Moabit – Spandau – Niederlande – Großbritannien – USA: Stolpersteine in der Altstadt Spandau erinnern an eine erfolgreiche Flucht

Bei der Verlegung der Stolpersteine. sva

Am 2. Juni 2023 wurden in der Spandauer Altstadt sieben Stolpersteine verlegt. Zum Einen wird mit zwei Stolpersteinen in der Havelstraße 20 der Geschwister Lilian und Fred Zeller gedacht, denen 1938 bzw. 1938 noch im Kindesalter die Flucht aus Berlin über die Niederlande und Großbritannien in die USA gelang.

Die Stolpersteine für Fredy und Lilian Zeller. sva
Die Stolpersteinverlegung an der Fischerstraße in Spandau. sva

Zum Anderen erinnern fünf Stolpersteine in der Fischerstraße 3/4 an die mit der Familie Zeller befreundete Familie Papiermeister (Chaim und Masha Papiermeister mit den Kindern Josef, Benno und Ruth). Die gesamte Familie konnte 1938/1939 über Lettland und die Niederlande in die USA fliehen.

Die Stolpersteine für die Familie Papiermeister. sva

Die Geschichte beider Familien wurde von Schülerinnen der Martin-Buber-Oberschule und haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jugendgeschichtswerkstatt Spandau umfassend recherchiert und ist in der Broschüre „Stolpersteine in Spandau“ der Jugendgeschichtswerkstatt nachzulesen.

Schülerinnen der Martin-Buber-Oberschule /Spandau bei der Gedenkzeremonie. sva

Die Verlegung der Steine fand im Rahmen einer öffentlichen Feier des Bezirks Spandau im Beisein von Nachfahren beider Familien statt. Im Anschluss an die Feier lud der Bezirk die Gäste noch zu einem Empfang in den Seniorenklub Lindenufer ein. Die Jugendlichen der Jugendgeschichtswerkstatt präsentierten hier in bewegenden Ansprachen ihre Recherche-Ergebnisse.


Doch wo ist die Verbindung zu Tiergarten und Moabit?
Familie Zeller wohnte den Recherchen der Jugendwerkstatt zufolge zunächst in der Wilsnacker Straße 40. Die Geschwister Fred und Lilian, 1924 und 1927 geboren, verbrachten nach Freds eigener Aussage eine glückliche Kindheit in Moabit *. Dies änderte sich in den 1930er Jahren. 1932 zog die Familie an den Askanierring 8 in Spandau, um den politischen Spannungen in der Stadt zu entgehen, 1934 erfolgte unter ökonomischem Druck der Umzug in eine deutlich kleinere Wohnung in der Havelstraße 20. Auch das eigene Stoffgeschäft in der Breiten Straße wurde zu dieser Zeit aufgegeben und der Stoffhandel in die Wohnung verlagert. Es entstand jedoch ungewollt eine neue Verbindung nach Tiergarten. Aufgrund zunehmender Anfeindungen mussten die Kinder ihre deutsche Schule in Spandau verlassen und wurde auf die jüdische Schule „Adass Jisroel“ in Siegmunds Hof 11 geschickt. Dies galt auch für die Kinder der Papiermeisters.

Schulwerk und Synagoge von Adass Jisroel. Nordansicht mit Blick auf die Achenbachbrücke und Siegmundshof. Adass Jisroel, Max Sinasohn, Jerusalem 1966.

Nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 entschied sich die Familie Zeller endgültig zur Flucht. Es sollte jedoch nur den Kindern gelingen. Beide Eltern, Heinrich und Fanny Zeller, wurden bei ihren Fluchtversuchen gefasst und kamen ums Leben. Hieran erinnern zwei weitere Stolpersteine in der Havelstraße 20 in Spandau. Bei Fanny Zeller führte der Weg in den Tod erneut über Moabit. Sie wurde nach ihrer gescheiterten Flucht in das Sammellager in der ehemaligen Synagoge Levetzowstraße gebracht und von dort am 15. November 1941 ins Ghetto Minsk deportiert.

Liberale Synagoge Levetzowstraße. Ab 1.Oktober 1941 Sammellager für die Deportationen Berliner Juden.
Stiftung Stadtmuseum Berlin. Fotograf unbekannt.

Dass den Erwachsenen der Familie Papiermeister, Chaim und Masha, im Gegensatz zu Heinrich und Fanny Zeller die Flucht gelang, ist wohl wesentlich der Tatsache zu verdanken, dass beide in Lettland geboren wurden und noch im Besitz lettischer Pässe waren. Sie konnten 1938/1939 noch rechtzeitig über Lettland in die Niederlande und von dort aus weiter in die USA gelangen.
Im Gedächtnis dürfte den Besuchern der Stolpersteinverlegung bleiben, mit welchem Engagement die Jugendlichen die Lebensgeschichten beider Familien vortrugen. Ebenso ergreifend war es, dass einer der angereisten Gäste aus den USA, James Papiermeister, ein Sohn von Benno Papiermeister, spontan in die Fischerstraße 3 / 4 eine Dankesrede hielt und sie mit den Worten enden ließ „Ich bin ein Spandauer.“
Stephanie von Ahlefeldt


*Fred Zeller hat die Erlebnisse seiner Kindheit und Jugend 1989 veröffentlicht:
Frederic Zeller: When time ran out. Coming of age in the Third Reich. London: Allen 1989.
Deutsche Übersetzung: Als die Zeit zu Ende ging. Eine Berliner Kindheit im Dritten Reich.
Aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Scharf. Bielefeld: Haux 1993.