Bei der Arbeit an der vorangegangenen Ausstellung „Jüdische Künstlerinnen und Künstler in Tiergarten“ beschäftigten wir uns ausführlich mit der Persönlichkeit und dem Werk von Charlotte Berend-Corinth. Wir lernten, in welchem Umfang sie an Lovis Corinths Werk Anteil hatte und, dass sie selbst als Künstlerin und Malerin weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Und wir waren beeindruckt von ihrer Persönlichkeit und ihrem vielfältigen Lebenswerk.
Als wir dann feststellten, dass an dem langjährigen Lebensmittelpunkt der Familie Berend-Corinth in der damaligen Klopstockstr. 48 nur eine Berliner Gedenktafel für Lovis Corinth hing, reifte schnell der Entschluss, dass da Gerechtigkeit hergestellt werden müsse. Dank der guten Kooperation mit dem Aktiven Museum und der Senatsverwaltung für Kultur fanden wir bald eine befriedigende Lösung. Im Rahmen einer Ersatzbeschaffung wurde in kurzer Zeit eine Gedenktafel entworfen und genehmigt, die beide Persönlichkeiten ehrt. Aus Anlass dieser neuen Gedenktafel haben wir diese kleine Ausstellung zusammengestellt.
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Charlotte wurde am 25. Mai 1880 als zweites Kind einer bürgerlichen, assimiliert jüdischen Familie in Berlin geboren. Ihr Vater ist Fabrikant, ihre Mutter eine Bankierstochter. Seit dem vierten Lebensjahr zeichnet sie leidenschaftlich gern und bekommt auch bald Unterricht. Als Sechzehnjährige erklärt sie, Malerei studieren zu wollen. Nachdem sie die Aufnahmeprüfung in die Kunstschule in der Klosterstraße bestanden hat, kann sie trotz des anfänglichen Widerstand des Vaters ihre Ausbildung beginnen.
Im Februar 1900 nimmt sich ihr Vater nach dem Bankrott seiner Firma das Leben. Da sie die Kunstschule nicht weiter bezahlen kann , bewirbt sie sich an der “Malschule für Weiber” des Malers Lovis Corinth. Sie ist nun einundzwanzig Jahre alt.
Es dauert nicht lange, da wird sie Lieblingsschülerin, Modell, Muse und schliesslich Geliebte des Malers.
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Die Beziehung festigt sich weiter auf gemeinsam unternommenen Reisen. Bald kommt es mit einer standesamtlichen Trauung zur bürgerlichen Legitimation ihres Verhältntnisses.
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So wird Charlotte in dieser Künstlerpaarbeziehung neben der bisherigen Rolle als Muse und Modell auch die der Hausfrau und Mutter ausfüllen müssen. Vor allem nimmt ihr das Zeit und Energie für die eigene künstlerischen Arbeit, die sie aber nie aufgibt. Sohn Thomas wird 1904 und Tochter Wilhelmine 1909 geboren.
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Die Familie mietet in der Klopstock Str. 48 zuerst nur eine Wohnung, später das ganze Haus. Es bleibt der Familiensitz bis zu Lovis Tod. Das Ehepaar unternimmt ausführliche Reisen, auf denen Charlotte immer wieder zum Malen kommt. 1908 stellt sie Die schwere Stunde in der Secession aus. Das Bild zeigt eine auf ein Lager hingestreckte Gebärende. Es löst ein sehr unterschiedliches Echo aus. Wie viele andere Bilder von Charlotte ist auch dieses verschollen.
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1911 erleidet Corinth einen Schlaganfall. Charlotte pflegt ihn lange Zeit und muss dabei gleichzeitig seine Depression und Verzweiflung aushalten. Seine anfänglichen Lähmungserscheinungen gehen dank ihrer Pflege zurück. Die Depressionen begleiten ihn aber bis an sein Ende.
