Im Rahmen der Ringvorlesung Die Vielfalt Palästinas – eine kulturelle Zeitreise gab es am Dienstag einen Vortrag mit dem Thema Jüdisches „Worldmaking“ im osmanischen Palästina. Der Judaist Prof. Lukas Muehlethaler hatte diese Aufgabe übernommen. Es war sein Anliegen, mit diesem Thema das verbreitete Bild von der verarmten und zurückgezogen lebenden jüdischen Gemeinde in Palästina richtigzustellen. Er beschrieb diese Gemeinde stattdessen als aktiv und weltzugewandt. Dabei bezog er sich auf den Begriff „Worldmaking“ von Nelson Goodman, der normativ, spirituell, praktisch zu verstehen ist.
Zur Einführung stellte er eine Karte aus dem Osmanischen Reich vor, die Sefad, Tiberias, Jerusalem und Hebron als die vier heiligen jüdischen Städte in Palästina zeigte. Sefad war als Zentrum der Kabbala und der jüdischen Gelehrsamkeit bekannt. Hier lebte im 16. Jahrhundert Joseph Karo, ein Rabbiner aus sephardischer Familie. Auf ihn geht der Schulchan Aruch (Der gedeckte Tisch), ein Kodex des jüdischen Rechts, der den Juden die Halacha in einer für das tägliche Leben geeigneten Form an die Hand gibt. Dabei bezieht er sich auf die Schriften von Maimonides und Jakob ben Ascher, die wiederum auf der Thora und dem babylonischen Talmud fußen. Der Rabbiner Moses Isserle aus Kraków hat einen weiteren Kommentar zum Schulchan Aruch nämlich Ha-Mappah (Das Tischtuch) verfasst. Die erste Fassung des Schulchan Aruch wurde 1565 in Venedig gedruckt. Durch spätere Kommentare vielfältig erweitert und weltweit verbreitet stellt er noch heute Richtschnur für das Judentum insbesondere für die jüdischen Orthodoxie dar.
Daneben gibt es aber auch Karo als Kabbalisten. In dieser Rolle stellt er die Mischna als Frau vor und führt mit ihr in seinem Tagebuch einen stillen Dialog in mystischer Tradition der Kabbala. Ebenfalls wirkte in Sefad Isaak ben Salomon Luria Aschkenazi. Er entwickelte als Kabbalist eine revolutionäre Erzählung von der Welt, wie sie eigentlich zu verstehen ist: Aus der Unendlichkeit kommt es nach einer Kontraktion zu einem Zersplittern der Gefäße. Gleichzeitig finden sich überall verteilt göttliche Gesichte. In diesem weiten Rahmen eines Durcheinanders ist es Aufgabe des Menschen, Gott bei der Wiederherstellung der Welt zu helfen. Da das oft nicht in einem Menschenleben möglich ist, entwickelt er das Bild der Seelenwanderung, eines zweiten Lebens. Also ein Weg, sich in der Welt gedanklich zu orientieren. Dabei hilft auch Etz Chajim (Der Baum des Lebens) der von Chaim ben Joseph Vital und Jakob ben Chajim Zemach entwickelt worden ist.
Neben der Vertreibung der sephardischen Juden 1492 aus Spanien und fünf Jahre später aus Portugal mit ihrer Ausbreitung in der ganzen Levante spielt das Auftreten von Shabbetai Tzwi (1626 – 1676 , in Smyrna / Izmir geboren) eine wichtige Rolle im Judentum. Nach dem Studium der lurianischen Kabbala erklärt er sich zu Messias und wird in dieser Rolle allgemein akzeptiert. Es folgt eine große Enttäuschung im Judentum, als die versprochene Offenbarung ausbleibt und Shabbetai Tzwi zum Islam konvertiert.
Danach findet eine kritische Distanzierung gegenüber der Kabbala statt, die eine gewisse Wiedererweckung in den mystisch-spirituellen Elementen des Chassidismus erfährt. Der Schabbat wird in der Gestalt von Braut und Bräutigam erlebt und rituell mit Tanz und Liedern überhöht. Teile davon finden sich jetzt im gesamten Weltjudentum.
Im 19. Jahrhundert werden die historischen Gräber von rabbinischen Gelehrten wieder entdeckt und wertgeschätzt. Es entsteht so etwas wie eine heilige Topographie. Orte, wie das Grab von Rachel am nördlichen Zugang von Bethlehem, werden zum Ziel von Gläubigen aller drei abrahamitischen Religionen, hier besonders von Frauen.
Seit dem 17. Jahrhundert hat sich bei den Juden Palästinas mit ihren unterschiedlichen Gruppen das Chaluqqa-System etabliert. Da sie unter ökonomisch schwierigen Umständen existieren, werden in der Diaspora regelmäßig Spenden für sie gesammelt. Abgesandte (meschulachim) sammeln das Geld bei den Gemeinden in der Diaspora. Dieses Geld wird als Pflichtabgabe für die Juden in Palästina betrachtet und sichert ihr Überleben. Die Mittel werden jeweils zu einem Drittel an die Schüler der Jeschiwot, an die Witwen und die verschiedenen Gemeinden verteilt.
Später schickten die Juden Palästinas auch rabbinische Gesandte (schadarim) in die verschiedenen Orte der Diaspora , nach Europa, nach Amerika, auch nach Indien, Australien und Neuseeland. Mit Empfehlungsschreiben und Reisegeld versehen machten sie sich auf die weiten Wege, wurden unterwegs wegen ihrer Gelehrsamkeit geschätzt und sorgten auch dafür, dass die Spendenfreudigkeit zugunsten der Juden Palästinas anhielt.
Im osmanischen Palästina Anfang des 19. Jahrhunderts lebten ca 300 000 Menschen, davon waren ca. 3% Juden, 10 % christliche Araber und die übrigen muslimische Araber.
Die Ringvorlesung wird fortgesetzt.
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