Saal 101 – der NSU-Prozess und viele offene Fragen

Kriminalgericht Berlin-Moabit. TAL


Wer schon immer ein Anhänger des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war, sieht sich in der Zeit der ungehemmten Verbreitung von Lügen und Gerüchten immer wieder bestätigt.
Heute nacht konnten Radiohörer eine entsprechende Erfahrung machen, wenn sie die ungewöhnliche Gelegenheit wahrnahmen, ein Hörspiel von insgesamt zwölf Stunden Dauer zu verfolgen. ARD und Deutschlandfunk sendeten an zwei Abenden das Hörspiel “Saal 101” zum NSU-Prozess, der von Mai 2013 bis Juli 2018 vor dem Oberlandesgericht München stattfand. Dabei stand die Abkürzung “NSU” für die Bezeichnung “National-sozialistischer Untergrund”, einer Gruppe, die den Mord an zehn türkischen und griechischen Geschäftsleuten und einer Polizistin zu verantworten hatte.
Das Hörspiel beruht auf Mitschriften, die ARD-JournalistInnen während des fünfjährigen Prozesses angefertigt haben. Diese Mitschriften sind die umfassendste Dokumentation dieses zeitgeschichtlich wichtigen Prozesses. Die Mitschriften von 438 Verhandlungstagen wurden in mehrjähriger Arbeit thematisch geordnet und zu dem jetzt vorliegenden Hörspiel aufbereitet. Es stellt damit ein bemerkenswertes und eminent wichtiges Zeitzeugnis für die Bundesrepublik dar.
Es schildert sehr unmittelbar, welche große Hoffnungen die Familien der Opfer auf diesen Prozess gesetzt hatten. Diese Familien gerieten über eine lange Zeit selbst in den Verdacht, in die Mordtaten verwickelt zu sein. Obwohl zu einem frühen Zeitpunkt der Untersuchungen der damalige bayrische Innenminister Beckstein nachdrücklich auf die Möglichkeit der Beteiligung rechtsradikaler Kreise hinwies, schlossen Polizei, Landeskriminalämter und Bundeskriminalamt erst einmal diese Möglichkeit aus. Dabei wurde gleichzeitig die fragwürdige Rolle der Landesverfassungsschutzämter deutlich. Ihnen war der Quellenschutz wichtiger als die Aufklärung dieser bundesweiten, bedrückenden Mordserie. Auch eine mögliche Beteiligung von einzelnen Verfassungsschutzmitarbeitern stand im Raum.
Insgesamt zog sich eine Ahnung von institutionellem Rassismus der polizeilichen Dienste durch das ganze Verfahren, da über lange Strecken die Beteiligung von deutschen Rechtsradikalen an der Ermordung türkisch- und griechischstämmiger Bürger nicht vorstellbar war. In der Folge traten verschiedene Verfahrensfehler auf und, noch wichtiger, stellte sich in weiten Kreisen der Bevölkerung ein großer Vertrauensverlust gegenüber staatlichen Institutionen ein.
Jüngste Erfahrungen mit dem NSU 2.0, dessen Ursprung in der hessischen Polizei vermutet wird, mit dem Anschlag von Hanau vor einem Jahr und einer teilweisen Unterwanderung der Bundeswehr bei den KSK-Einheiten widerlegen den Eindruck des institutionellen Rassismus in Deutschland nicht.

Das Hörspiel ist in nächster Zeit in der Audiothek der ARD als Podcast abrufbar und dringend zu empfehlen. Dem Bayrischen Rundfunk ist für diese Leistung zu danken.
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