Lydia Rabinowitsch-Kempner – eine feierliche Erinnerung

Dreihundertste Band der Jüdischen Miniaturen

Gestern fand im Robert-Koch-Institut (RKI)ein Festakt zu Ehren von Lydia Rabinowitsch-Kempner statt. Eigentlich hätte die Veranstaltung schon im letzten Jahr zu ihrem 150jährigen Geburtstag stattfinden sollen. Aber das hatte die Pandemie verhindert.
Pünktlich zu dem gestrigen Tag war auch die dreihundertste Ausgabe der „Jüdischen Miniaturen“ im Verlag Hentrich & Hentrich erschienen. Ihr Titel: Lydia Rabinowitsch-Kempner, Bakteriologie, Tuberkuloseforscherin, Berlins erste Professorin. Damit ist schon das Wichtigste über sie gesagt – aber nicht alles.

Prof Lothar Wieler bei seinem Grußwort am 12.10.2022. TAL

Das kam dann gestern zur Sprache. Prof Wieler, Präsident des RKI, beschrieb in seinem Grußwort Rabinowitsch-Kempners wissenschaftliche Pionierleistungen, auch während ihrer Zusammenarbeit mit Robert Koch im damaligen Königlich Preußischen Institut für Infektionskrankheiten, und das Ende ihrer Tätigkeit in der NS-Zeit. Gleichzeitig erinnerte er an eine Veranstaltung des RKI im letzten Jahr, bei der der zwölf Wissenschaftler*innen gedacht wurde, die als Juden 1933 entlassen worden waren. Abschließend zog er eine Parallele zur damaligen Volkskrankheit Tuberkulose und der heutigen Pandemie. Zu der Bewältigung von Covid-19 fordert er gesellschaftliche Solidarität ein.

Dr. Nora Pester bei ihrem Vortrag am 12.10.2022.. TAL

Anschließend schilderte Frau Dr. Pester, Inhaberin des Verlages Hentrich & Hentrich, die Geschichte der Buchreihe „Jüdische Miniaturen“, auch vor dem Hintergrund aktueller politischer Ereignisse. Interessant war, dass bei den vorgestellten Persönlichkeiten allein vierzig aus dem Bereich der Medizin stammten. Außerdem wies sie daraufhin, dass fast alle Persönlichkeiten in freien Berufen oder als Unternehmer tätig waren. Wahrscheinlich, weil es für Juden und Jüdinnen schwierig war angemessene Stellungen im Staatsdienst zu erreichen. Andererseits konnten sie so auch unbelastet durch Verwaltungszwänge ihre Kreativität und vielfältigen Fähigkeiten entfalten. Trotz ihrer gesellschaftlichen Verdienste im Ehrenamt und als Mäzene wurden sie dann in der NS-Zeit als Juden ausgegrenzt, verfolgt und zum Schluss ermordet. Die „Jüdischen Miniaturen“ sollen deshalb dazu dienen, diesen Menschen eine ehrende Erinnerung zu bewahren. Eine Aufgabe, die gleichzeitig von privater und staatlicher Seite wahrgenommen werden muss.


Der Herausgeber dieser Buchreihe, Dr. Hermann Simon, war erkrankt. An seiner Stelle übernahm seine Tochter Lea das Grußwort und beschrieb die Anfänge der Miniaturen-Reihe im Jahr 2003, noch unter dem Verlagsgründer Gerhart Hentrich. Eine Buchreihe, die mittlerweile einen guten Überblick über den Beitrag des deutschen Judentums zur Entwicklung von Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Industrie gibt. Dabei betonte Simon, dass ihr die Arbeit an dieser Reihe, die sie ebenfalls von Ihren Anfängen begleitet hat, weiterhin viel Spaß macht.

Einen anderen Blick auf Lydia Rabinowitsch-Kempner warf Dr. Benjamin Kuntz, Mitautor der dreihundertsten Jüdischen Miniatur. So schilderte er den Weg der damals Achtzehnjährigen zum Studium nach Bern, weil ihr als Jüdin im Zarenreich der Zugang zur Universität verwehrt wurde. Nach ihrer Promotion bewarb sie sich erfolgreich um eine Stelle bei Robert Koch, von dem sie die Arbeit an der Tuberkuloseforschung als ihr zentrales Lebensthema übernahm.

Telegraphische Bitte an Robert Koch zur Übernahme der Patenschaft für den Sohn Robert. Gesehen in der Veranstaltung 12.10.2022.

Auch privat war sie Robert Koch durch die Patenschaft für ihren ersten Sohn Robert eng verbunden. Nach langer Forschungstätigkeit in der Bakteriologie der Charité übernahm sie als Abteilungsleiterin das Bakteriologische Labor im Städtischen Krankenhaus Moabit, das damals ebenfalls Universitätsklinik war. Wenig später ernannte man sie zur Herausgeberin der Fachzeitschrift Zeitschrift für Tuberkulose.

Gesehen in der Veranstaltung 12.10.2022.

Neben ihrer weiterhin verfolgten Forschung zur bovinen Tuberkulose nahm sie auch gesellschaftliche Aufgaben wahr. So zur wissenschaftlichen Ausbildung von Frauen, zur Sexualerziehung und zur Stärkung von Frauen in ihrer beruflichen Laufbahn.

Gesehen in der Veranstaltung 12.10.2022.

Auf Grund ihrer eigenen Erfahrung mit drei Kindern setzte sie sich ebenfalls für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. Tragisch muss für sie als Tuberkuloseforscherin gewesen sein, dass sowohl ihr Mann als auch ihre Tochter an Tuberkulose verstarben.

Dr. Benjamin Kuntz in Diskussion mit Dr.Katharina Graffmann-Weschke. TAL

Zum Abschluss seines Vortrages diskutierte Kuntz mit der Mitautorin des erwähnten Bandes, Dr. Katharina Graffmann-Weschke, weitere Einzelheiten aus Rabinowitsch-Kempners Leben.

Sigrid Grajek singt. TAL

Die ganze Veranstaltung wurden durch Lieder aus den Zwanziger Jahren eingerahmt. Die Schauspielerin Sigrid Grajek sang Couplets von Friedrich Holländer und Otto Reuter und erinnerte damit an Bühnengrößen wie Claire Waldoff und Fritzi Massary.
Nach dieser rundherum gelungenen Veranstaltung konnten sich die zahlreich erschienenen Gäste schließlich bei einem Empfang miteinander austauschen.
TOL-