Stätten des Alltags – Synagogen in Polen.

Neustadtsynagoge in Dębica/ Podkarpackie. In den sechziger Jahren in ein Gebäude mit Geschäften umgewandelt.
Seit 2020 leerstehend, das Gebäude wird jetzt sukzessive renoviert. 2023. TAL

Ein Boxclub, ein asiatisches Lebensmittelgeschäft, ein Hallenbad oder gar eine orthodoxe Kirche: Synagogengebäude in West- und Nordpolen wurden und werden heute ganz unterschiedlich genutzt. Ist das schlimm? Pietätlos? Nur zehn Prozent der polnischen Jüdinnen und Juden haben den Holocaust überlebt. Die meisten jüdischen Menschen, die in den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reichs lebten, flohen schon vor 1938 von dort.

Christhardt Henschel, Zuzanna Światowy und Neele Menter mit Robert Parzer im Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften. l-k

Christhardt Henschel, Zuzanna Światowy und Neele Menter sind sich einig, dass Nutzungskonzepte wie die genannten besser seien, als die Gebäude verfallen zu lassen. Die drei Wissenschaftler arbeiten zusammen am Forschungsprojekt »Aneignung und Revitalisierung. Aushandlungsprozesse des deutsch-jüdischen Kulturerbes in Polen«, das sie am vergangenen Dienstag (25. 3.) im Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften vorstellten. Finanziert wird es von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Im Zentrum stehen die Synagogen in den ehemaligen deutschen Ostgebieten – eine geographische Region, die im Gegensatz zu Zentralpolen in dieser Hinsicht noch wenig erforscht wurde.

Zuzanna Światowy erinnerte daran, dass Synagogen im Judentum nicht – wie etwa Kirchen im Christentum – als heilige Stätten gelten, sondern als Orte der Begegnung und des Austauschs. Insofern seien neue säkulare Nutzungskonzepte nicht per se unangemessen. Mitgedacht werden muss dabei, dass die Gebäude zu den wenigen materiellen Spuren gehören, die es von den vertriebenen und ermordeten Juden dieser Orte noch gibt. In vielen kleinen Ortschaften seien, so die Wissenschaftler, oftmals keine Ressourcen vorhanden, um aus den dortigen, ehemaligen Synagogen Gedenkorte oder Museen zu machen. Das Bild wird noch komplexer, wenn man berücksichtigt, dass einige Synagogengebäude von den heutigen polnischen jüdischen Gemeinden an private Investoren verkauft wurden, nachdem sie ihnen vom polnischen Staat restituiert worden waren. Auf die Frage aus dem Publikum, ob sich deutsche Vertriebenenverbände eigentlich auch für das jüdische Kulturerbe in Schlesien oder Pommern interessierten, gaben die Wissenschaftler an, dass dies stark von engagierten Einzelpersonen oder den jeweiligen Kreisgemeinschaften der Landsmannschaften abhängt. In einigen Fällen besteht durchaus ein spürbares Interesse.

Die Vorstellung des Forschungsprojekts fand im März 2025 im Rahmen des Programms des Deutsch- Polnischen Hauses statt, das noch nicht materiell existiert. Das Deutsch-Polnische Haus startete 2022 als Projekt der Stiftung Denkmal (unter Einbeziehung des Deutschen Polen-Instituts (DPI)). Es hat den Auftrag, die deutsch-polnischen Beziehungen anhand von verschiedenen Formaten wie Ausstellungen, Podiumsdiskussionen, Buchvorstellungen und Stadtführungen zu untersuchen und kritisch mitzugestalten. Ein Team gibt es schon – dazu gehört auch der Historiker und Polonist Robert Parzer, der die Veranstaltung zu den polnischen Synagogen moderierte.

Gedenkstele am Ort der ehemaligem Kroll-Oper.
Hier hatte der Reichskanzler Adolf Hitler am 1. September 1939 den Angriff auf Polen verkündet. TAL

Als möglicher Standort wird das Gebäude der ehemaligen Kroll-Oper in unmittelbarer Nachbarschaft des Bundeskanzleramtes und des Bundestages anvisiert. Die Initiatoren sehen den Ort als passend an, weil dort nach dem Reichstagsbrand das Scheinparlament der Nazis tage. Hitler verkündete hier am 1. September 1939 den deutschen Überfall auf Polen. Ein höchst symbolischer Ort also, noch dazu dicht an den heutigen politischen Schaltstellen.

Veranstaltungen wie die hier besprochene erinnern daran, dass es auch im Hinblick auf das jüdische Kulturerbe in Polen noch viel aufzuarbeiten gilt. Deshalb unterstützen wir, dass das Deutsch-Polnische Haus möglichst bald seinen endgültigen Standort erhält. Der Erarbeitung und Vorstellung wissenschaftlicher Programme käme das sicherlich zugute.
l-k