In der alten Hauptstadt des ehemaligen Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach galt mein Besuch dieses Mal nicht der Weimarer Klassik, auch wenn man ihr schwer ausweichen kann.
Die aktuellen Ausstellungen hier zeigen das Bauhaus unter den verschiedenen politischen Vorzeichen und versprechen eine interessante Erfahrung – und möglicherweise ein Déjà-vu Erlebnis. Denn am 1.09.2024 wird in Thüringen der Landtag gewählt – und der Ausgang der Wahl ist ungewiss.
Den ersten Umzug des Bauhauses von Weimar nach Dessau haben 1924 Parteigänger der NSDAP erzwungen. Dieses Wissen schärft spürbar die Wahrnehmung auf dem Weg durch die Stadt. Schon die unerwartete Konfrontation mit dem weitgehend erhaltenen Gauforum der ehemaligen Gauhauptstadt Weimar irritiert.
Ein Schild vor einer Raucherkneipe mit der Botschaft . . .Sommerbefehl ! Jawoll ! . . lässt in Gedanken die Hacken knallen hören.
Unterwegs kündigt die elektronische Anzeige einer Haltestelle den nächsten Stadtbus nach Buchenwald an. Der Besucher hält inne.
In der Schillerstraße verspricht die Galerie Hebecker unter anderem Kunst der verschollenen Generation. Der Betrachter kommt ins Grübeln. . . verschollen. . . ist das die richtige Bezeichnung?
Das Wort kommt mir wieder in den Sinn, als ich am Abend vor einer schon verwitterten Steintafel stehe. Sie ist Dr. Theodor Neubauer gewidmet. Landtags- und Reichstagsabgeordneter für die KPD, ermordet am 5. Februar 1945 im Zuchthaus Brandenburg. Ein aufrechter Antifaschist, wie ich später recherchiere. Er lebte seit 1929 mit Lucia Moholy zusammen. Als er 1933 in den Untergrund ging, war das für sie als Jüdin das Zeichen, ins Ausland zu flüchten. Nach dem Krieg musste sie übrigens gegen Walter Gropius klagen, der ihre bei der Flucht zurückgelassenen Negative unterschlagen hatte.
Lucia Moholy wird in den Ausstellungen nicht erwähnt, obwohl ihre weltbekannten Fotos die Außen-wahrnehmung des Bauhauses zu einem großen Teil bestimmt haben.
Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, erinnert eine Bronzetafel an das hundertjährige Bestehen des Vereins zur Züchtung des Weimaraner Vorstehhundes – eines edlen Jagdhundes, den der Weimarer Adel zu schätzen wusste.
So eingestimmt begibt sich der Besucher in die erste der drei Ausstellungen. Im Neuen Museum Weimar findet er die Beschreibung des Bauhauses an seinen verschiedenen Standorten: in Weimar, Dessau und Berlin. Und die Begründung für die immer wieder notwendig gewordenen Umzüge.
Im Schiller-Museum erfährt er Umfangreiches zum Schicksal und zur weiteren beruflich-künstlerischen Entwicklung der Lehrer – und Studentenschaft. Gerade hier sieht sich der Besucher mit den bedrückendsten Bildern konfrontiert. So hat der Bauhaus-Schüler und spätere SS-Mann Fritz Ertl das ursprünglich für russische Kriegsgefangenen gedachte Lager Auschwitz geplant und gebaut. Dann aber auch das Lager Birkenau mit den Verbrennungsöfen.
Dort wurden dann andere Bauhausschülerinnen ermordet und verbrannt. Hier sei an Zsuzska Bánki, Otti Berger, Eva Busse, Friedl Dicker-Brandeis, Else Rawitzer, Lotte Rothschild, Senta Cilly Schlesinger und Hedwig Slutzky-Arnheim erinnert, wie auch an die anderen, die unter dem NS-Regime ihr Leben verloren haben.
Der Bauhausschüler Fritz Heinze geriet in der NS-Zeit wegen seiner politischen Einstellung wiederholt mit dem Regime in Konflikt. Später als Soldat in der Ukraine fotografierte er heimlich und dokumentierte, wie Angehörige der SS-Einsatzgruppen Juden in der Ukraine ermordeten.
Daneben werden alle menschenmöglichen Lebensläufe vorgestellt. Von der NS-Karriere bis zur Anpassung an die politischen Verhältnisse oder dem Rückzug ins Private, von der Verfolgung, dem Gang ins Exil, dem Neustart in einem anderen Land oder dem Scheitern in der Fremde.
Im Bauhaus-Museum liegt dann der Schwerpunkt auf dem Werk der Menschen, die am Bauhaus gelehrt und gelernt haben. Und auf den verloren gegangenen Kunstwerken, die nicht selten als „entartet“ gebrandmarkt worden waren. Dabei wird deutlich, dass das Bauhaus auch bis zu seinem Ende von patriarchalischen Strukturen bestimmt war. Frauen fanden sich vor allem in der Keramikwerkstatt oder in der Weberei wieder. Die Weberei war auch der einzige Bereich, in dem eine Frau für eine gewisse Zeit die Leitung inne hatte. Gunta Stölzl als Jungmeisterin – bis sie diskriminiert und angefeindet 1931 das Bauhaus verließ.
Nach zwei Tagen in Weimar fährt der Besucher übervoll von Bildern und Eindrücken im Kopf zurück.
Aber auch mit mehr Fragen als Antworten im Gepäck, und einem schweren Katalog.
Die Ausstellung ist noch bis zum 15. September 2024 zu besichtigen. Sehr empfehlenswert.
TOL-