Ausstellung “Synagogen in Tiergarten”

Diese Ausstellung hatten wir schon einmal im Oktober 2018 in der Ausstellungsvitrine vor dem Rathaus Tiergarten präsentiert. Während der kurzen Ausstellungszeit stellten wir fest, dass gerade jüngere Menschen viele Fragen zu dem früheren jüdischen Leben im Bezirk haben. Deshalb war diese Ausstellung noch einmal in veränderter Form vom 8. Mai – 23. Juli 2019 im Meerbaum-Haus zu sehen. Die Vernissage und auch die folgende Ausstellung waren nach Aussagen der Leiterin des Meerbaum-Hauses, Angeliga Grigat, bemerkenswert gut besucht.
Das hat uns veranlaßt, über weitere Ausstellungen zu jüdischem Leben in Tiergarten nachzudenken.
Auch die Stadtspaziergänge im Rahmen der Ausstellung fanden guten Zuspruch.

Inhalt :
Danksagungen
Förderung
Juden in Berlin
Liberale Gemeinde Levetzowstraße
Synagoge Levetzowstraße
Rabbiner Dr. Julius Lewkowitz
Israelitische Synagogengemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin
Schulen und Synagoge in Siegmundshof
Rabbiner Dr. Esriel Hildesheimer
Synagogenverein Moabit und Hansabezirk
Synagoge Lessingstraße
Rabbiner Dr. Chaim Heinrich Cohn
Literatur zur Ausstellung

Danksagung:
Wir bedanken uns für tatkräftige Unterstützung bei
Angelika Grigat vom Meerbaum-Haus, der
Topographie des Terrors, der
Stiftung Stadtmuseum Berlin, der
Jüdischen Gemeinde von Berlin, dem
Landesarchiv Berlin,den
akg images und bei
Frau Karin Ammende für die Anfertigung einer Zeichnung,bei
Magda Zagorski für die Beratung bei der Gestaltung und bei
Peter Gockel für die Hilfe bei technischen Fragen.

Gleis 69 e.V

Förderung:
Die Ausstellung wurde von der Berliner Landeszentrale für politische Bildung gefördert.


Juden in Berlin

28. Oktober 1285 erste urkundliche Erwähnung, erste Ansiedlung im Bereich des großen Jüdenhofs (heute östlich vom Roten Rathaus)

Großer Jüdenhof 1906 [ Ort des mittelalterlichen Ghettos] aus Adass Jisroel – Vernichtet und Vergessen – Herausgeber Mario Offerberg

1349 Ausbruch der Pest, in der Folge findet ein großes Pogrom statt.
1354 sind wieder Juden im kleinen Judenhof angesiedelt.
1446 werden die Juden wieder vertrieben.
1453 bis 1474 sind wieder Juden im Berliner Bürgerbuch verzeichnet, erlaubt war ihnen Pfandleihe und Geldgeschäfte, aber kein Handwerk und kein Grundbesitz. Sie wurden wechselnd dem Kaiser, dem Landesherrn oder dem Magistrat unterstellt. Für Schutz und viele Tätigkeiten mussten hohe Abgaben entrichtet werden.
19. Juli 1510 wurden wegen angeblichen Hostiendiebstahls 38 Juden verbrannt, und alle anderen Juden ausgewiesen.
Unter Kurfürst Joachim II. (1535 – 1571) konnten sich die Juden wieder ansiedeln. Bei seinem Tod wurde der jüdische Münzmeister beschuldigt , den Kurfürsten vergiftet zu haben. Er wurde hingerichtet, die Berliner Juden wurden verjagt, ihre Häuser geplündert und ihre Vermögen eingezogen.
Erst am 21. Mai 1671 erlaubte der Große Kurfürst fünfzig jüdischen Familien sich für 20 Jahre in der Mark Brandenburg anzusiedeln.
Am 10. September 1671 durften sich die Familien Riess und Veit in Berlin niederlassen. Das war das Geburtsjahr der Berliner Jüdischen Gemeinde.
1672 wird der Friedhof an der Großen Hamburger Straße eingeweiht, 1714 der erste Rabbiner Michael Chassid-Lewin berufen und die Synagoge in der Heidereutergasse eingeweiht.

