Wenn man an das Bauhaus denkt, stehen einem zuerst die verschiedenen Bauten und architektonischen Entwürfe vor Augen, dann vielleicht die Möbel und andere Gegenstände des Interieur.
Viele kennen das Foto Oskar Schlemmers von der Treppe im Bauhaus. Weniger bekannt ist wahrscheinlich, dass es sich bei den jungen Frauen um die Webereiklasse von Gunta Stölzl handelt. Die Weberei- und Töpfereiwerkstatt des Bauhauses standen eher im Hintergrund, vielleicht auch, weil sie als weibliche Domaine galten. So sind bei den Renovierungen von Hans Scharouns Haus Schminke in Löbau beide Male die Stoffe und Wandbespannungen bei der Inneneinrichtung vergessen worden. Sie gingen auf Otti Berger zurück. Ja, Scharoun hat später behauptet, auch für diesen Teil der Innenarchitektur verantwortlich gewesen zu sein. Damit ähnelt er in seinem Verhalten dem Direktor des Bauhauses, Walter Gropius, der jahrelang die Urheberschaft für weltbekannte Fotos des Bauhauses für sich in Anspruch nahm. Sie stammten unzweifelhaft von Lucia Moholy. Erst nach einem Gerichtsprozess erhielt sie wieder ihre Negative zurück.
The temporary – bauhaus archiv – ist zur Zeit des Umbaus in der Knesebeckstraße präsent. Es hat es sich zur Aufgabe gemacht, einer der weniger bekannten aber höchst innovativen Weberinnen mit einer Bauhaus-Ausbildung eine Ausstellung zu widmen.
Otti Berger (1898 – 1944) stammt aus einer jüdischen Familie in Kroatien, damals noch Teil der kuk-Monarchie. Sie besuchte das Gymnasium in Wien und anschließend die Kunstakademie und die Kunstgewerbeschule in Zagreb. 1927 immatrikulierte sie sich am Bauhaus Dessau und wurde dort besonders von Paul Klee, Uta Stölzl Lásló Moholy-Nagy gefördert.
Innerhalb kurzer Zeit eignete sie sich umfangreiche Kenntnisse an, sodass sie bereits 1930 mit der Leitung der Weberei betraut wurde. Dabei galt ihr Interesse besonders dem Textildesign. Nach Tätigkeiten in verschiedenen gewerbsmäßigen Webereien eröffnete sie ein eigenes Textilatelier, um neue Materialien und Webtechniken für Stoffe in Architektur und Möbelherstellung zu entwickeln. Dieses Atelier befand sich im Künstlerhaus St. Lukas in der Berliner Fasanenstraße. Dabei arbeitete sie auch mit schweizer und niederländischen Herstellern zusammen. Nach 1933 wurde die Arbeit für sie in Deutschland immer schwieriger. Eine Aufnahme in die Reichskammer der bildenden Künste wurde wegen ihrer jüdischen Herkunft abgelehnt, ebenso mehrere Patent-Anträge für neu entwickelte Gewebe.
Ihr Versuch in England Fuß zu fassen, misslang ebenfalls. Sie verfügte über keine Englischkenntnisse und wurde dabei zunehmend schwerhöriger. Ihr Interesse für die Anwendung von Textilien in der Innenarchitektur hing sicherlich auch mit der Beziehung zu ihrem Lebenspartner, dem Architekten Ludwig Hilberseimer, zusammen. Sie hatten beide gemeinsam die Emigration in die USA geplant. Trotz einer Einladung von Lásló Moholy-Nagy zu einer Lehrtätigkeit ins New Bauhaus nach Chicago erhielt sie kein Visum mehr. Sie kehrte schließlich nach Jugoslawien zu ihrer Familie und ihrer kranken Mutter zurück. 1944 wurde die ganze Familie von dort nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Judith Raum hat jetzt umfangreich zu Otti Bergers Leben und Werk recherchiert. Gerade ist ihr Buch „Otti Berger. Weaving for Modernist Architecture“ erschienen, gleichzeitig hat sie eine kleine Ausstellung in der Knesebeckstr. 1 zusammengestellt.
Dort sind Beispiele für die von Berger entwickelte Stoffe zu sehen, unterschiedliche Stoff- und Gewebeproben und Veröffentlichungen zu Webtechniken und verschiedenen Materialien. Man staunt dabei über die komplexe Materie der Web- und Webgarntechnik. Auch ihr umfangreicher Schriftwechsel für die Patentanmeldung einer Stoffentwicklung ist dort zu verfolgen. Aus heutiger Sicht sind die Nutzung von Naturmaterialien und die Verwendung der daraus hergestellten Stoffe aktueller als je zuvor. Diesem interessanten und wichtigen Thema hätte man deshalb eine ansprechendere Form und Gestaltung gewünscht. Otti Berger und ihr Werk hätten es verdient.
Die Ausstellung ist noch bis zum 24.08.2024 zu sehen.
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