„Der kalte Blick“ – eine bemerkenswerte Ausstellung

Rynek in Tarnów vor 1939. Foto Karol Fusiarski, Muzeum Okregowe w. Tarnowie.
Gesehen in „Der Kalte Blick“.
Rynek in Tarnów, 8.07.2013. TAL


Die Verbindung zu Tarnów, die außergewöhnliche Vorgeschichte der Ausstellung und eine zu Pandemiezeiten besondere Einladung zur Eröffnung am 20. Oktober 2020 waren Grund genug, diese Veranstaltung auch zu besuchen.
Sie ist auch noch im livestream anzusehen.

Die Rednerliste war hochrangig besetzt. Nach der Begrüßung durch die Direktorin der Stiftung Topographie des Terrors, Dr. Andrea Riedle, sprach die Staatsministerin Prof. Monika Grütters und verwies auf die Unterstützung aus dem Hauptstadt-Kulturfond für diese Ausstellung, Innensenator Andreas Geisel betonte vor allem die vielfältigen Verbindungen Berlins zu Polen und das Bekenntnis Berlins zu seiner jüngeren Geschichte, der polnische Botschafter Prof. Andrzej Przylebski verwies ebenfalls auf die Verpflichtung Deutschlands aus seiner Geschichte.

Dr. Katrin Vohland als Generaldirektorin des Naturhistorischen Museums Wien ging auf die Entstehung ihres Museums aus Habsburger Zeiten ein und auf die Inbesitznahme der anthropologischen Abteilung durch die Nationalsozialisten während des Dritten Reichs.

Zuletzt berichtete Dr. Margit Berner, die Kuratorin der Ausstellung, über die fast 35 Jahre dauernde Forschung zu der NS-bestimmten, anthropologischen Untersuchung an Juden in Tarnów und der daraus folgenden jetzigen Ausstellung. Reisen zwischen Tarnów, Wien, Kraków, Berlin und Washington D.C., eine Zusammenarbeit von vielen engagierten Menschen – Götz Aly wurde mehrmals genannt – und eine Reihe von glücklichen Umständen waren die Voraussetzung für das Gelingen.

Im Mittelpunkt standen zum einen zwei junge, ehrgeizige Anthropologinnen, die als Opportunistinnen die Zeit der deutschen Besetzung Polens für ihre Karriere nutzten, und zum anderen die 565 für eine fragwürdige Forschung missbrauchten polnischen Jüdinnen und Juden, die fast alle kurz darauf ermordet wurden. Die Untersuchung wurde nie abschließend ausgewertet. Die Fotos, Untersuchungsprotokolle und Namenslisten wurden nach der Auflösung des beteiligten Institut für Deutsche Ostarbeit in alle Winde verstreut und erst in jahrelanger mühseliger Kleinarbeit wieder zusammengeführt. Margit Berner engagierte sich besonders dabei, dem Schicksal der fotografierten Menschen und Familien nachzugehen und ihre Nachkommen zu finden.

Bilder Von Natan Katz. Naturhistorisches Museum Wien. Gesehen in „Der Kalte Blick“.


Um in die sorgfältig kuratierte Ausstellung hineinzufinden, benötigt man doch gut zwei Stunden. Der gut redigierte Katalog hilft einem dabei, insbesondere die Texte noch einmal nachzulesen. Wer Tarnów persönlich kennt, wird immer wieder von den Photos gefangen genommen. Das Bild der brennenden alten Synagoge läßt einen nicht los. Heute findet man an ihrem ursprünglichen Ort nur noch die stehengebliebene, steinerne Bima.
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Die alte Synagoge in Tarnów am 9.11.1939 von der deutschen Besatzung in Brand gesteckt.
Sammlung Marek Tomaszewski. Gesehen in „Der Kalte Blick“.
Die Bima der alten Synagoge in Tarnów nach 1945.
Gesehen in einer Ausstellung im Zentrum Tarnóws Juli 2018
Bima der alten Synagoge in Tarnów, 7.7.2013. TAL