Alte Synagoge in der Heidereuther Gasse – Radierung von Friedrich August Calau

Es wird eine Talmud-Thora-Schule eingerichtet. Die Gemeinde übt eine eigene Gerichtsbarkeit bei Fragen des Familien-und Erbrechts und des Kultus aus.
Die jüdischen Kaufleute überflügelten bei den Zollzahlungen bald die Berliner Kaufleute durch ihre zunehmende Geschäftstätigkeit.
1743 gab es in Berlin 333 jüdische Familien mit insgesamt 1945 Seelen. Dabei waren für die Geburt von Kindern und bei zahlreichen anderen Anlässen hohe Abgaben zu zahlen

1780 veröffentlichte Moses Mendelsohn seine Bibelübersetzung ins Deutsche und gab so den Anstoß zur jüdischen Aufklärung. Seine Gegner warfen ihm deshalb vor, er habe die Juden zur Assimilation und zum Abfall vom gesetzestreuen Glauben verführt.

Moses Mendelsohns Übersetzung des Tanach. Gesehen im Jüdischen Museum in Riga. TAL


1808 erhielten die Juden im Zuge der Stein-Hardenbergschen Reformen das Bürgerrecht und konnten Ehrenämter übernehmen.
1812 befreite das Emanzipations-Edikt sie vom Schutzjudentum und von Sonderabgaben, sie wurden Einländer und Staatsbürger.
1850 wurde die Gleichheit aller Preußen vor dem Gesetz festgelegt. 1871 wurde die Emanzipation der Juden durch ein Reichsgesetz bestätigt.
In der Berliner Gemeinde entstand eine zunehmend große Gruppe von liberalen Juden, die überwiegend liberale Rabbiner, so 1860 Dr. Abraham Geiger, beriefen.

Gemeinfrei – Dr. Abraham Geiger – Fotograf unbekannt
Neue Synagoge Berlin in der Oranienburger Straße 1865 – Emile P.J. De Cauwer

Sie führten ein neues Gesangbuch ein und statteten 1866 die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße mit einer Orgel aus.
1868 gründeten andererseits 200 orthodoxe Familien die gesetzestreue jüdische Religionsgemeinschaft Adass Jisroel, da ihre Glaubensauffassung in der Gemeinde nicht mehr berücksichtigt wurde. Als ihren ersten Rabbiner beriefen sie Dr. Esriel Hildesheimer aus Eisenstadt.

Er gründete 1873 das orthodoxe Rabbiner-Seminar, um sich gegen ähnliche Einrichtungen der liberalen Juden abzugrenzen. 1885 erhielt diese Gemeinde ebenfalls rechtliche Eigenständigkeit, so konnten neue Mitglieder jetzt direkt bei ihr eintreten. Sie nannte sich jetzt Israelitische Synagogengemeinde Adass Jisroel. 1904 bezog sie in der Artilleriestr. 31 ( heute Tucholskystraße) eine neue Synagoge mit Gemeindehaus.
1880 wird der Friedhof Weißensee der liberalen Gemeinde eingeweiht. Er ist der größte jüdische Friedhof in Europa.

Jüdischer Friedhof in Berlin – Weißensee – Liberale Gemeinde

1893 wird der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens zur Abwehr des sich verstärkenden Antisemitismus gegründet.
1910 leben in Groß-Berlin rund 144 000 jüdische Einwohner.
1914 – 18 fallen im Ersten Weltkrieg über 12 000 jüdische Soldaten. Wegen antijüdischer Ressentiments und des Vorwurfs der „Drückebergerei“ wird im deutschen Heer die „Judenzählung“ durchgeführt und stattdessen eine überdurchschnittliche Beteiligung der Juden am Kriegsdienst bestätigt.
1922 wird der Reichsaußenminister Walter Rathenau als Jude ermordet.
1925 leben in Groß-Berlin rund 173 000 Juden, es gibt es gibt 94 Synagogen und Bethäuser.
1933 findet nach dem Machtantritt Hitlers der erste Boykott jüdischer Geschäfte statt, und jüdische Beamte werden zwangsweise entlassen.
1935 werden die „Nürnberger Gesetze zum Schutze deutschen Bluts“ beschlossen. Das Delikt der „Rassenschande“ wird damit eingeführt.
1938 werden 12 000 Juden, die aus Polen stammen, dorthin abgeschoben. Als Reaktion darauf gibt es ein Attentat auf den deutschen Diplomaten v. Rath in Paris. Das veranlasst Goebbels zu einem „spontanen“ Pogrom, bei dem in der Reichspogromnacht ( 9. und 10. November 1938 ) die meisten Synagogen in Deutschland zerstört und viele Juden verhaftet und misshandelt werden.
1939 kommt es unter dem Druck der Gestapo zu einem Zusammenschluss der liberalen jüdischen Gemeinde mit Adass Jisroel.
Ab 1941 müssen alle Juden einen gelben Stern tragen. Am 18. Oktober 1941 werden die ersten Juden nach Riga deportiert.
Im Januar 1942 wird auf der Wannsee-Konferenz die Organisation der systematischen Ermordung von Europas Juden festgelegt.
Am 27. März 1945 verlässt der letzte Deportationszug Berlin.
55 000 Berliner Juden – Männer, Frauen, Kinder, Alte und Kranke – sind ermordet worden. Ungefähr 6 500 jüdische Menschen konnten im Versteck überleben.

