Gewalt im Museum?

Prof. Raphael Gross, Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum. TAL

Die Veranstaltung am 30.März 2022 im Deutschen Historischen Museum (DHM) gehört zu einer Reihe von Veranstaltungen für ein geplantes Dokumentationszentrum zur Geschichte der Deutschen Besatzungsherrschaft über Europa. Das DHM hat dazu auf Grund eines Bundestagsbeschlusses von 2020, wie Raphael Gross als Direktor des DHM immer wieder betont, den Auftrag für die Vorbereitung erhalten. Kritische Stimmen aus der Museums- und Gedenkstättenlandschaft merken dazu an, dass diese Aufgabe auch in einem Netzwerk vorhandener Institutionen statt in einer dominierenden Einrichtung hätte wahrgenommen werden können.

Prof. Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und Prof.Gross. TAL

Diese Tagung hatte sich vor allem den Kunstraub des NS-Staates während der Besetzung Europas zum Thema genommen. Jens-Christian Wagner von der Gedenkstätte Buchenwald zeigte dazu den Rahmen für die Betrachtung auf: Das Deutsche Reich hatte damals seinen Machtbereich auf 300 Millionen Menschen ausgedehnt, über 20 Millionen haben dabei kriegsbedingt und als Minderheiten gezielt durch Verfolgung ihr Leben verloren. Bei der geschichtlichen Darstellung soll individuelles Leid und Massenmord dargestellt werden, aber auch die unterschiedlichen politisch und geographisch geprägten Lebensbedingungen. Welche Objekte lassen sich dafür heranziehen? Ist ein forensisches Herangehen ein angemessener Weg? Der schließt Relativierung durch Geschichtsvergessene aus, benötigt aber auch Vorwissen beim Besucher. Dabei wird das Element der Erzählung dominieren, das Objekt sorgt für Anschaulichkeit, muss aber in seiner Botschaft auch entschlüsselt werden. Eine eminent wichtige Funktion haben Fotos, mit denen aber unbedingt quellenkritisch umzugehen ist. Sie wollen didaktisch kompetent und gleichzeitig ethisch verantwortbar eingesetzt werden. Als Beispiel führt Wagner dafür die Berichterstattung über das Massaker in Gardelegen an. Unmittelbare Zugänge eröffnen Tagebücher und Briefe zu den damaligen persönlichen Erlebnissen und Einschätzungen. Hier treten Opfer auch als Handelnde auf. Ihre Äußerungen können erklären, was sie zu Opfern gemacht hat, und geben auch Hinweise auf auf die Motive der Täter. Sie stellen aktuelle Bezüge her und ermöglichen dem Leser eigene Reflexionen.

Prof.Julie S. Torrie, St.Thomas University, Fredericton, Canada und Dr.Utz. TAL

Frau Julie S. Torrie, St.Thomas University, Fredericton, Canada, stellte die zwiespältige Rolle der deutschen Besatzer in Frankreich vor. Dazu demonstrierte sie verschiedene deutsche Reiseführer speziell für diesen Personenkreis, der sich oft selbst eher als Besucher als machtausübender Besatzer verstand. Er war an der Kultur, der Landschaft und der Küche interessiert, zeigte sich selbst als kultivierter Besucher im Café und im Straßenbild. Deshalb benutze die Militärführung in den ersten Kriegsjahren Frankreich gern auch als Ruheraum für im Einsatz strapazierte Truppenteile. Das änderte sich mit Beginn des Russlandfeldzuges und des zunehmenden Widerstandes in Frankreich. Aufschlussreich waren Beobachtungen, dass sich Soldaten nach einer längeren Stationierung in Frankreich zunehmend dem dortigen Lebensstil anpassten und damit bei anderen Soldaten, von der Ostfront nach Frankreich versetzt, erhebliches Befremden auslösten.

