In den Häusern der anderen – Vertreibung und Inbesitznahme in Westpolen.

Buch nach Lektüre. TAL

Die polnische Schriftstellerin Karolina Kuszyk hat dieses Buch 2019 unter dem Titel „Poniemieckie“ („ehemals Deutsch“) veröffentlicht. Es beleuchtet Schicksale vom Kriegsende bis in unsere heutige Zeit – die Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus dem damaligen Schlesien, Pommern und Ostpreußen und die Inbesitznahme vom heutigen Westpolen durch Siedler und Zwangsumgesiedelte aus den abgetretenen ostpolnischen Gebieten.

Karolina Kuszyk ist 1977 in Legnica geboren und mit einem Mann verheiratet, der aus der DDR stammt. Sie lebt in Berlin und in Legnica, dem früheren Liegnitz in Niederschlesien. So ist sie zu den häufig notwendigen Perspektivwechseln imstande und geht den hier beschriebenen Schicksalen mit einem mikrohistorischen Ansatz nach.
Bis jetzt ist die in der Potsdamer Konferenz von 1945 beschlossene Westverschiebung Polens mit dem damit verbundenen Bevölkerungsaustausch überwiegend aus politischer Sicht betrachtet worden. Bei Kuszyk kommen jetzt die unmittelbar Betroffenen beider Gruppen zu Worte und schildern, wie sie sich in den veränderten Lebensumständen zurechtfinden mussten. Um die Vielfalt der Erlebnisse und Erfahrungen zu ordnen, widmet sich die Autorin einzelnen Themenkreisen.

Ehemals deutsche Sommervilla in Międzyzdroje – Wolin / Woiwodschaft Zachodniopomorskie, Polen,
2023. Früher Misdroy in Hinterpommern. TAL

Sie beginnt mit dem Leben der neuen Bewohner in den verlassenen deutschen Häusern. Im Rahmen einer umfassenden „Repolonisierung“ wird alles Deutsche abgewertet und mißachtet. Entsprechend den neuen gesetzlichen Regelungen geht ehemaliger deutscher Besitz in den staatlichen polnischen über und wird an Siedler weitergegeben. Die wiederum fremdeln mit den ungewohnten Einrichtungen und Haushaltsgegenständen und achten sie als „deutschen Plunder“ gering. Das belegt der neue und gleichzeitig abwertende Begriff „poniemieckie“ für den ehemaligen deutschen Besitz, analog aber auch „pozydowskie“ für ehemals jüdischen und „podworskie“ für adligen Besitz. Dabei weist die Autorin darauf hin, dass die amtlich angewiesene Polonisierung und Entfernung von deutschen Inschriften und Namen nicht ausschließlich Ausdruck patriotischer Gesinnung war. Die Zerstörung deutscher Bücher, Denkmäler und Gedenktafeln stellte auch einen Akt der Rache für die Zerstörung und den Raub polnischen Besitzes und Kulturgüter während der deutschen Besatzung dar.

Schloss Schönrade der Familie von Wedemeyer / Neumark, heute Tuczno /Województwo lubuskie/ Polen. 2023.
Das Schloss ist jetzt in Privatbesitz und teilweise repariert. TAL

Erst spät setzt ein Umdenken und eine neue Wertschätzung ein. Gleichzeitig halten deutsche Häuser, Möbel und Einrichtungsgegenstände trotz aller Polonisierungsbestrebungen die Erinnerungen an ihre früheren Besitzer wach und führen zu immer wiederkehrender Beschäftigung mit deren Kultur und Geschichte. Insbesondere die folgenden Generationen möchten die Wissenslücken in der Geschichte ihrer heutigen Heimat schließen. Und die sind zwischen der Zeit der Piasten-Herzöge im Mittelalter und der Zeit des Zwischenkriegspolen groß. Die Beschäftigung mit deutschen Dingen spiegelt sich nach der politischen Wende in der polnischen Literatur wieder und führt nach Einschätzung von verschiedenen Beobachtern auch zu der allmählichen Wiederannäherung beider Gesellschaften. Beispielhaft dafür beschreibt Kuszyk den Umgang der polnischen Bevölkerung mit deutschen Ansichtspostkarten, religiös bestimmten Kunstdrucken und Weck-Gläsern.

Flaschen aus deutscher Vorkriegsproduktion, gefunden in Szczecin / Woiwodschaft Zachodniopomorskie, Polen, früher Stettin in Hinterpommern. TAL

Bei ihrer Suche nach Zeitzeugen trifft Karolina Kuszyk in Berlin Katarzyna Weinlaub. Diese Begegnung wirft ein Schlaglicht auf das schmerzhafte Schicksal der Juden im Nachkriegspolen. Die Erfahrungen von Kielce und die erzwungene Auswanderung von 1968 haben die jüdische Gemeinde heute auf eine unbedeutende Größe zurückgehen lassen. Im Rahmen ihrer umfangreichen Recherchen stößt die Autorin auch auf etliche Menschen und Gruppen, die sich um ehemals deutsche, christliche und jüdische Kulturgüter kümmern, sie sammeln und soweit möglich wiederherstellen. Eine schwierige und arbeitsaufwendige Aufgabe, gelegentlich auch gegen den Widerstand polnischer Behörden. Aber auch die Zusammenarbeit mit deutschen Institutionen verläuft nicht immer erfolgreich.

Stein mit Gedenktafel für jüdischen Friedhof bei dem Dorf Bogusławie / Woiwodschaft Zachodniopomorskie, Polen, 2023. Früher Birkenwalde in Hinterpommern. TAL

Mit dem folgenden Zitat gibt der Verein „Nasza Krępa“ den Nutzen bei der „Revitalisierung“ alter Friedhöfe wieder, wobei sich diese Feststellung auch auf vielen andere Projekte übertragen lässt:

Das Wiederbeleben der Erinnerung an Menschen, die die Geschichte des Ortes prägten; das Vertiefen von lokalem Geschichtswissen bei den Einheimischen; ein wachsendes Interesse für den Schutz des Kulturerbes in der Region; das Empfinden von Identität und sozialer Zugehörigkeit; die generationsübergreifende soziale Integration und Verbesserung der Kooperationsfähigkeit in altersübergreifenden Gruppen; die Steigerung der touristischen Attraktivität; die Aufwertung des Ortes als regionales Modell für zivilgesellschaftliches Engagement.

Ein Zitat von Siegfried Lenz aus seinem Roman „Heimatmuseum“ beschließt das Buch:

Vergangenheit, sie gehört uns allen, man kann sie nicht aufteilen, . . . .und wer versucht, die Dinge und die Beweise zu trennen, die uns hinterlassen wurden, wer sich reinen Ursprung zulegen will, der weiß, dass er Gewalt braucht.

Dieses Zitat lässt sich auf viele Situationen von Vertreibung und Inbesitznahme beziehen. Es behält seine Gültigkeit in allen Zeiten und allen Gegenden der Welt. Das Buch ist jedem zu empfehlen, der ein Interesse an unserer europäischen Geschichte hat.

In den Häusern der anderen. Karolina Kuszyk. Übersetzung aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann. Ch. Links Verlag, Berlin 2019 .
TOL-

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