Gedenkort Güterbahnhof Moabit
Stiftung Stadtmuseum Berlin Liberale Synagoge Levetzowstraße Fotograf unbekannt

Die liberale Gemeinde Levetzowstraße
Um 1875 umfasste die Berliner Jüdische Gemeinde rund 65 000 Mitglieder. In der Repräsentantenversammlung hatten die gemäßigt reformerischen Kräfte eine Mehrheit. Als Reaktion auf diese liberale Ausrichtung gründete sich 1869 die orthodoxe „Gesetzestreue jüdische Religionsgesellschaft Adass Jisroel“. Sie wurde im September 1885 offiziell als eigenständige jüdische Gemeinde anerkannt.
Zum Bau der Synagoge in der Levetzowstraße entschied sich die Berliner Jüdische Gemeinde, weil die Anzahl der jüdischen Einwohner Berlins um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert deutlich angestiegen war. Das galt besonders für den Bereich Moabit und das Hansa-Viertel. 1890 lebten dort insgesamt 137 335 Einwohner, davon 2 512 Juden. 1910 registrierte man ein Anwachsen auf 225 217 Einwohner, davon 10 150 Juden.
1921 gab es in der Berliner Jüdischen Gemeinde noch einmal einen Konflikt um die religiöse Ausrichtung der Synagogen-Gemeinde Levetzowstraße. Die konservative Opposition forderte, die Orgel aus der Synagoge zu entfernen und den Gottesdienst wieder nach „altem Ritus“ (ohne Orgel und in hebräischer Sprache) stattfinden zu lassen. Hintergrund war, dass es nach dem Ersten Weltkrieg und den politischen Veränderungen in Osteuropa eine stärkere Wanderung von orthodox ausgerichteten Juden ins Deutsche Reich gab. Kritisiert wurde, dass die Gottesdienste in der liberalen Moabiter Gemeinde nur schlecht besucht seien, die Gemeinde also gar keine so große Synagoge brauche. Der Vorstoß wurde abgelehnt. Werner Rosenstock, ein Zeitzeuge, meinte 1970 in einer Rückschau auf das Hansa-Viertel, dass in der Gemeinde in der Tat „…ein großer Teil der Juden nur noch verhältnismäßig geringe religiös-jüdische Bindungen hatte und die Synagoge meist nur an den höchsten Feiertagen oder aus besonderen Anlässen besuchte.“ (Festschrift für die Berliner Jüdische Gemeinde. 1970. S. 310).
Die Demütigungen und Verfolgungen im nationalsozialistischen Deutschland ließen die Konflikte zwischen den unterschiedlichen religiösen Ausrichtungen Ende der 1930er Jahre und Anfang der 1940er Jahre aber in den Hintergrund treten. Als die Gestapo im Dezember 1939 die orthodoxe Gemeinde Adass Jisroel auflöste, stellte ihr die liberale Mehrheitsgemeinde die Wochentagssynagoge in der Synagoge Levetzowstraße für ihre Gottesdienste zur Verfügung.

