Die Ausstellung war im Oktober 2021 in der Vitrine vor dem Rathaus Tiergarten zu sehen. Sie ist ein Teil eines Schulprojektes mit dem Französischen Gymnasium. Seit Dezember 2021 befindet sich die Ausstellung im Französischen Gymnasium und wird dort regelmäßig aktualisiert, zuletzt im Januar 2024.
Die versteckte Gedenktafel für die “Vermögensverwertungsstelle”
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Die Vermögensverwertungsstelle beim Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg:
Diese Behörde war ursprünglich ein Teil des Finanzamtes Moabit West in der Luisenstraße. Sie bearbeitete Ausbürgerungsfälle von deutschen Bürgern, die aus dem Deutschen Reich auswanderten. Dabei zog sie auch die sogenannte Reichsfluchtsteuer ein.
Im Oktober 1941 begann das nationalsozialistische Regime mit den systematischen Deportationen der Juden aus dem Deutschen Reich. In diesem Zusammenhang wurde die Ausbürgerungsabteilung nach
Alt Moabit 143 verlegt und ging dort in der am 1.Januar 1942 neu geschaffenen Vermögensverwertungsstelle
beim Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg auf. Ihre Leitung übernahm der zum Oberregierungsrat beförderte Willy Böttcher.
Ihre Aufgabe bestand darin, das gesamte Hab und Gut der geflohenen oder deportierten Juden zum Vorteil des Deutschen Reiches und seiner NS-Institutionen zu beschlagnahmen. Dazu arbeitete sie mit der Polizei, der Gestapo und der SS, dem Zoll und allen anderen staatlichen Institutionen, aber auch Banken, Vermietern, Versteigerungshäusern und Trödlern zusammen.
Es wurde alles beschlagnahmt, eingezogen und verkauft: Vom Grundbesitz über Geldvermögen, Kunst-gegenständen, Wohnungseinrichtungen bis zu Garderobe und Kinderkleidung.
Nach vorsichtigen Schätzungen wurden bei der sogenannten “Aktion 3” den Juden und Jüdinnen Deutschlands Vermögenswerte von umgerechnet ca. 15 Milliarden Euro geraubt.
Bereits in den achtziger Jahren war die Rolle der “Vermögensverwertungsstelle” beim Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg ausreichend bekannt und erforscht. Sie war genuiner Teil der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Ausplünderungsmaschinerie, die oft in vorauseilendem Gehorsam und mit erschreckender Kreativität ihre bürokratischen Werkzeuge gegen die deutschen Jüdinnen und Juden anwandte.
Nachdem schließlich an diesem historischen Ort eine Berliner Gedenktafel an ihre menschenfeindliche Tätigkeit erinnern sollte, fand in der Berliner Nachkriegszeit um diese Tafel ein beschämendes Schauspiel statt. Es ist hier dokumentiert.
Fast zehn Jahre hat es gedauert, bis nach der Initiative der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes 1994 die Tafel am historischen Ort in Alt Moabit 143 aufgestellt werden sollte. Stattdessen wurde sie auf den Einspruch von Oberfinanzpräsident Ingo Trendelenburg (s. Zeitungsartikel) an der Einfahrt zur Feuerwache in der Elisabeth Abegg-Straße* versteckt. Sie war dort für Ortsunkundige praktisch nicht auffindbar.
Dieser skandalöse Zustand hielt bis jetzt unverändert an. Deshalb haben wir eine Exkursion für den virtuellen und analogen Gebrauch entworfen und sind mit Schülerinnen und Schülern des Französischen Gymnasiums Tiergarten diesen Weg abgegangen. Zuletzt im September 2021. Ihre Eindrücke haben die SchülerInnen hier in einer aktuellen Dokumentation festgehalten. Sie war inzwischen Teil einer Ausstellung vor dem Rathaus Tiergarten (Oktober 2021) und ist seit Dezember 2021 im Französischen Gymnasium selbst zu sehen.
* Elisabeth Abegg, * 3.3.1882 Straßburg, † 8.8.1974 Berlin, Historikerin, Pädagogin, Widerstandskämpferin gegen das NS-Regime. Sie unterrichtete u.a. am Luisen-Gymnasium, das auch Ernst Boris Chain besuchte. Sie versteckte und half jüdischen und politisch verfolgten Menschen, die so fast alle überleben konnten.
