Ein Kalenderblatt

Der Saalbau Gallus in Frankfurt, Ort der Verhandlungen ab April 1964 für den Auschwitz-Prozess 1963-65..
Fotograf Dontworry. Unter CC BY-SA 3.0

Mit manchen “Kalenderblättern” des Deutschlandfunk ist es so wie mit den realen Kalenderblättern. Man fühlt sich angesprochen, man hebt sie auf. So auch am 20. Dezember 2023, als der Dlf an den Beginn des ersten Auschwitzprozess erinnerte.

Der verdiente hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer hatte ihn in Frankfurt möglich gemacht. Dabei hatte sich Bauer nicht von dem überaus großen Aufwand für diesen Prozess abhalten lassen. – Und ein engagierter Berliner Geschichtslehrer hatte 1964 für seine Klasse einen Prozessbesuch organisiert.

Die Namen der dort angeklagten NS-Täter sind mir bis heute im Gedächtnis geblieben: Boger, Capesius, Kaduk, Mulka . . . und ihre Gesichter und ihr Auftreten. Aber auch wie dieser Prozess vor dem politischen Hintergrund der beiden gegensätzlichen deutschen Staaten stattfand. Personifiziert in Anwalt Prof. Friedrich Karl Kaul, der von der DDR beauftragt Holokaust-Überlebende als Nebenkläger vertrat und sich mit Dr. Hans Laternser verschiedene heftige Wortgefechte lieferte. Laternser wiederum vertrat mehrere NS-Täter in diesem Prozess als Verteidiger und Sinnesverwandter. Während dieser Prozess sehr stringent geführt wurde und zu abschließenden Urteilen führte, verlief der spätere Prozess gegen Angehörige des Reichssicherheitshauptamtes fast gänzlich im Sande.

Verantwortlich dafür waren höchstrichterliche Entscheidungen des Bundesgerichtshofes und eine harmlos verpackte, fragwürdige Gesetzesänderung. Das Netzwerk der Täter hatte gelernt, wie schwierig es der damaligen Rechtsprechung fiel, die Verantwortlichkeit von Vorgesetzten und die individuelle Schuld an dem Morden festzustellen. Erst Jahrzehnte später wurde die arbeitsteilige Teilnahme an der industriellen Ermordung von Menschen als Beihilfe und entsprechend strafrechtlich bewertet.
TOL