Die Synagoge Levetzowstraße ist eine der wenigen Synagogen, die in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 nicht abbrannte. Man hat wohl versucht, das Gebäude in Brand zu stecken, wie man später an Brandspuren an der Außenmauer sehen konnte. Warum es nicht zu einem großen Brand kam, darüber lässt sich heute nur noch mutmaßen. Das Gebäude an sich blieb weitgehend unbeschädigt, dafür wurde die Inneneinrichtung aber erheblich zerstört.
Am 1. Oktober 1941, am Versöhnungstag Jom Kippur, teilte die Gestapo der Gemeindeleitung mit, dass die Synagoge ab sofort als Sammellager für Deportationen benutzt werde. Die Gemeinde war damit für die Ernährung und Unterbringung der festgesetzten Menschen, für die Betreuung der Kinder und die medizinische Versorgung verantwortlich. Die Gestapo kümmerte sich nur um die formalen Belange, wie die Erfassung und Ausbürgerung, um die Durchsuchung des Gepäcks und die Beschlagnahmung von Geld und Wertsachen. In kürzester Zeit erlebten die Menschen hier den Verlust ihrer Persönlichkeit, ihrer bürgerlichen Reputation und ihrer körperlichen Integrität. Sie erfuhren eine Ausplünderung durch den Staat und eine massive Verunsicherung in Hinsicht auf ihre unmittelbare Zukunft. Psychische Krisen und Suizide waren an der Tagesordnung. Die Angestellten der Gemeinde wurden durch die Gestapo massiv unter Druck gesetzt und durften den festgesetzten Menschen keinerlei Hilfe zukommen lassen. Zeitzeugen beschreiben schreckliche Szenen. Das Sammellager war bis November 1942 in Betrieb, und dann noch einmal während der „Fabrikaktion“ im Februar 1943.

Synagoge Levetzowstraße
Diese Synagoge gehörte zu den größten in Berlin. Sie bot 2120 Menschen Platz. Errichtet wurde sie zwischen 1912 und 1914 im Auftrag der Berliner Jüdischen Gemeinde von deren Architekt Johann Höniger.
Nach längeren Auseinandersetzungen innerhalb der Jüdischen Gemeinde war entschieden worden, dass die Synagoge für Anhänger der liberalen Ausrichtung des Judentums bestimmt war, der Gottesdienst also nach dem „neuen Ritus“ stattfand. Das bedeutete, der Gottesdienst wurde anstelle des Hebräischen weitgehend in deutscher Sprache gestaltet, und die Gesänge wurden von einer Orgel begleitet. Auch war die Trennung der Geschlechter weniger streng als in Synagogen mit orthodoxem Ritus. Männer und Frauen saßen zwar noch getrennt, aber sie betraten die Eingangshalle auf demselben Weg, und der Blick von der Frauenempore auf den Männerraum war nicht durch Gitter eingeschränkt.
Am 7. April 1914 wurde die Liberale Synagoge in der Levetzowstr.7-8 feierlich eingeweiht. Bis zur endgültigen Fertigstellung dauerte es wegen des Ersten Weltkriegs noch bis 1919.
Zu dem Gebäudekomplex an der Ecke Levetzowstraße/Jagowstraße gehörten neben der Synagoge ein Wohnhaus und ein Schulgebäude. Der monumentale Haupteingang der Synagoge lag in der Levetzowstraße. Er war geprägt durch einen Gebäudevorsprung mit vier Säulen auf einer Freitreppe und einem dreieckigen Giebel, der in der Mitte mit einem Davidstern geschmückt war. 1955 wurde das bei Luftangriffen im Krieg stark zerstörte Gebäudeensemble abgerissen und 1956 auf dem Gelände ein Spielplatz errichtet.
Ein letztes Übrigbleibsel des Gebäudekomplexes aus Synagoge, Rabbinerhaus und Schulgebäude ist die Hofmauer zum Grundstück Levetzowstr. 6. Von dieser Seite ist sie gut erkennbar und auf Grund ihrer Lage eindeutig dem Synagogengrundstück zuzuordnen.

Hofmauer des Synagogengrundstück vom Hof Levetzowstr. 6 aus gesehen. TAL

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Seit 1960 erinnert eine Gedenktafel an die Synagoge,
seit 1988 ein Mahnmal („Flammenwand“) an das Sammellager in der Synagoge und an die Deportationen.

