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In dem beliebten Format „Jüdische Miniaturen“ des Verlags Hentrich & Hentrich ist jetzt ein Band auch zur Geschichte der Moabiter Schullandschaft erschienen.
Itai Böing, selbst langjährig Lehrer an der heutigen Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule, hat sorgfältig zu Leben und Werk eines geschätzten Kollegen, des Studienrates Prof. Dr. Eugen Wolbe, recherchiert.
Wolbe wurde 1873 in Berlin geboren. Sein Vater war anfangs in Berlin, später auch in Liegnitz als Kaufmann tätig. Dort absolvierte Wolbe einen Großteil seiner Schulzeit, wobei ihm als Juden nicht alle Schulen offen standen. Schon in der Schulzeit zeigten sich seine Selbstdisziplin und sein Fleiß beim Lernen. Diese Eigenschaften kamen ihm später im Studium ebenfalls zugute. Nach dem frühen Tod seines Vaters gelang es ihm mit Hilfe von Verwandten, der Unterstützung von Gönnern und seinen Einkünften als Hauslehrer ein breit angelegtes Studium zu finanzieren. Er hatte sich 1897 an der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin für die Hauptfächer Deutsch und Englisch eingeschrieben, und im Nebenfach für Französisch und Philosophie. Zum Abschluss des Studiums schrieb er seine Dissertation über John Home, einen schottischen Dramatiker.
Nach Referendariat, Probehalbjahr und Beschäftigung als Hilfslehrer trat er schließlich 1913 eine Oberlehrerstelle an der 5. Realschule in Moabit an. Damit konnte er auch an eine Familiengründung denken.
Neben seinem Engagement in der Schule pflegte Wolbe aber noch eine weitere Leidenschaft, er sammelte schon als Fünfzehnjähriger Autographen. Dabei brachte er es zu einer großen Sammlung und umfangreichem Wissen. Er verfasste schließlich zwei grundlegende Sachbücher auf diesem Gebiet . Seine Schaffenskraft ermöglichte ihm darüber hinaus noch weitere wissenschaftliche Tätigkeiten. So verfasste er eine Reihe von Biographien und gab ausgewählte Bücher neu heraus. Darunter schrieb er auch „Die Geschichte der Juden in Berlin und in der Mark Brandenburg“, ein Buch, das auch heute noch als Referenzwerk gilt.
Bei der Auswahl von Wolbes Veröffentlichungen scheinen auch Biographie und Interessen des Verfassers Itai Böing durch. Sei es bei „Major Burg“ die Stellung des Juden in Staat und Gesellschaft oder bei „Den Liedern des Mirza Schaffy“ die Erinnerung an Tiflis, den Kaukasus und die ungemeine Lebensfreude der dortigen Völker. Bei dem von Wolbe wieder herausgegebenen Buch „Ahasver in Rom“ von Robert Hamerling hat der Verfasser Feuer gefangen. Er geht mit Wolbe und dem Juristen Chaim Cohn dem Konflikt zwischen Juden und Christen bei der Schuldzuweisung an der Hinrichtung Jesu nach. Dabei trägt er mit ihnen rechtliche und historische Argumente zusammen, die belegen, dass das verantwortliche Handeln von der Verhaftung bis zur Hinrichtung beim römischen Statthalter und seinen Soldaten gelegen hat – und nicht beim Sanhedrin und damit bei den Juden. Zur falschen Darstellung im Neuen Testament führten nach dieser Beweislage religiöse und politische Beweggründe der Evangelisten, wie bei Johannes, um die Schuldfrage von den Römern weg zu den jüdischen Repräsentanten zu verschieben.
Bei der Würdigung „Der Geschichte der Juden“ kommt die Zeitgeschichte schließlich im Jahr 1933 bei der Machtergreifung Hitlers und der radikalen Veränderung der Lebensumstände der deutschen Juden an. Über hundert Jahre Emanzipation und Assimilation werden mit einem Federstrich beseitigt, und das deutsche Judentum sieht sich in kürzester Zeit wieder mit Ghetto und Pogrom konfrontiert.
Wolbe und sein ebenfalls jüdischer Kollege Arndt müssen ihre Schule verlassen. Mittlerweile heißt sie Fichte-Realschule. Wolbe stirbt 1938 wahrscheinlich nach einer Konfrontation mit Nazis unweit seiner Wohnung in Moabit an einem Herzversagen. Arndt wählt kurz vor der drohenden Deportation 1942 den Freitod. Aus ihrer Schule wird nach Kriegsende die Moses-Mendelssohn-Oberschule und dann die Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule, der letzte Tätigkeitsort des Verfassers.
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Mit der Widmung für eine von ihm sehr geschätzte Kollegin schließt der Verfasser den weiten Bogen. Er führt von einem Lehrer, fest im Kaiserreich und den damaligen Überzeugungen verwurzelt, über das Dritte Reich, in dem alle bürgerlichen Tugenden und die Menschenrechte ihren Wert verloren hatten, bis in unsere Gegenwart, in der die Fragen nicht weniger geworden sind und der Einzelne häufig seinen persönlichen Kompass überprüfen muss.
Ein kleines Buch, aber wie ein Kaleidoskop mit unerwarteten Sichtweisen. Lesenswert!
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Itai Böing. Eugen Wolbe, Lehrer und Privatgelehrter. Hentrich & Hentrich. Leipzig 2021
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