Wer sich heute im Oberverwaltungsgericht Berlin eingefunden hatte und bereit gewesen war, sich auf ein etwas ungewohntes Format einzulassen, erlebte eine Veranstaltung, die er so schnell nicht vergessen wird.
Christian Schröter, langjährig Gesicht der Deutsch-polnischen Gesellschaft eröffnete die hier bereits angekündigte Veranstaltung. Nach einigen einleitenden Hinweisen auf das fünfzigjährige Jubiläum der Gesellschaft stellte er den Autor der szenischen Lesung Dieter Schenk vor:
Jahrgang 1937, Tätigkeit am Landeskriminalamt in Wiesbaden, Studium an der Polizeiführungsakademie, Leiter der Kriminalpolizei in Gießen, dann an der Stabsstelle Interpol des Bundeskriminalamtes. Beendigung dieser Tätigkeit, da Schenk die Zusammenarbeit mit Unrechtsregimen ablehnte. Gründung der Koordinationsgruppe Polizei bei Amnesty International. Beschäftigung mit Wirtschaftskriminalität und NS-Verbrechen in Osteuropa. Seit 1998 Honorarprofessor an der Universität Łódź und Autor mehrerer Bücher und einer Fernsehserie. Deutsche und ausländische Ehrungen. . . .
Da immer wieder Mutmaßungen über Dr. Fritz Bauers Tod auftauchten – er war am 1. Juli 1968 tot in der Badewanne seiner Wohnung aufgefunden worden -, hat Dieter Schenk noch einmal sorgfältig alle Unterlagen einschließlich des Obduktionsbefundes überprüft und dann einen natürlichen Tod bestätigt.
Dann richtete sich die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Richterbank. Dort hatten Uwe Neumann in der Rolle des interviewenden Journalisten und Dr. Hans Josef Schöneberger als Dr. Fritz Bauer Platz genommen. Und es entspann sich ein Dialog, der zunehmend mehr fesselte und einen fast vergessen ließ, dass es sich hier um ein fiktives Interview handelte.
Zu Beginn ein kurzer Überblick über Bauers Lebenslauf: 1903 in Stuttgart in eine liberale jüdische Familie geboren, Jurastudium, jüngster Amtsrichter in der Weimarer Republik, politisch aktiv, SPD-Mitglied, 1933 KZ-Haft, Entlassung aus dem Staatsdienst, 1936 Emigration nach Dänemark, Flucht nach Schweden, dort Zusammenarbeit mit Willy Brandt. 1949 Rückkehr nach Deutschland.
Auf Vermittlung von Kurt Schumacher Landgerichtsdirektor und dann Generalstaatsanwalt in Braunschweig. . . . die Amerikaner hätten ihn nicht einstellen wollen, da sie ihm als Juden keine Unparteilichkeit im Richteramt zutrauten . . . dort führte er auch die Anklage gegen Otto Ernst Remer, seinerzeit Kommandeur des Berliner Wachbataillons und an der Niederschlagung des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 beteiligt. In diesem Prozess wurden die Beteiligten des 20.Juli rehabilitiert und vom Vorwurf des Landesverrat befreit. Das Gericht stellte fest, dass das NS-Regime ein Unrechtsregime dargestellt habe und daher Widerstand rechtens gewesen sei.
1956 ernannte ihn Ministerpräsident Zinn zum hessischen Generalstaatsanwalt. In dieser herausgehobenen Rolle sah er sich ständigen Anfeindungen ausgesetzt, scheute sich aber auch nicht, für entsprechende Anlässe zu sorgen. So nannte er bei einem Gefängnisbesuch die vor ihm versammelten Männer Kameraden. Da wird er seine eigene Zeit im Gefängnis vor Augen gehabt und mehr Nähe zu den Gefängnisinsassen als zur Gesellschaft draußen empfunden haben. Im übrigen lehnte er vehement die Vorstellung ab, dass in der NS-Zeit nur einige wenige Schuld auf sich geladen hätten und der Großteil des deutschen Volkes nur Mitläufer gewesen sei. Schließlich sei Hitler zum Reichskanzler gewählt worden und ohne eine Gefolgschaft hätte es keinen Führer gegeben. Die Deutschen hätten die Reichspogromnacht beobachtet, die Kennzeichnung mit dem Judenstern und die Fremdarbeiter. Ängstlich und feige hätten sie bis zum bitteren Ende ausgeharrt.
