Neues von der Deportationsrampe

Topographie des Terrors auf dem ehemaligen Grundstück Prinz Albrecht-Str.8, Sitz der Gestapo-Zentrale bis 1945. TAL

Der lang erwartete Runde Tisch zum Gedenkort Güterbahnhof Moabit und der damit verbundenen, denkmalgeschützten Deportationsrampe wurde am 3.November 2022 in der Topographie des Terrors eröffnet. Frau Dr. Riedle als Hausherrin hatte dankenswerterweise die nicht ganz leichte Aufgabe der Moderation in der großen Gesprächsrunde übernommen.
Staatssekretär Dr. Wöhlert von der Senatskulturverwaltung begann mit einem Grußwort, in dem er auf die Wichtigkeit des ehemaligen Güterbahnhofes als einzigartigem, authentischen, für die Deportation der Berliner Juden zentralen Ort hinwies. Nach dem 2016 festgestellten Denkmalschutz brauche der Ort mehr Aufmerksamkeit und eine angemessene Umgebung. Den Zustand der Deportationsrampe bezeichnete er als bedenklich und besorgniserregend.

Zustand der Deportationsrampe am östlichen Ende im Februar 2020. TAL

Die Senatskulturverwaltung wolle dem BA Mitte für die notwendige Veränderung der Situation zur Seite stehen und es unterstützen. Als nächster Schritt stände eine Machbarkeitsstudie für den Erhalt der Rampe und eine Weiterentwicklung des Konzeptes für den Gedenkort an. Eine weitere Überbauung der Rampe schloss er aus. Gleichzeitig verwies er auf die angespannte Haushaltslage im Land Berlin.
Anschließend gab die neue Bezirksbürgermeisterin von Mitte, Frau Remlinger, ein kurzes Statement zum Gedenkort, für den sie als wichtigen Bestandteil der Berliner Erinnerungslandschaft ein angemesseneres Umfeld forderte. Auch sei die notwendige Sichtbarkeit der Deportationsrampe nicht gegeben. Wie im Land so seien aber auch im Bezirk die Mittel begrenzt.

Die Deportationsrampe bei einer Lichtinstallation am Holokaust-Gedenktag Januar 2020. TAL

Frau Dr. Riedle stellte die dringliche Restaurierung der verrottenden Spundwand als Teil der historischen Deportationsrampe in den Vordergrund. Nachdem die Deutsche Bahn zusammen mit dem Landesdenkmalamt im März 2022 am Gedenkort einen Ortstermin abgehalten hat, steht die technische Machbarkeit einer Restaurierung außer Frage. Auch auf das schwierige Umfeld des Gedenkortes, die Parkplatzzufahrt über die Deportationsrampe und die parkenden Autos auf der Deportationsrampe ging sie ein. Durch die ungünstige Lage würde dieser Ort wenig wahrgenommen. Deshalb benötige er mehr Aufmerksamkeit, z.B. durch eine Open-Air-Ausstellung und das aktive Einbeziehen in Bildungsarbeit. Das belegte sie mit einer Reihe von Bildern, die die unbefriedigende Situation am Gedenkort und der Deportationsrampe unterstrichen.

Dazu ergänzend Bilder aus dem Archiv von Gleis 69 e.V.

Auffahrt zum Lidl-Parkplatz über die darunterliegende Deportationsrampe. Juli 2021. TAL
An der Deportationsrampe am 6.Dezember 2018.
Das Credo des Vereins Gleis 69. TAL


Frau Dr. Kotowski von der Moses-Mendelssohn-Stiftung erläuterte das Vorhaben des Else-Ury-Campus am Gleis 17. Dabei wies sie auf die Wichtigkeit von historischen Zeitzeugnissen für ein zukünftiges Gedenken hin. Dieses Gedenken müsste vor allem die junge Generation erreichen und mit einbeziehen.
Frau Blendin von der Stiftung Exilmuseum am ehemaligen Anhalter Bahnhof erläuterte ihr Projekt, dass neben den im Dritten Reich ins Exil Gegangenen auch die Deportation der über 10 000 Berliner Juden von diesem Bahnhof abbilden soll. Ebenfalls soll die Rettung jüdischen Lebens durch die Kindertransporte hier verdeutlicht werden.
Beide Projekte werden jeweils durch private Stiftungen getragen.

Graphik aus dem Entwurf des Bebauungsplans B II – 184 ( Abgerufen 9.11.2020).
Denkmalkarte Berlin (Abruf 16.03.2022) mit nachträglicher Eintragung der Eigentümer.

Herr Giebel vom Stadtplanungsamt / BA Mitte schilderte im Zusammenhang mit dem Gedenkort und der denkmalgeschützten Deportationsrampe den Stellenwert des dort vorbereiteten Bebauungsplans. Dabei ging er auch auf die Eigentümersituation in diesem Bereich ein. Außerdem beschrieb er die Interessen des Discounters Lidl , seinen Standort für die Nahversorgung, die Zufahrt über die Ellen-Epsteinstraße und dessen Wunsch nach Ausweitung der Verkaufsfläche.
Frau Dr. Schulte vom Landesdenkmalamt beschrieb den umfassenden Denkmalschutz, der seit 2016 für den Gedenkort und die Deportationsrampe besteht. Bei einer archäologischen Untersuchung 2018 durch Restaurierung am Oberbaum (RAO) konnte die Kontinuität der Deportationsrampe unter der Aufschüttung nachgewiesen werden.