Mahnmal für Synagoge Levetzowstraße – Einweihung 1988 – TAL

Rabbiner Dr. Julius Lewkowitz
Julius Lewkowitz, Rabbiner und Religionsphilosoph, wird 1913 Rabbiner der Berliner Reformgemeinde. Er stammt aus Oberschlesien, wo er am 2. Dezember 1876 in eine Kaufmannsfamilie hineingeboren wurde. Sein erstes Rabbinat hatte er in Schneidemühl (heute poln. Pila) in der damaligen preußischen Provinz Posen inne.
Der Berliner Gemeinde war er durch seine Schrift „Judentum und moderne Weltanschauung“ als überzeugter Vertreter der liberalen Ausrichtung des Juden-tums aufgefallen. Sie lud ihn 1911 zu einer Gastpredigt in die Synagoge Lindenstraße ein und berief ihn dann 1913 als Rabbiner und Prediger nach Berlin. Er war hauptsächlich in der Synagoge Levetzowstraße tätig. Dort predigte er zwischen 1914 und 1933 abwechselnd mit dem aus Galizien stammenden Reformrabbiner Dr. Juda Bergmann. Während Juda Bergmann im April 1934 aus Deutschland fliehen musste und nach Palästina auswanderte, blieb Dr. Julius Lewkowitz in seiner Gemeinde, bis er und seine Frau Selma am 12. März 1943 nach Auschwitz deportiert wurden. In Auschwitz verlieren sich ihre Spuren.

Stolpersteine vor dem ehemaligen Rabinerhaus der Synagoge Levetzowstraße ( Jagowstr. 38 )

Vor ihrem letzten Wohnort, dem zum Gebäudeensemble der Synagoge Levetzowstraße gehörenden Wohnhaus, erinnern in der Jagowstr. 38 Stolpersteine an Dr. Julius Lewkowitz und seine Frau Selma Lewkowitz.
Neben seiner Tätigkeit als Rabbiner lehrte Julius Lewkowitz an der 1872 von Abraham Geiger mit gegründeten „Hochschule (Lehranstalt) für die Wissenschaft des Judentums in Berlin“. Sein Schwerpunkt war die Religionsphilosophie. Er gehörte neben Leo Baeck mit zu den letzten Lehrkräften dieser Einrichtung in der Artilleriestraße 14 (heute Tucholskystraße). Sie wurde im Sommer 1942 auf staatliche Anordnung ebenso geschlossen wie alle jüdischen Bildungsstätten.

Leo Baeck Haus in der Tucholskystr. 9 – früher Hochschule (Lehranstalt) für die Wissenschaft des Judentums in Berlin in der Artilleriestr. 14 – TAL
Gedenkort Güterbahnhof Moabit
Israelitisches FamilienBl. Hamburg – Rabbiner Dr. Julius Lewkowitz – Fotograf unbekannt

Israelitische Synagogengemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin
Da sie sich in der mehrheitlich liberal ausgerichteten Berliner Gemeinde kein Gehör mehr verschaffen konnten, gründeten 200 jüdisch-orthodoxe Familien 1868 die gesetzestreue, jüdische Religionsgemeinschaft Adass Jisroel. Als ihren ersten Rabbiner beriefen sie Dr. Esriel Hildesheimer.
Am 2. September 1869 traf er in Berlin ein und nahm schon am nächsten Tag seine Lehrtätigkeit auf. Er rief bald eine Religionsschule für Kinder ins Leben und ließ eine koschere Fleischerei und Bäckerei eröffnen.


OTFW, Berlin [CC BY-SA 3.0 Friedhof Weißensee – Adass Jisroel

Später kam ein eigener Friedhof in Weißensee hinzu. Im April 1870 wurde das Gemeindestatut beschlossen. 1873 gründete Hildesheimer ein orthodoxes Rabbiner-Seminar in der Gipsstr. 12 a. In diesem Gebäude befanden sich ebenfalls eine Mikwe und eine Synagoge.
1885 erhielt Adass Jisroel seine rechtliche Eigenständigkeit. Dadurch konnten neue Mitglieder dort direkt eintreten. Die Gemeinde nannte sich jetzt Israelitische Synagogengemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin. Da die Gemeinde weiter wuchs, zog sie im September 1904 in die Artilleriestr. 31, in eine neu erbaute Synagoge mit Gemeindehaus.
1924 erwarb die Gemeinde schließlich das Atelierhaus Siegmundshof 11 im Hansa-Viertel und richtete dort mehrere Schulen und eine Synagoge ein. In der Reichspogromnacht blieben die Synagogen und Schulen von Adass Jisroel unangetastet. Verschiedene Lehrer und Rabbiner wurden dagegen ins KZ verschleppt.
Schließlich musste die Gemeinde unter dem Zwang der Gestapo ihre Eigenständigkeit aufgeben und sich im März 1939 mit der liberalen, jüdischen Gemeinde zusammenschließen.