Anschließend gab Fritz Backhaus als Direktor der DHM-Sammlungen einen Überblick über die Zusammensetzung der dort vorhandenen Objekte. Er unterschied bei dem deutschen Besatzungsregime im Zweiten Weltkrieg, wie weit es sich auf die verschiedenen „arischen“ und „nicht arischen“ Bevölkerungen auswirkte. Dementsprechend setzen sich auch die Objekte unterschiedlich nach Art der Ausplünderung zusammen . Abhängig von Zerstörung, Zwangsarbeit oder Vernichtung der Bevölkerung. Zehn Prozent des DHM-Bestandes stammen aus dem Zweiten Weltkrieg. Ein großer Anteil der Sammlung aber wurde bereits in preußischen und DDR-Zeiten angelegt. Die Objekte lassen sich auch unterschiedlich einordnen, so aus Sicht der Besatzer und aus aus rassistischer Sicht. Eine Reihe von Objekten liegen als Gemälde, Bilder und Zeichnungen vor, aber auch auch als Erzeugnissen von Zwangsarbeiter und Häftlingen als Beweis von Widerstand. Diese Objekte sind in der DDR-Zeit gern als Zeichen für den kommunistischen Widerstand interpretiert worden und bedürfen unter Umständen einer neuen Bewertung.

Julia Franke, Dr. Utz, Lili Reyels – alle DHM. TAL

Die Kuratorinnen des DHM, Frau Julia Franke und Frau Lili Reyels, berichteten dazu über einzelne Objekte: Holzschuhe, die eine Zwangsarbeiterin in einem ungenannt gebliebenen Betrieb in Coburg trug. Sie sicherten ihre Arbeitsfähigkeit, damit Nahrung und Überleben. Ein Reichskreditschein, den die deutsche Besatzung zur „Bezahlung“ nutzte und damit die besetzten Länder legalistisch ausplünderte. Davon wurden Scheine im Gesamtwert von 20 Milliarden Reichsmark im Umlauf gebracht. Ein Strohkästchen als traditionelles Produkt Osteuropas. Zwangsarbeitern stellten es in großem Umfang her und nutzten es als Tauschobjekt zur Verbesserung ihrer Lebenslage.

Frau Meike Hopp von der Technische Universität Berlin stellte die unüberwindlichen Schwierigkeiten bei der Kategorisierung und Quantifizierung der von der deutschen Besatzung geraubten Objekte vor. Allein aus den besetzten Niederlande, Belgien und Frankreich brachten 674 Züge Raubgut ins Deutsche Reich. Ihre Ladungen stammte überwiegend aus jüdischem Besitz. Die Möbel dienten deutschen Ausgebombten dazu, sich wieder einzurichten. Im zunehmendem Umfang war der Einsatzstab Rosenberg am Kunstraub in den besetzen Ländern beteiligt. Anfangs war der Chefideologe der NSDAP im westlichen Europa unterwegs und eignete sich dort durch Raub und Erpressung vorwiegend jüdische Kulturgüter an. Häufig in Konkurrenz zu anderen Institutionen wie dem Außenministerium, der SS und von Goebbels beauftragten Dienststellen. Nach dem Einmarsch in Jugoslawien und dem Überfall der UdSSR dehnte der Einsatzstab seine Raubzüge auch dorthin aus. Legitimiert durch Anordnungen des Führers. Durch die oft ungeordnete Inbesitznahme vervielfachte sich dabei der angerichtete Schaden. Weniger interessante Güter wurden zerstört. Transporte blieben insbesondere beim deutschen Rückzug stecken und gingen verloren. Aufgrund der mangelhaften Katalogisierung ist die Aktenlage zum Kulturraub im Osten ausgesprochen dürftig. Frau Hopp wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass viele Objekte ihre eigene Geschichte erzählen können. Oft befinden sich auf der Rückseite von Bildern und Möbelstücken Beschriftungen, Klebezettel, Stempel, die auf ihre Vorbesitzer und ihre Schicksale verweisen. Insbesondere bei Erbschaften und Wohnungsauflösungen empfiehlt es sich deshalb, darauf seinen Augenmerk zu richten.

