Ein Schtetl in den Beskiden.

Auf dem jüdischen Friedhof von Nowy Żmigród. TAL
Auf dem jüdischen Friedhof von Nowy Żmigród. TAL

Unverhofft stößt der Reisende in Nowy Żmigród, einer Kleinstadt in den Beskiden, auf einen der eindrucksvollsten Friedhöfe des südöstlichen Polens. Direkt an der Landesstraße 992 gelegen, weist ein Schild am Straßenrand auf ihn hin.

Sind unter der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg auch Teile zerstört und nach dem Krieg Grabsteine von der einheimischen Bevölkerung als Baumaterial missbraucht worden, findet man hier heute noch ca. tausend Grabsteine. Der älteste stammt aus dem Jahr 1742. 285 Grabsteine hat Katarzyna Dudek von der Jagiellonen-Universität Kraków 2014 dokumentiert.

Den heutigen Zustand verdankt der Friedhof dem Engagement von Jerzy Dębiec von der Society of New Żmigród Lovers. Zusammen mit Feuerwehrleuten der staatlichen Feuerwehr von Jasło und Schülern aus Bet Shemesh in Israel wurden umfangreiche Aufräumungsarbeiten geleistet. Seit 1990 steht der Friedhof unter Denkmalschutz.

Weitere Arbeiten an der alten Friedhofsmauer und ein Zaun um das Gelände sind geplant.
Im historischen Museum der Stadt befinden sich zahlreiche Zeugnisse der jüdischen Bürger und der Stadtgeschichte, ein Besuch dort lohnt auf jeden Fall.

Das Erlebnis dieses bemerkenswerten Friedhofs weckt auch das Interesse an Nowy Żmigród. Von der Adelsherrschaft im 13. Jahrhundert gegründet, erhielt der 0rt im 14. Jahrhundert die Stadtrechte nach Magdeburger Recht. In dieser Zeit konnten sich die Juden unter König Kasimier dem Großen in Małopolska, dem Kleinpolen mit Kraków als Hauptstadt, rechtlich gesichert niederlassen. Die ersten Zeugnisse jüdischen Lebens in der Stadt stammen aus dem Jahr 1410. Auf Wunsch der Adelsfamilie Stadtnicki siedelten sich Juden Anfang des 16. Jahrhundert in größerem Maße in Nowy Żmigród an. Sie sollten die Wirtschaft der Stadt und des Umlandes voranbringen. Dafür wurden sie den christlichen Stadtbewohnern rechtlich gleichgestellt. Bald entwickelten sie sich zur größten Gemeinschaft in der multiethnischen Stadtbevölkerung. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts erlebte die jüdische Gemeinde zusammen mit der Stadt eine wirtschaftliche Blütezeit.

Stadtansicht von Nowy Żmigród. Rechts vom Kirchturm die Synagoge. o.A. Gesehen im Dokumentationszentrum
und Historischen Museum Nowy Żmigród.
Viehmarkt in Nowy Żmigród.. o.A. Gesehen im Dokumentationszentrum und Historischen Museum Nowy Żmigród.

Nowy Żmigród lag an den Handelswegen zwischen Ungarn und dem polnisch-litauischen Staat. Gehandelt wurde mit ungarischem Wein, Pferden, Holz und Getreide. Aber die Juden waren auch in den Handwerken vertreten und betrieben Gasthäuser und Mühlen.

Bald wurde eine Synagoge gebaut und der Friedhof angelegt. Die jüdische Gemeinde von Nowy Żmigród übte auch die Rechtsprechung u.a. über die Gemeinden von Gorlice und Jasło aus. Sie beschäftigte einen Rabbi, einen Kantor und sieben Lehrer. Anfang des 18. Jahrhunderts entstand eine zweite Synagoge und der Friedhof.

Nach den Teilungen Polens 1772 geriet diese Region unter österreichische Herrschaft. Nowy Żmigród erlebte im Verlauf der Jahrhunderte mehrere Stadtbrände und im Grenzland zu Ruthenien und Ungarn gelegen zahlreiche Überfälle und Plünderungen. Im 19. Jahrhundert überflügelten sie die Nachbarstädte Gorlice und Jasło u.a. durch ihre Eisenbahnverbindungen. Damit kam es in der Folgezeit zu einem wirtschaftlichen Niedergang. Der jüdische Bevölkerungsanteil lag in dieser Zeit über 50%. Ein Großteil der Juden gehörte zu der ärmeren Stadtbevölkerung. Ende des 19. Jahrhunderts verfügte die Gemeinde über drei religiöse Schulen, eine Sparkasse und eine Bank. In der Gemeinde hatte mittlerweile die chassidische Glaubensrichtung großen Einfluss gewonnen. Zahlreiche bekannte Rabbiner waren in der Gemeinde tätig gewesen. Sinai Halberstam war hier der letzter Rabbiner. Er stammte aus der Dynastie des Zaddiks aus Sanz (Nowy Sącz), Rabbi Chaim Halberstam.

1905 ereignete sich nach der Anschuldigung des rituellen Kindermordes ein Pogrom. Die österreichische Verwaltung reagierte schnell und nahm die Schuldigen fest. Ein zweiter Pogrom fand 1918 nach Kriegsende statt, dabei wurden jüdische Läden geplündert und jüdische Häuser zerstört. In der Zeit nach dem ersten Weltkrieg wurde die verarmte jüdische Bevölkerung durch amerikanische Hilfsorganisationen wie Gemilut Chesed Association mit dem Nötigsten versorgt. Gleichzeitig waren auch zionistische Gruppen wie die AKIVA aktiv.

Mahnmal für die unbekannten Ermordeten auf dem jüdischen Friedhof von Nowy Żmigród. TAL

Mit der deutschen Besatzung 1939 wurden die Juden massiv in ihrem Leben eingeschränkt und beraubt. Bereits früh kam es zu willkürlichen Erschießungen. So wurden auf dem Friedhof Behinderte und Roma ermordet. Ab 1941 mussten rund 800 Juden in einem Ghetto leben, darunter auch Menschen aus umliegenden Dörfern. Im Juli 1942 wurden 1257 Juden am Hałbowska-Pass erschossen. Dort befindet sich jetzt eine Gedenkstätte am Ort des Massengrabes. Andere Juden aus Nowy Żmigród wurden in Warzyce erschossen oder nach Płaszów und Bełżec deportiert und dort ermordet.

Im heutigen Stadtbild Nowy Żmigróds findet man nur vereinzelt Hinweise auf seine jüdische Vergangenheit. Die Synagogen sind zerstört. Auf dem Grundstück der älteren steht ein Neubau mit einer Apotheke. Das Wissen ist aber in der Bevölkerung noch vorhanden.
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