Adass Jisroel, Max Sinasohn, Jerusalem 1966 – Schulgebäude Adass Jisroel (früher Atelierhaus) Siegmundshof 11, Hansaviertel – Fotograf unbekannt

Schulen und Synagoge in Siegmundshof
Im März 1919 fasste die Gemeinde Adass Jisroel den Beschluss, eine Schule zu gründen. Bereits im Mai 1919 hatte man Räume und Lehrer gefunden und die nötigen Schüler geworben. Die Schule fand großen Zuspruch, sodass sie bereits nach einem Jahr erweitert werden musste. Unter dem obersten Prinzip der Gesetzesfreude (Simcha schel Mizwa) wuchsen die Kinder unterschiedlichster Herkunft schnell zu einer Gemeinschaft zusammen. Dabei fanden jüdische Glaubensinhalte in den Unterricht der verschiedensten Fächer Eingang. Die Schule wuchs ständig, sodass immer wieder neue Räume und geeignete Lehrer gefunden werden mussten. Im September 1925 erhielt Addas Jisroel die ministerielle Genehmigung, höhere Lehranstalten zu betreiben.
Im Oktober 1926 schließlich konnten alle Klassen das ehemalige Atelierhaus Siegmundshof 11 beziehen,und es wurde dort eine Synagoge eingerichtet.

Max Sinasohn , Adass Jisroel – Jerusalem 1966 – Synagoge im Schulgebäude Adass Jisroel, Siegmundshof 11, Berlin-Hansaviertel – Fotograf unbekannt

Mit hohem Engagement der Lehrer und der Gemeinde und großer Spendenbereitschaft der Eltern und Förderer wurden Gymnasium und Lyzeum weiter ausgebaut. Die ersten Schüler legten im März 1930 ihr Abitur ab. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 brachte aber neue Herausforderungen für die Schulen. So wechselte eine große Zahl jüdischer Schüler von staatlichen auf die jüdischen Schulen. Gleichzeitig verloren die Schulen der Gemeinde zunehmend Lehrer durch Auswanderung nach Palästina und anderweitige Emigration. Auch die finanzielle Situation von Schule und Gemeinde verschlechterte sich zusehends. Trotzdem waren an der Schule weiterhin Ärzte und Krankenschwestern regelmäßig um die Gesundheit der Kinder bemüht. Bedürftigen Kindern wurde durch Patenschaften der Schulbesuch ermöglicht. Auch ein Mittagstisch und eine Hortbetreuung wurden angeboten und kamen besonders ärmeren Kindern zugute. Im Februar 1939 fand die letzte Abiturprüfung statt, im März 1939 wurden die Schulen geschlossen. Dem Rektor der Grundschule Max Sinasohn gelang 1942 die Flucht nach Palästina, der Direktor des Gymnasium, Dr.Nachman Schlesinger wurde am 9. Dezember 1942 mit seiner Frau Käthe und seinen neun Kindern nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Hanna und David waren 18 Jahre alt, dann folgten Martin, Fanny, Rosa, Samuel, Rahel, Betty und mit acht Jahren der Jüngste Markus Michael.

Archiv Adass Jisroel – Dr. Nachman Schlesinger mit Klasse 1924 – unter CC BY-SA 3.0 – Fotograf unbekannt
Die Stolpersteine für die Familie Schlesinger am Hansaplatz in Tiergarten

Nach der Schließung der Synagoge Artilleriestraße 1939 konnte die Synagoge in Siegmundshof noch bis Sommer 1941 benutzt werden. Max Sinasohn gelang es sogar zum Laubhüttenfest 1941 auf dem Gelände versteckt noch eine Laubhütte (Sukka) trotz strengen Verbots durch die Gestapo aufzubauen. Danach fanden die Gottesdienste in der Wochentagssynagoge / Levetzowstraße statt. Nachdem diese Synagoge beschlagnahmt und im Oktober 1941 in ein Sammellager für die Deportationen umgewandelt worden war, trafen sich die letzten Gemeindemitglieder in einer Wohnung in der Wilsnacker Str. 3. Dort steht heute ein Bürogebäude des Amtsgericht Tiergarten.