Sie hätte es mit Sicherheit nicht zugelassen, dass die Gedenktafel in diesem Ort so versteckt aufgestellt wird.
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Zeitleiste zur Berliner Gedenktafel für die Vermögensverwertungsstelle
1985 Vorschlag des VVN ( Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Verband der Antifaschisten ) für eine Berliner Gedenktafel zur Erinnerung an die “Vermögensverwertungsstelle”.
Die Tafel wird hergestellt, aber nicht aufgestellt.
29.09.1988 Ankündigung im Tagesspiegel, dass demnächst eine Gedenktafel in Alt Moabit 143 aufgestellt werden soll.
1990 neuer aber vergeblicher Vorstoß, die Tafel aufzustellen.
Frühjahr 1994 Kurt Schilde entdeckt die Tafel im Rathaus Tiergarten. Bezirksbürgermeister Naujocks bereitet die Aufstellung der Tafel vor.
Am 17. Juni 1994 erhebt der Oberfinanzpräsident Ingo Trendelenburg ( s. Zeitungssartikel) gegen die vor dem ehemaligen Standort der “Vermögensverwertungsstelle” Alt Moabit 143 geplanten Aufstellung der Gedenktafel Einspruch. Darauf wird die Tafel an die Rückseite des Grundstücks vor die Einfahrt der Feuerwache Tiergarten verlegt.
Am 24. Juni 1994 enthüllen der Tiergartener Bezirksbürgermeister Wolfgang Naujokat und der Vorsitzende der Berliner Jüdischen Gemeinde Jerzy Kanal die Tafel.
1999 wird die Tafel zerstört, später wieder ersetzt.
2021 die Gedenktafel steht weiterhin für Ortsfremde nicht auffindbar in der Elisabeth-Abegg-Straße.
Am 22. September 2021 stehen Schülerinnen und Schüler des Französischen Gymnasiums Tiergarten vor der Tafel.
Am 10.Dezember 2021 bitten SchülerInnen des Französischen Gymnasiums und der Verein Gleis 69 in einem Brief den Bundesfinanzminister Christian Lindner um Abhilfe. Das betreffende Grundstück befindet sich weiterhin im Besitz der Bundesfinanzverwaltung.
Am 10.Februar 2022 erhalten wir aus dem Bundesfinanzministerium eine Antwort auf unseren Brief. Das Ministerium teilt unsere Ansicht, dass der jetzige Aufstellungsort für die Erinnerungstafel unangemessen ist und im Zusammenhang mit dem geplanten Neubau eines Bürogebäudes geändert wird. Die SchülerInnen des Französischen Gymnasium und Gleis 69 e.V. sollen bei dem weiteren Vorgang mit eingebunden werden.
Am 10. Februar 2022 erfahren wir ebenfalls auf unsere Anfrage aus dem Bundespräsidialamt, dass das neu zu bauende Bürogebäude dem Bundespräsidenten ab 2025 als Ausweichquartier dienen soll. In dieser Zeit wird sein eigentlicher Dienstsitz, das Schloss Bellevue, renoviert.
Inzwischen hat Gleis 69 e.V. von der Koordinierungsstelle Historische Stadtmarkierungen / Aktives Museum den Auftrag erhalten, die Gedenktafel in Obhut zu nehmen. Von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben werden wir informiert, dass die Tiefbauarbeiten im Mai 2022 beginnen.
Am 30.März 2022 bauen wir deshalb mit Hilfe der Feuerwache Tiergarten die Gedenktafel ab und nehmen sie in Obhut.
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Zeitungsartikel zur Gedenktafel für die “Vermögensverwertungsstelle”.
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Die Suche nach der Gedenktafel
Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern des Französischen Gymnasiums haben wir uns
am 22. September 2021 auf die Suche nach der Gedenktafel gemacht.
