Palästina, Ort einer wenig bekannten Erzählung.


Mit der Ringvorlesung zur Vielfalt Palästinas bietet die Freie Universität in diesem Wintersemester eine unbedingt benötigte kulturelle Zeitreise an. Damit nimmt sie in der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskussion die unverzichtbare Aufgabe wahr, einen akademischen und darüber hinaus gesellschaftlichen Raum zur Information und Auseinandersetzung anzubieten.

Den beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern u.a. aus den Bereichen der Islamwissenschaften, der Arabistik, der Osmanistik und Turkologie ist es zu danken, dass trotz Widerständen in der Universität diese Ringvorlesung im Rahmen des Offenen Hörsaals zustande gekommen ist.

Den Anfang machte an diesem Dienstag eine Nestorin der deutschen Islamwissenschaften Prof. Gudrun Krämer. Sie hat sich, in ihrem Fachgebiet hoch qualifiziert, auch bei emotional bestimmten Themen einen nüchternen wissenschaftlichen Blick bewahrt. Sie leitete die Ringvorlesung mit ihrem Vortrag zu „Zwei Völker in einem Land“: Koexistenz und Konflikt in Palästina / Israel“ ein. Dabei nannte sie die hier bestimmenden Themen wie Kolonialismus, Antisemitismus, Rassismus und Apartheid. In Deutschland bewegt sich die Diskussion besonders um Antijudaismus und Antisemitismus. Vorwürfe des Genozids und einer NS-Ideologie erfolgen von allen Konfliktparteien. Zwischen den Konfliktfeldern besteht eine ständige Interaktion und vielfältige Verflechtung. Aus Sicht der unterschiedlichen Weltregionen gibt es daher eine sehr unterschiedliche Wahrnehmung des Konfliktes.
Alle drei abrahamitischen Religionen erzählen zu Palästina ihre eigene religiöse Geschichte. Im Judentum ist es der Bund Gottes mit Abraham und Moses und das Versprechen, das Volk Israel in das Land Kanaan zu führen. Als Bauten stehen die beiden Tempel in Jerusalem dafür. Auch nach der Zerstörung des zweiten Tempels wird im Judentum die Sehnsucht und der Wunsch der Rückkehr nach Jerusalem wachgehalten.


Für die Christen ist es das Land der Propheten, der Geburtsort Jesu in Bethlehem und die Grablege in Jerusalem. Nach der Einführung des Christentums im 4. Jahrhundert durch Kaiser Konstantin für das gesamte römische Reich entstand eine anhaltende Pilgerbewegung zum Heiligen Grab in der Jerusalemer Grabeskirche.

Grabeskirche. Mayer, Luigi – Views in Palestine, London: R. Boyer, Historic Gallery, Pall Mall, 1804. Gemeinfrei.

Für die Muslime ist Jerusalem mit der Al Aksa Moschee und dem Felsendom der drittheiligste Ort. Von hier ist der Prophet Mohammed auf seine letzten Reise von Mekka aus in den Himmel aufgestiegen. Al Aksa war schon in den Zeiten der Kreuzzüge immer wieder bedroht und wird deshalb von der muslimischen Welt aufmerksam beobachtet. Um diese heiligen Orte versammeln sich verschiedenene Endzeitvorstellungen der hier angesprochenen Religionen.

Felsendom, davor Al Aksa Moschee. The skyline of Jerusalem, including the Dome of the Rock, as seen in
A Moslem Seeker after God“ (1920). Fotograf unbekannt. Gemeinfrei.

Erst im 19. Jahrhundert kommt es dann zu jüdisch bzw. arabisch bestimmten Nationalbewegungen, die erst säkular später auch religiös bestimmt sind. Dabei ist auch ein palästinensischer Nationalismus erkennbar. Ende des 19. Jahrhunderts beginnen die durch den Zionismus bestimmte jüdische Einwanderung nach Palästina und die nachfolgenden Konflikte mit den dort ansässigen Palästinensern. Sie halten über die israelische Staatsgründung 1948 und die Nakba bis heute an. Der aktuelle Konflikt zwischen Israel und Hamas lässt kein Ende erkennen. Welche Lösungsmöglichkeiten bestehen, ob eine Zwei-Staaten-Lösung oder eine Ein-Staaten-Lösung am Ende gefunden wird, ist nicht erkennbar. Erst der Likud, dann auch Hamas fordern für sich ein Land vom Jordan bis zum Mittelmeer. Der Konflikt um Land, Wasser, Recht auf Rückkehr, gegenseitige Anerkennung der Ethnie, Religion und Kultur besteht erst einmal weiter und ist bis jetzt durch die Asymmetrie der militärischen und wirtschaftlichen Macht Israels bestimmt.
Die Ringvorlesung wird fortgesetzt.

Selten habe ich bei einem so voll besetzten Hörsaal ein so aufmerksam und konzentriert zuhörendes Publikum erlebt. Der anschließende anhaltende Beifall zeigte, dass Inhalt und Format den Wünschen der ZuhörerInnen entsprach.

TOL-