Bürogebäude des Amtsgericht Tiergarten in der Wilsnacker Str. 3. TAL

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Im November 1943 wurde das Gebäude Siegmundshof bei den schweren Bombenangriffen auf das Hansa-Viertel ebenfalls zerstört.

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Rabbiner Dr. Esriel Hildesheimer - Adass Jisroel, Max Sinasohn - Fotograf unbekannt
Max Sinasohn , Adass Jisroel – Jerusalem 1966 , Rabbiner Dr. Esriel Hildesheimer – Fotograf unbekannt

Rabbiner Dr. Esriel Hildesheimer
Esriel Hildesheimer gilt als einer der Begründer der modernen jüdischen Orthodoxie.
Geboren am 11. Mai 1820 in Halberstadt studierte er nach dem Abitur 1843 in Hamburg Talmud und klassische Sprachen, anschließend an der Humboldt-Universität in Berlin semitische Sprachen, Geschichte, Philosophie und Mathematik. Nach seiner Promotion zum Thema „Über die richtige Methode der Bibelübersetzung“ an der Universität in Halle kehrte er nach Halberstadt zurück. Dort heiratete er Henrietta Hirsch, deren Brüder Fabrikanten waren. Dadurch wurde er finanziell unabhängig und verzichtete von da ab auf jegliche Bezahlung seiner Tätigkeiten.
Als Rabbiner 1851 nach Eisenstadt (Österreich-Ungarn) berufen gründete er dort eine Jeschiwa, die als Neuerung neben jüdischem auch weltliches Wissen vermittelte. Als überzeugter orthodoxer Jude wurde er aber wegen verschiedener Neuerungen von den orthodoxen ungarischen Rabbinern anhaltend abgelehnt, sodass er 1870 gern dem Ruf in die orthodoxe Austrittsgemeinde Adass Jisroel nach Berlin folgte. Dort nahm er auch als Leiter eines Lehrhauses seine Tätigkeit auf und gründete 1873 das bekannte Rabbiner-Seminar, erst in der Gipsstraße, später in der Artilleriestraße. Gleichzeitig wandte er sich zusammen mit Marcus Mayer Lehmann, dem Herausgeber der Zeitschrift Der Israelit, gegen das Reformjudentum und seinen Exponenten, den Rabbiner Abraham Geiger. Im Kampf gegen den aufkommenden Antisemitismus standen die verschiedenen Glaubensrichtungen aber zusammen. Daneben half er den Opfern der russischen Pogrome und unterstützte ihre Ansiedlung in Palästina. So wie er auch den dort ansässigen Juden half. Er gründete die Zeitung die Jüdische Presse und dann den Palästina Verein, die beide die jüdische Ansiedlung dort unterstützten. Er starb am 12. Juli 1899 in Berlin.

Synagogenverein Moabit und Hansabezirk
Dieser Verein wurde offiziell 1898 gegründet und hatte seine Synagoge schließlich in der Lessingstraße 19 mit einem Zugang von der Flensburger Straße. Er bestand aus 220 Mitgliedern, die sich als gesetzestreu orthodox verstanden und überwiegend aus Akademikern zusammensetzten, so Prof. Toby-Cohn, Prof. Eugen Mittwoch, Prof. Ismar Ellbogen, Prof. Chanoch Ahlbeck, Oberregierungsrat Dr. Rosenberg, Hermann Struck, Isaac Boschwitz, Alfred Marcus. Im Volksmund hieß deshalb diese Synagoge auch „Intelligenztempel“.
Gelegentlich erschien auch Prof. Albert Einstein, der von Rabbiner Cohns sozialem Engagement beeindruckt war.
Die ersten Gemeindevorsteher waren Wilhelm Sokolowski und Bernhard Cohn.

Zeichnung nach Michael Engel – Landesarchiv Berlin Orthodoxe Synagoge Lessingstraße Ausführung A.K.