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Nach der Exkursion am 22.09.2021:
Die SchülerInnen des Französischen Gymnasiums erstellten in eigener Regie folgende Plakate,
die dann in die Ausstellung aufgenommen wurden:
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Außerdem haben wir uns am Ende der Exkursion die Frage gestellt, auf welchem Weg wir diesen unhaltbaren Zustand ändern können. Nachdem wir uns vergewissert hatten, dass der Bundesfinanzminister Eigentümer des betreffenden Grundstücks und damit unser Ansprechpartner ist, haben wir im Dezember 2021 an Christian Lindner in seiner Eigenschaft als Bundesfinanzminister geschrieben und eine erfreuliche Antwort erhalten.
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Bald darauf erfuhren wir von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, dass mit dem Beginn der Tiefbauarbeiten bereits im Mai 2022 zu rechnen sei. Deshalb entschlossen wir uns nach Absprache mit dem Aktiven Museum die Gedenktafel in Sicherheit zu bringen. So bauten wir sie am 30. März 2022 mit tatkräftiger Unterstützung der Feuerwache Tiergarten ab und nahmen sie in unsere Obhut.
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Seit März 2022 besteht weiterhin ein regelmäßiger Kontakt zur Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA). Die BIMA steuert das Bauvorhaben des Interimsbaus für den Bundespräsidenten. Er soll 2025 fertiggestellt sein.
Im März 2023 fand dazu ein Workshop für die beteiligten SchülerInnen zu diesem Thema statt. Er wurde gemeinsam von der BIMA und Gleis 69 e.V. veranstaltet. Dabei erfuhren die SchülerInnen den letzten Stand der Planungen für das Bauvorhaben und erarbeiteten gemeinsam eine Empfehlung für den optimalen Ort zur künftigen Anbringung der Gedenktafel.
Die Einbindung der SchülerInnen des Französischen Gymnasiums ist bereits auf der Website des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung festgehalten:
Auf dem Baugrundstück befand sich während der Zeit des Nationalsozialismus die Vermögensverwertungsstelle des Landesfinanzamtes, die für die Registrierung und den Einzug des Vermögens rassisch und politisch Verfolgter durch das NS-Regime zuständig war. Eine Gedenktafel am Grundstück erinnert daran mit folgendem Text:
„Auf diesem Grundstück befand sich die Vermögensverwertungsstelle beim Oberfinanzpräsidenten Berlin- Brandenburg. Sie war zuständig für die Registrierung und den Einzug des Vermögens rassisch und politisch Verfolgter durch das NS-Regime. Mit diesen Maßnahmen war sie Handlanger der SS und wichtiges Glied in der organisatorischen Kette der Deportation insbesondere jüdischer Mitbürger in die Vernichtungslager.“
Im Verlauf der Planung werden der für das Gedenktafelprogramm zuständige Verein Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. sowie die zuständigen Stellen des Bezirks und Senats eingebunden. Die Gedenktafel wurde am 30. März 2022 vom Verein Gleis 69 e.V., dem Verein Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. sowie Schülerinnen und Schülern des Französischen Gymnasiums Berlin abgebaut und für die Dauer der Bauarbeiten eingelagert. Ein neuer Ort für die Gedenktafel, möglichst an der Straße Alt-Moabit, soll mit den Beteiligten besprochen werden
Darüber hinaus ist den Künstlerinnen und Künstlern im geplanten Kunst-am-Bau-Wettbewerb eine Thematisierung der Historie des Grundstücks grundsätzlich möglich, wird aufgrund der Freiheit der Kunst aber nicht vorgegeben.
(Quelle:https://www.bbr.bund.de/BBR/DE/Bauprojekte/Berlin/Politik/buerogebaeude-bundesbehoerden/haeufig-gestellte-fragen.html – Stand 1.12.2023)
Quellen:
Aly, Götz. Hitlers Volksstaat. Fischer. Frankfurt 2005
Friedenberger, Martin, Klaus-Dieter Gössel und Eberhard Schönknecht (Hg.). Die Reichsfinanzverwaltung im Nationalsozialismus. Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz. Berlin 2005.
Knobloch, Heinz. Meine liebste Mathilde. Das Arsenal. Berlin 1986.
Schilde, Kurt. Versteckt in Tiergarten. Weidler. Berlin 1995
Schilde, Kurt. Bürokratie des Todes. Metropol. Berlin 2002