Bauers intensive Bemühungen, um Beweise für NS-Verbrechen ausfindig zu machen, fanden in den vom Kalten Krieg geprägten fünfziger und sechziger Jahren statt. Damals waren Verdrängen, Vergessen und Verharmlosen der NS-Zeit angesagt. Bauers pragmatischen Kontakte nach Polen und in die DDR passten da überhaupt nicht in die politische Landschaft. Im Gespräch setzte er immer wieder den Interviewer in Erstaunen, wenn er ihm offenlegte, in welchem Umfang damals das gesamte Bundeskriminalamt strafrechtlich relevant NS-belastet war. Im Gerichtswesen sah es nicht viel besser aus. So eröffnete Bauer zahlreiche Verfahren gegen Mitarbeiter wegen des Verdachtes auf Straftaten in der NS-Zeit. Er musste sie aber alle wieder aufgrund der damals verbindlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes einstellen, da er den Betreffenden keine vorsätzliche Rechtsbeugung nachweisen konnte. Juristen bestätigten also Juristen, bei ihrer Rechtsprechung ausschließlich nach geltendem Recht entschieden zu haben und damit straffrei geblieben zu sein. Was sie tatsächlich zu ihren Urteilen bewogen haben mag, können nur sie selbst beantworten.
Bauer ließ in dem Gespräch mehrmals erkennen, wie sehr es ihn belastet hat, wenn er bei geschätzten und unverzichtbaren Mitarbeitern von deren Unrechtshandeln erfuhr. Auf Nachfrage blieb er da gelegentlich eine Antwort schuldig.
Einen Erfolg stellte sein Frankfurter Auschwitz-Prozess dar. Schon den Verhandlungsort und den Umfang des Prozesses durchzusetzen, bedeutete Kampf. Selbst die Notwendigkeit einer Reise nach Auschwitz wurde dem Gericht bestritten. Schließlich wurden 211 Überlebende in dem Prozess angehört. Sie sahen sich dort selbstsicheren Tätern gegenüber, die ein ungebrochenes Verhältnis zu ihrer Vergangenheit hatten. Dabei musste sich das Landgericht in seiner Prozessführung an die Vorgaben des BGH halten und den „Täterwillen“ nachweisen, um keinen Revisionsgrund zu liefern. Es wurden sechs Angeklagte zu lebenslänglicher Haft verurteilt, elf weitere Angeklagte erhielten lange Haftstrafen. Wichtiger war es für Bauer aber, ein neues Geschichtsbewusstsein in der Gesellschaft zu wecken.
Ein weiteres Verdienst Bauers stellten die Verurteilung von Euthanasie-Tätern dar, die Untersuchungen zur Tätigkeit des Staatssekretärs Globke, der durch seinen Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen gerichtsbekannt war, und seine Beteiligung an der Ergreifung und Verurteilung von Adolf Eichmann. Zu der Frage, wie er sich als erklärter Gegner der Todesstrafe zum Todesurteil gegenüber Eichmann stellte, wollte er sich nicht eindeutig äußern. Bauer hatte israelische Behörden von seinen Erkenntnissen zum Aufenthalt Eichmanns informiert und damit vermieden, dass Eichmann durch deutsche Dienste gewarnt werden konnte.
Das Gespräch auf der Richterbank unterbrach Jan Melrose an verschiedenen Stellen mit klug ausgesuchten musikalischen Darbietungen und gab so den ZuhörerInnen Gelegenheit, dem Gehörten für einen Augenblick nachzusinnen.
Am Ende galt den Beteiligten ein herzlicher und langer Beifall für dieses besondere Erlebnis. Es hatte einem so deutlich vor Augen geführt, welchen nachhaltigen Eindruck die direkte Beziehung zu handelnden Künstlern beim Zuschauer auszulösen imstande ist. Mir war es ein tiefes Bedürfnis, mich bei dem Autor und den Schauspielern für diesen eindrucksvollen Abend persönlich zu bedanken.
TOL-
Ein Gedanke zu „Fritz Bauer – in einer szenischen Lesung im OVG.“
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