Synagoge Lessingstraße
Anfangs fand der Gottesdienst in Räumen des Hauses Lessingstraße 19 statt. Dann ließ der Hausbesitzer Louis Brockmann auf dem Hof eine eigene, kleine Synagoge errichten, die ca. 250 Plätze besaß. Sie wurde wahrscheinlich im Sommer 1910 eingeweiht. In der Reichspogromnacht 1938 wurde die Synagoge völlig zerstört und im Sommer 1939 abgerissen.
Rabbiner Ascher Cohn, der Sohn des Gemeinderabbiners, und Kantor Fuchs konnten noch einige Heilige Schriften und halbverbrannte Teile der Thorarollen aus dem Schutt retten. Von der Synagoge sind keine Fotos bekannt, nur die Bauzeichnung.

Berliner Privatsynagogen, Max Sinasohn, Jerusalem 1971 Rabbiner Dr. Heinrich Cohn Fotograf unbekannt

Rabbiner Dr. Chaim Heinrich Cohn
Chaim Heinrich Cohn wurde 1889 in Basel geboren, besuchte die Jeschiwa in Bratislava und studierte in Lausanne und Straßburg, wo er mit einer Dissertation über englisches Drama abschloss. 1909 bis 1911 studierte er in London und legte dort das Staatsexamen als Oberlehrer in Englisch und Französisch ab. Nach dem Besuch des Rabbinerseminars von Adass Jisroel in Berlin beendete er seine Studien 1914 mit dem Rabbinerdiplom. Nach einer kurzen Lehrtätigkeit in Frankfurt und der Verpflichtung als Militärrabbiner kam er 1918 an die Synagoge des Synagogenverein Moabit und Hansabezirk.
Hier entwickelte er eine vielseitige Tätigkeit. Neben den Aufgaben in der Synagoge lehrte er an der dazugehörigen Religionsschule im Beth Hamidrasch in der Klopstockstr. 25 und übernahm die Leitung der Israelischen Union e.V. Diese betrieb verschiedene Einrichtungen zur Betreuung von Armen und Kindern sowie Einrichtungen zu deren medizinischer Versorgung. Auch in seinem Haus wurde jeder Bedürftige an den Tisch gebeten. Außerdem half er Rabbinerkandidaten und älteren Gelehrten aus Osteuropa dabei, in Berlin Fuß zu fassen und ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Eine wichtige Aufgabe bestand für ihn darin, seine Schüler in ihrer gesetzestreuen Religionsausübung zu bestärken.
Als die Schulen von Adass Jisroel sich 1933 auch für nicht-orthodoxe, jüdische Schüler öffneten, stellte er sich unentgeltlich als Lehrer zur Verfügung. 1939 konnte er mit seiner großen Familie über die Schweiz nach England emigrieren. Er starb 1966 in London.

Literatur zur Ausstellung:

• BOTHE, Rolf [Hrsg.]. Synagogen in Berlin. Zur Geschichte einer zerstörten Architektur. Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung im Berlin Museum. Berlin 1983. Teil 1 und 2
• BROOKE, Michael [Hrsg]. Die Rabbiner im Deutschen Reich 1871-1945. Berlin.2009
• DINKELAKER, Philipp. Das Sammellager in der Berliner Synagoge Levetzowstraße 1941/42. Berlin.2017
• ENGEL, Helmut u.a.[Hrsg.] . Geschichtslandschaft Berlin. Orte und Ereignisse. Band 2: Tiergarten. Teil 2: Moabit. Publikation der Historischen Kommission zu Berlin aus Anlass der 750-Jahr-Feier der Stadt. Berlin 1987
• GALLINER, Nicola [Hrsg]. Wegweiser durch das jüdische Berlin. Berlin 1987
• GOTTWALDT, Alfred. Mahnort Güterbahnhof Moabit. Die Deportationen von Juden aus Berlin. Berlin 2015
• REBINGER, Bill. Das jüdische Berlin. Kultur, Religion und Alltag gestern und heute. Berlin. Erweiterte Neuausgabe.20101
• ROSENSTOCK, Werner. Erinnerungen an das Hansaviertel. In: Gegenwart im Rückblick. Festgabe für die Jüdische Gemeinde zu Berlin 25 Jahre nach dem Neubeginn. Heidelberg. 1970. S. 303-313
• SINASOHN, Max [Hrsg.]. Adass Jisroel Berlin 1869 – 1939. Jerusalem 1966
• SINASOHN, Max. Die Berliner Privatsynagogen und Ihre Rabbiner 1671 – 1971. Jerusalem 1971
• https://www.stolpersteine-berlin.de/de/biografie/399. (Dr. Julius Lewkowitz). [aufgerufen am 10.09.2018]