Ein jahrhundertalter Konflikt wird wieder neu befeuert und ist ein Spiegel der aktuellen israelischen Innenpolitik.
Der Tod von Rabbiner Adin Steinsaltz am 14. August 2020 in Jerusalem hat einen jahrhundertalten Konflikt zwischen chassidischen Juden und streng orthodoxen Juden der litauischen Richtung wieder entflammen lassen.
Immer wieder stehen drei Fragen im Mittelpunkt:
– Soll nur eine kleine Elite Zugang zu den zentralen religiösen Texten erhalten oder alle Interessierten?
– Soll das Judentum sich durch Bewahren oder Erneuern auszeichnen?
– Was macht die Größe eines Rabbis aus?
Mit Rabbiner Adin Steinsaltz für Chabad und Rabbiner Elazar Shach, der noch an Jeshiwot in Litauen gelehrt hatte, werden zwei aktuelle Exponenten der beiden unterschiedlicher Richtungen gegen einander ins Feld geführt.
Die Orthodoxen litauischer Richtung wie Elazar Shach betonen das wortgetreue, streng an Thora und Talmud ausgerichtete Studium, das nur einem kleinen Kreis von Ausgewählten zugänglich sein soll.
Der Gaon von Vilnius, Elijah Ben Salomon Salman, hat sich deshalb bereits im 18. Jahrhundert eindeutig von den Chassiden abgegrenzt. Er belegte ihre Gemeinden mit einem Bann, verbot Ehen mit Chassiden und ließ ihre Schriften verbrennen. Ebenso griff er die aufkommende Haskala, die jüdische Aufklärung an. Für das Verständnis der religiösen Schriften hielt er dagegen die Kenntnis der naturwissenschaftlichen Wissenschaften für unverzichtbar. Rabbiner Esriel Hildesheimer vertrat hundert Jahre später in Berlin eine ähnliche Einstellung.
Elazar Shach kann für sich in Anspruch nehmen, die vom Nationalsozialismus und Kommunismus zerstörte Kultur der litauischen Jeshiwot gerettet und in aller Welt neu aufgebaut zu haben. So entwickelte er sich zu einer zentralen Figur dieser religiösen Bewegung. Hatte Ben Gurion bei Staatsgründung ihre kleine Schar von Anhängern nicht ernst genommen und sie vom Militärdienst zu Gunsten des Thorastudium befreit, so konnten sie tatsächlich in kurzer Zeit zu einer politisch einflussreichen Gruppe in Israel heranwachsen.
Adin Steinsaltz, als Sohn eines kommunistischen Spanienkämpfers in Jerusalem geboren, interessierte sich erst als Jugendlicher für die jüdische Orthodoxie und begann mit dem Studium an einer Chabad Jeshiwa und setzte dann seine Ausbildung mit einem wissenschaftlichen Studium an der Hebräischen Universität fort.
Steinsaltz nahm trotz seiner Nähe zum Chassidismus eine unabhängige Haltung ein und zog mit einer Mischung von Weltläufigkeit, Gelehrsamkeit und Neo-Chassidismus Studenten an, die sich durch ihr Interesse für die Neo-Orthodoxie mit nationalreligiösem Hintergrund auszeichneten.
Seine herausgehobene Stellung aber geht auf seine Talmud-Übertragung und Kommentierung zurück. Ein wahres Jahrhundertwerk , bei dem er er 2711 Doppelseiten der 1500 Jahre alten aramäisch-hebräischen Fassung erst ins moderne Hebräisch übersetzte, dann aber auch ins Englische und in andere Sprachen. So ermöglichte er es auch weniger in den heiligen Texten Erfahrenen eigene Studien anzustellen.
Während Steinsaltz Talmudauffassung in der Orthodoxie überwiegend Interesse fand, lehnten Shach und seine „Litauer“ sie scharf ab und verbannten sie aus dem Unterricht ihrer Jeshiwot. Ähnlich scharf lehnten sie den Messianismus der Chassiden ab, insbesondere die Auffassung, dass „der Rebbe“, der siebente Rebbe Menachem Mendel Schneerson der Messias sei.
Diese Vorstellung bezeichnete Shach als Häresie und wünschte Schneerson in die Hölle. Der Konflikt führte schließlich zu einem vorübergehenden Schisma in der Agudath-Bewegung Israels. Diese Bewegung war 1912 in Kattowitz / Oberschlesien gegründet worden, um die Einhaltung der Gesetze von Thora und Halacha in der Politik zu vertreten.
Den alten Konflikt befeuerten jetzt wieder Steinsaltz-Anhänger, indem sie in den sozialen Netzwerken provozierend fragten, welches Werk denn das Bedeutendere sei, die Talmud-Übertragung von Steinsaltz oder die Dissertation von Shach, die sich mit Maimonides Mishne Torah, einer Sammlung von anerkannten religiösen Gesetzen, beschäftigte.
Dieser Streit wird die Diskutanten noch viele Jahre beschäftigen, spiegelt er sich doch aktuell in den scharfen Auseinandersetzungen der israelischen Innenpolitik wider.
Anshel Pfeffer berichtete dazu am 16. August 2020 in Haaretz.
art-