1914 bricht der erste Weltkrieg aus. Nach der anfänglichen Begeisterung stellt sich bald das Entsetzen über die Grausamkeit des Krieges ein. Charlotte will nach der Zwangspause durch Corinths Schlaganfall endlich wieder ihr Leben in Berlin genießen. Sie geht abends ins Theater, am liebsten ins Metropol. Der neue Star heißt Fritzi Massary als schöne Helena in der Operette von Offenbach. Den Menelaos spielt Max Pallenberg. Charlotte ist von Pallenbergs Kunst hingerissen. Die Verwandlung für einen Augenblick in einen anderen Menschen ist ein Mysterium. Es gelingt nur durch Arbeit , Disziplin, Talent und Intuition. Das versucht Charlotte aus nächster Nähe zu beobachten und darzustellen.
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So wird sie „Theatermalerin“. 1917 kann sie diese Lithographien in einer Ausstellung der Secession präsentieren. Ihre Graphiken gefallen und werden viel verkauft. 1919/20 arbeitet sie an weiteren Mappen mit Lithographien der bekannten Tänzerinnen Valeska Gert und Anita Berber. Zwischen Berber und ihr entsteht dabei eine innige Beziehung .
Um ihre Sommerurlaube in Ruhe zu verbringen, entschließt sich die Familie zum Bau eines Hauses in Urfeld am Walchensee. Corinth übernimmt die Kosten, aber Charlotte leistet die ganze Organisation und die Bauaufsicht. September 1919 kann die Familie schließlich dort einziehen. Corinth und der Walchensse werden zu einem festen kunsthistorischen Begriff. Charlotte preist die Jahre in Urfeld als ihre glücklichsten. Sie sorgt für den Alltag der Familie und für einreibungsloses Leben.
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Auch für Corinth ist das eine sehr produktive Zeit, die jedoch immer wieder von depressiven Einbrüchen gekennzeichnet ist.
Im Sommer 1925 unternimmt Corinth eine Studienreise nach Holland. Er möchte gerne wieder die Werke seiner Vorbilder Rembrandt, Rubens und Franz Hals besichtigen. Dort erkrankt er und stirbt schließlich am 17.Juli 1925 an einer Lungenentzündung. Nach der Beerdigung rettet sich Charlotte aus ihrer tiefen Trauer, indem sie Corinths Nachlass ordnet und ein Werksverzeichnis anlegt. So ermöglicht sie wenig später eine umfassende und sehr erfolgreiche Retrospektive seines Werkes in der Nationalgalerie.
Danach fängt Charlotte wieder an zu malen, es entstehen etliche Porträts.
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1930 gibt sie das Haus in der Klopstockstraße auf und zieht nach Italien. In Alassio an der ligurischen Küste hat sie sich eine Villa gemietet. Hier veranstaltet sie 1934 eine Ausstellung mit fünfzig Bildern.
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Hier erlebt sie auch eine große Liebe mit dem 20 Jahre jüngeren Fernando.
Im fernen Deutschland tobt inzwischen der Antisemitismus, und werden ihre Bilder als entartet verfemt.
Erst 1939 flieht sie endlich nach New York und kann dabei diejenigen von Corinths Bilder retten, die noch in ihrem Besitz sind.
New York, Kalifornien und wieder New York. Das sind ihre Stationen in Amerika. Sie malt unterbrochen von großen Reisen. Die kalifornischen Landschaftsbildern kommen gut beim Publikum an. Zurück in New York eröffnet sie eine Malschule und beginnt wieder, Porträts zu malen. Zu ihrer großen Freude zieht ihre Tochter mit drei Kindern nach dem Krieg in die USA.
Nach dem Krieg beginnt auch Charlottes Karriere als Schriftstellerin. Ihre Tagebücher erscheinen 1948. Es folgen autobiographische Schriften und Erzählungen. 1958 schließt sie Corinths Werkverzeichnis ab. In dieser Zeit folgen auch eine Reihe von Ausstellungen, so in New York, Berlin, München, Düsseldorf und Frankfurt. Die letzte und größte Ausstellung in der Nationalgalerie Berlin erlebt sie nicht mehr. Sie stirbt am 10. Januar 1967 mit 86 Jahren in New York.
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