Der Geist von Potsdam noch lebendig?

Der Rohbau des Turms der Garnisonskirche. Er stellt jetzt schon ein markantes Zeichen
in der Potsdamer Stadtlandschaft dar. Januar 2023. TAL

Am letzten Wochenende veranstaltete die Martin-Niemöller-Stiftung im Rahmen ihres Projektes Lernort Garnisonskirche in Potsdam eine interessante Tagung. Ihr Titel lautete „Der Geist von Potsdam“.
Dabei wurden verschiedene Themenfelder wie Kultur des Militärs, Gewaltakte, gesellschaftliche Konflikte mit dem Militär und militärischer Traditionsstolz beleuchtet. Im Mittelpunkt aber standen die zahlreichen Fassetten des gegenwärtigen Konfliktes um den Wiederaufbau der Garnisonskirche.
Dazu rückte die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger das historisch belegbare Bild Friedrich Wilhelm I. zurecht – eines wahren Despoten, auch nach seiner eigener Aussage. Er zeichnete sich durch Allmachtsphantasien, Menschenverachtung, Gewaltanwendung und Verletzung des Rechts aus. Das Volk wollte er durch Züchtigung erziehen, Intellektualität war ihm ein Graus. Seine betonte Sparsamkeit ermöglichte ihm, eine große Armee und einen umfangreichen Staatsschatz aufzubauen. Diese Eigenschaften interpretierte das NS-Regime als den Geist von Potsdam und zog sich dabei mit ein. Auch die Neurechten heute sehen in ihm den Staatsbaumeister. Seine Persönlichkeit und sein Handeln haben dazu beigetragen, dass die Alliierten nach Kriegsende Preußen als den Hort der militärischen Aggression betrachteten und von der Landkarte strichen.
Anschließend zeichnete der Historiker Matthias Grünzing das dichte Beziehungsnetz nach, das nach dem Ersten Weltkrieg zwischen Militär, Traditionsverbänden, wie den Stahlhelm, und rechtsradikalen Parteien in Potsdam entstand. Auch die Evangelische Kirche und der Ort der Garnisonskirche spielten in diesem Netz eine zentrale Rolle. Dafür war Potsdam als Stadt des Militärs und der Beamten geradezu prädestiniert. In der Folge kam es dann auch in der Weimarer Zeit in der Garnisonskirche zu einer unablässigen Folge von Heldenfeiern, Fahnenweihen und sonstigen Begängnissen des deutschvölkischen Militarismus. Und dann weiter im Dritten Reich.

Karikatur gesehen in der Tagung „Der Geist von Potsdam“.

Marcus Funck vom Antisemitismuszentrum TU-Berlin ging weiter auf das Infanterieregiment Neun, auch als Graf Neun bezeichnet, in der Reichswehr ein. Es führte die Tradition des preußischen Garderegimentes Eins fort. Er schilderte seine vom preußischen Adel geprägte gesellschaftliche Stellung und innere Verfasstheit. Im Zweiten Weltkrieg war diese Einheit wie etliche andere auch in Kriegsverbrechen in Polen beteiligt. Erst später ergaben sich im geschlossenen Milieu des Offizierskasino Zeichen von Konspiration gegen die NS-Führung. Auch hier hatte der Geist von Potsdam unterschiedliche Gesichter.

Diskussion mit von li. Dr. Marcus Funck, Prof. Barbara Stollberg-Rilinger, Moderatorin Renata Schmidtkunz, Dr. Matthias Grünzig, Prof. Philipp Oswalt. TAL

Philipp Oswalt analysierte als Architekturwissenschaftler die architektonische Aussage der Garnisonskirche. Er setzt sich seit längerem kritisch mit ihren unterschiedlichen Deutungen auseinander, zuletzt in der FAZ.
Friedrich Wilhelm I. , bekannt als Soldatenkönig, hatte dieses Bauwerk zur Erziehung des Militärs erbauen lassen. Dafür nahm er als Herrscher die Religion in Dienst. So finden sich in diesem Herrscher -und Militärtempel fast ausschließlich kriegerische Symbole wie Waffen, Rüstungen und Fahnen. Auch das häufig zitierte Glockenspiel hat keinen religiösen Inhalt, sondern zielt mit seinem Text eher auf den Gehorsam der Soldaten. Die Kirche war in der Monarchie ein Ort der Huldigung und wurde nach den Befreiungskriegen, aber auch nach den Kolonial- und anderen Kriegen zu einer Ruhmeshalle. Nicht ohne Grund hat der Journalist Christoph Dieckmann in der ZEIT diese Kirche als „gotteslästerliche Bude“ bezeichnet. Nach dem Ersten Weltkrieg und Versailles mussten die erbeuteten und hier ausgestellten Fahnentrophäen zurückgegeben werden. Stattdessen schmückten jetzt die Feldzeichen der aufgelösten preußischen Regimenter die Gruft von Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. . So blieb die Garnisonskirche auch in der Weimarer Zeit ein Symbolort des preußischen Staates.

Einweihung des Denkmals für die Toten des Ersten Garde-Regiments z. Fuß, im Beisein des ehemaligen Kronprinzen, seiner Gemahlin und Prinz Eitel Friedrich. Das Denkmal des Ersten Garde-Regiments nach der Enthüllung.

Der Wahlspruch des Gardeinfanterieregiments Eins „Semper talis“ ist in dem 1924 eingeweihtem Denkmal an der Garnisonskirche festgehalten. Es signalisierte die Kontinuität der Monarchie auch in die Republik und stand für die Hoffnung einer Wiederauferstehung des alten Preußens. Das Denkmal wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.
Oswalt versteht den Wahlspruch als antidemokratisch, feudalistisch, rassistisch und antifeministisch. In der heutigen Ausstellung des neugebauten Turms an der Stelle der Garnisonskirche findet er keine Kritik an ihrer geschichtlichen Rolle und keinen Bruch im alten Narrativ. Der ursprünglich geplante identische Wiederaufbau der ganzen Kirche stände ebenfalls für die fragwürdige Kontinuität des Geistes von Potsdam.

Philipp Oswalt während der Tagung . TAL

Da die finanzielle Seite des Bauvorhabens jetzt unsicher geworden ist und auch die Kritiker dieses Bauwerks weiterhin unüberhörbar sind, wird auch darüber nachgedacht, den Bau jetzt zu beenden. Der Turm bliebe dann halbfertig ohne Haube und Wetterfahne als Mahnmal stehen – auch in Analogie zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin.
Der Konflikt und die Diskussion um die Zukunft dieses Bauwerkes wird anhalten.
art-

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