzeitig auf seinem Gut in Nieder-Erlenbach. 1934 ist er als Vertrauensmann für die IG Farben in der Türkei,
1939 – 1945 als Kulturattaché an der Deutschen Botschaft in Ankara. Von Papen vermittelt ihm diese Tätigkeit, bei der er als „Halbjude“ vor dem Zugriff der Gestapo geschützt ist. Von dort aus unterstützt er Friedenssondierungen aus der Umgebung von Wilhelm Canaris, dem Leiter der militärischen Abwehr, zu amerikanischen Regierungsstellen.
Nach 1945 besteht eine Verbindung zum amerikanischen Militärgouverneur in Deutschland, Lucius D. Clay.
1947 / 49 wirkt er als Verbindungsmann zwischen Charles de Gaulle, dem späteren französischen Staatspräsidenten, und Konrad Adenauer, Bundeskanzler ab 1949, bei der beginnenden deutsch-französischen Verständigung.
Nach 1950 ist er an der Entflechtung der deutschen Schwerindustrie beteiligt und übt eine Beratungs-tätigkeit aus. Am 7.06.1954 stirbt er in Düsseldorf und wird in Nieder-Erlenbach im Familiengrab beerdigt.
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Epilog
In der Nacht vom 22. zum 23. November 1943 wird ein Großteil des Hansaviertels bei einem schweren Bombenangriff zerstört, darunter auch das Haus Brückenallee 33.
Betr. Brückenallee 33
Am 22.5.51 erscheint Frau Elisabeth-Martha Schöppenthau lt. pol. Anmeldung ehemals dort wohnhaft u. bittet bei Abräumung des Grundstücks um Benachrichtigung nach Siemensstadt, Königsdamm 285, damit sie ihre dort verschütteten Eigentümer bergen können.
(Unterschrift) 22.5.
. . . zu den Grundstücksakten.