Spundwand als vordere Begrenzung der Deportationsrampe, Grabungssituation am 12.09.2018. TAL

Gleichzeitig legte RAO ein Konzept für die zukünftige Gestaltung der Rampe und eine Kostenschätzung vor. Dabei sollte die Sicherung der historischen Substanz und Ihre Sichtbarmachung im Vordergrund stehen. Nach Frau Dr. Schulte handelt es sich bei der Deportationsrampe um ein unbedingt erhaltungswürdiges Bauwerk von hohem gedenkpolitischen Wert. Das aktuelle Konzept der Deutschen Bahn belegt ebenfalls die Umsetzungsfähigkeit der Restauration.

Luftaufnahme der Rampe 2018 (Länge in Ost-West-Richtung 140 m, Tiefe in Nord-Süd-Richtung 20 m).
Mit freundlicher Genehmigung von Restaurierung am Oberbaum.


Herr Königsberg als Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde Berlin regte im Zusammenhang mit dem Gedenkort und der Deportationsrampe an, auch die Geschichte dieses Ortes nach 1945 und die Rolle der Deutschen Reichsbahn und der Bundesbahn dabei zu beleuchten. Außerdem forderte er, für Hinweise auf diesen historischen Ort zu sorgen. Gleichzeitig setzte er den gedenkpolitischen Stellenwert des ehemaligen Güterbahnhof Moabit so hoch an, dass er es auch für notwendig befand, für die weitere Zukunft dieses Ortes das Land Berlin bzw. den Bund in die Pflicht zu nehmen.
Frau Weißler als Mitglied des früheren Bezirksamtskollegium Mitte wollte die Aufmerksamkeit auf den Weg zwischen der ehemaligen Synagoge Levetzowstraße und dem ehemaligen Güterbahnhof Moabit lenken und sprach der denkmalgeschützten historischen Deportationsrampe den Charakter eines Bauwerks mit der Einordnung als „Artefakt“ ab.

Zwischen Baumarkt und Discounter – die Situation vor der Realisierung des Gedenkortes durch raumlaborberlin (2015). TAL

Prof. Liesegang vom raumlaborberlin war zusammen mit Francesco Apuzzo für den realisierten Entwurf des Gedenkortes verantwortlich und schilderte die schwierige Arbeit bei seiner Verwirklichung. Gleichzeitig stellte er infrage, für wie lange der Gedenkort in seiner jetzigen begrenzten Form eine Berechtigung habe.
Prof. Wildt von der Humboldt Universität und Prof. Neumärker von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas betonten als ausgewiesene Historiker übereinstimmend die dringende Notwendigkeit, den Zustand dieses historischen Ortes zu verändern und ihn sichtbar zu machen.

Situation am östlichen Ende der Deportationsrampe/Gleis 69 vor Realisierung des Gedenkortes (März 2017). TAL

Frau Stemmler als Vertreterin der Firma Lidl beschrieb den dortigen Lebensmittelmarkt als umsatzstark und Teil der Nahversorgung. Gleichzeitig bestünde der Wunsch nach Ausweitung der Verkaufsfläche und dem Erhalt des Parkplatzes verbunden mit der Auffahrt von der Ellen-Epstein-Straße.
Lidl stelle sich dem gesellschaftlichen Wunsch nach einer Umgestaltung des historischen Ortes und habe sich auch schon mit der Frage eines Ersatzgrundstückes im Nahbereich beschäftigt. Die Kosten dafür bewegten sich aber in einem mehrstelligen Millionenbereich. Gleichzeitig betonte Frau Stemmler die Bereitschaft der Firma Lidl an einer angemessenen und befriedigenden Lösung für diesen Ort beitragen zu wollen. In dem Zusammenhang brachte Frau Dr. Riedle die Nutzung des brachliegenden Flurstück 275 ins Gespräch, das der Firma CA Immo gehört.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der überwiegende Tenor dieses Runden Tisches dahin ging,
die Substanz der Deportationsrampe zu retten,
den historischen Ort sichtbar und
für die Öffentlichkeit erkennbar zu machen.
Dazu ist der politische Wille der Entscheidungsträger, Kreativität und Entschlussfreudigkeit aller Beteiligten notwendig, um nicht das Schicksal des ersten Runden Tisches 2006 unter Vorsitz von Prof. Nachama zu erleben, der als Ergebnis nur eine regelmäßig übersehene Informationsstele erreichen konnte.

Informationsstele zum ehemaligen Güterbahnhof Moabit. Im Herbst 2021 vom BA Mitte entfernt. TAL
Die Botschaft, die jugendliche Besucher einer internationalen Gruppe 2020 am Gedenkort hinterlassen haben.
Kürzer und eindrucksvoller lässt sich der Eindruck nicht fassen. TAL

TOL-