Dr. Bianca Gaudenzi, Prof Hermann Parzinger, Prof Wolfgang Eichwede, Dr. Benjamin Lahusen. TAL

Die anschließende Gesprächsrunde aus Frau Bianca Gaudenzi vom Deutschen Historischen Institut Rom, Wolfgang Eichwede von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen und Hermann Parzinger von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz stellte sicher das inspirierendste Moment des Tages dar. Benjamin Lahusen von der Viadrina, Frankfurt/Oder moderierte das Gespräch. Dabei kamen sehr unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungen zur Sprache.
So ist der Kulturraub, den Gruppen wie Sinti und Roma und andere Minderheiten erfahren haben, bisher weitgehend ausgeblendet worden. Kulturgüter im Osten sind im großen Umfang durch Zerstörung verloren gegangen.
Der große Anteil am Kulturraub, den die deutschen Besatzer durch persönliche Bereicherung zu verantworten haben, wird ebenfalls bis heute kaum beleuchtet. Dabei zeigten die einzelnen Soldaten beim Plündern und Stehlen kaum eine Hemmschwelle oder Unrechtsbewusstsein. Dazu beigetragen hat sicherlich, dass der Angriffskrieg auf die UdSSR von vornherein als rassistischer Vernichtungskrieg angelegt war. Parzinger sprach in diesem Zusammenhang vom kulturellen Genozid. Von den aliierten Collecting Points für Raubgut gingen nach Kriegsende allein 500 000 Objekte wieder in den Osten zurück. Mit Sicherheit nur ein Bruchteil der geraubten und zerstörten Güter.
Zur Sprache kam auch die unterschiedliche Motivation der verschiedenen Institutionen zur Provenienzforschung und zur Restitution. Sie wiederum ist auch abhängig von politischen und sachlichen Rahmenbedingungen und vom Engagement einzelner.
Solange diese Arbeit nur in Projekten geleistet wird und nicht in festen Strukturen, können die Ergebnisse nur unbefriedigend bleiben.
Immer wieder wurde auf die Vielschichtigkeit des Komplexes Kulturraub und auf die individuellen Schicksale de einzelnen Objekte hingewiesen. Auf die Frage, wie die Einstellung im Umgang mit dem deutschen Kunstraub im Zweiten Weltkrieg zu beurteilen sei, reichten die Einschätzungen von „Bewußtseinswandel“ bis zu „Lippenbekenntnis“.
Mit Hinweis auf Dieter Pohl, einen ausgewiesenen Militärhistoriker, wurde festgestellt, dass drei Viertel der Wehrmachtsakten, die zum Kunstraub hätten Auskunft geben können, nicht mehr vorhanden sind. Ebenso gibt es keinen Zugang zu den russischen Militärakten, die sich auf Kulturgüter beziehen.
Einig war man sich in der Einschätzung, das die Aufgabe der Provenienzforschung und der Restitution als Teil der Vergangenheitsbewältigung zu betrachten ist, eine gesellschaftliche Verpflichtung darstellt und einen politischen Willen benötigt.
Parzinger auf koloniale Raubgüter und die Situation im Humboldt-Kulturforum angesprochen, stellte fest, dass sie jetzt auf dieses Problem aufmerksam geworden seien und sich dieser Aufgabe angenommen hätten. Mit der Herangehensweise sei er zufrieden und bezeichnete alle auf diesem Gebiet Tätigen als Lernende. Eichwede berichtete von verschiedenen beeindruckenden wieder aufgetauchten Kulturgütern und überraschte gleichzeitig mit kreativen Vorschlägen im Umgang mit strittigen Kulturgütern. So versicherte er sich bei einem Streit um eine holländische Kunstsammlung der Unterstützung des Bundeskanzler Kohl – zum Ärger des deutschen Außenministeriums. Für den Schatz des Priamos schlug er umschichtige Ausstellungen in den beteiligten Ländern Griechenland, Türkei, Russland und Deutschland vor. Er befürwortete einen treuhänderischen Umgang mit Kulturgut bei ungeklärter Eigentümerschaft. Auch schlug er als beispielhaftes Projekt die Suche nach bisher unbekanntem Raubgut in einem definiertem Raum vor, z.B. in einer bestimmten Stadt. Diese Suche sollte dort bei allen in Frage kommenden Institutionen und im privaten Bereich stattfinden. Dabei befürwortete er eine Herangehensweise, die eher von moralischen Maßstäben als von rechtlichen Zwängen bestimmt sein sollte. So wie sie in den Washingtoner Prinzipien von 1998 vorgeschlagen werden. Dem ist nur zuzustimmen.
Die Veranstaltung wurde am Nachmittag fortgesetzt.
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