Aus dem Umfang der Recherchen lässt sich schließen, dass dieses Thema Peter Seibert lange begleitet haben muss. In seinem 2023 erschienenen Buch Demontage der Erinnerung ist er dem Umgang mit den baulichen Zeugen der jüdischen Kultur nach 1945 nachgegangen.
Gebrandschatzt, entweiht, beraubt und schließlich verwaist standen dabei die Synagogen im Vordergrund. Von den rund 2800 Synagogen, die es in den dreißiger Jahren in Deutschland gab, wurden in der Reichspogromnacht die Hälfte zerstört. Ein Großteil der verbliebenen Gebäude wurden nach dem Krieg abgerissen, verkauft und durch Umwidmung missbraucht. Die wenigsten dienten später einem kulturellen Zweck oder wurden wieder entsprechend ihrer religiösen Bestimmung genutzt.
Für den Abriss gab es kaum eine denkbare Begründung, die nicht bemüht wurde. Bei ihrer Umwidmung scheute man sich nicht, sie zu Lagerhallen, Scheunen, Garagen, Werkstätten oder Gastronomiebetrieben umzuwandeln, selbst Fleischereien brachte man dort unter. Zu Wohnzwecken umgebaut, wurden sie baulich so verändert, dass kein Gedanke an die ursprüngliche Synagoge mehr wach werden konnte.
Seibert hat sich in seinem Buch auch mit dem völlig ausgelöschten Landjudentum beschäftigt. Eine Ahnung von dessen Besonderheit vermittelt die 1860 in Paris erschienene Schilderung einer Reise zu den Juden auf dem Lande von Daniel Stauben, die im Elsass der damaligen Zeit angesiedelt ist. Seibert geht vor allem auf Nordhessen, die Moselgegend und Sachsen-Anhalt ein, beschäftigt sich im weiteren aber auch mit Großstädten wie Essen, Hamburg oder Berlin.
So beschreibt er, wie von Kommunen der Abriss einer Synagoge und im selben Atemzug die Gedenktafel für dieses Bauwerk beschlossen werden. Oft entscheiden Menschen, die vor 1945 für die Zerstörung einer Synagoge verantwortlich waren, nach 1945 über ihren endgültigen Abriss. Auf den dann präsentierten Gedenktafeln werden die Taten der NS-Zeit beschrieben, aber das Schicksal der Bauwerke nach dem Krieg unterschlagen. Während die Kirchen nach dem Krieg als unverzichtbare Bestandteile des Ortsbildes und des gesellschaftlichen Lebens wieder aufgebaut wurden, gab es für die Synagogen nur Desinteresse oder die Bestrebung, diese unbequemen Zeugen einer schuldbehafteten Vergangenheit möglichst umgehend zu beseitigen.
Ein Blick im persönlichen Umfeld belegt diese Feststellung. Von den vier Synagogen in Berlin-Tiergarten steht keine mehr. Die letzte in der Levetzowstraße ist noch zehn Jahre nach Ende des NS-Regimes abgerissen worden.
Die Tafel, die 1960 vier Jahre nach dem Abriss an diesem Ort in ihrer Geschichtsvergessenheit und mit historischen Fehlern angebracht wurde, spricht für sich.
Während andere Berliner Bezirke die bauliche Sicherung der zerstörten Synagogen als staatliche Aufgabe betrachteten, nutzte Tiergarten diese Aufgabe als Druckmittel in der Verhandlung um den Besitz der Immobilie.
Erst in den achtziger Jahren setzte ein Umdenken im Umgang mit diesen historischen Orten ein. Damals begann die Öffentlichkeit jüdische Kultur als untrennbaren Bestandteil der deutschen Geschichte zu erkennen und anzuerkennen.
Das Buch hilft dabei weiter.
TOL-