Die Reichspogromnacht in Stargard – eine andere Geschichte.

Innenraum der Synagoge Stargard. Fotograf Max Silberstein. www.heimatkreis-stargard.de.

Am 9. November 1938 bestellte die NSDAP den Verbindungsmann zur Stargarder Verwaltung in ihr Kreisbüro. Dort erfuhr er, dass die Synagoge in der folgenden Nacht in Brand geraten werde. Die Feuerwehr solle dann die Nachbarhäuser schützen, die Synagoge aber abbrennen lassen. Mit der Rückendeckung des Oberbürgermeisters rückte die freiwillige Feuerwehr zu dem tatsächlich erfolgten Alarm aus und fand in der Synagoge zwei dilettantisch angelegte, schon verlöschende Brandherde vor. Da war nicht mehr viel zu löschen – aber die Aufgabe der Feuerwehr ist es schließlich, jedes Feuer zu löschen, gleichgültig, welche Ursache es hat. Am nächsten Tag wurde der Verbindungsmann von der Parteileitung vergattert, jetzt beim nächsten Feueralarm wegen der Synagoge wie befohlen zu verfahren. Aber auch beim zweiten Mal nahm die Feuerwehr ihre Aufgabe ernst und löschte die unfachmännisch gelegten Brände in der Synagoge. Beim dritten Anlauf schließlich, Tage später, nahm die SA Sprengstoff zu Hilfe und beschädigte das Synagogendach zu schwer, dass es einen Grund zum Abriss des Gebäudes gab.

Synagoge in Stargard. Historische Postkarte. www.heimatkreis-stargard.de..

In Stargard bestand seit dem 17. Jahrhundert eine kleine jüdische Gemeinde, die sich vorwiegend aus armen Kleinhändlern und Hausierern zusammensetzen, nur einige wenige bessergestellte Kaufleute im Wollhandel waren darunter. Auch ein erster Friedhof wurde um 1700 angelegt, eine Synagoge aber erst 1843 eingeweiht. Im 19. Jahrhundert zur größten Gemeinde Pommerns angewachsen, richtete sie vor dem Ersten Weltkrieg eine wesentlich größere Synagoge ein.
Nach dem Krieg zogen viele Gemeindemitglieder nach Berlin und in andere Großstädte. In den dreißiger Jahren umfasste die Gemeinde nur noch 300 Personen. Ende der dreißiger Jahre emigrierten zunehmend Gemeindemitglieder, darunter auch der letzte Rabbiner Dr. Emil Silberstein. Er betreute dann eine Gemeinde in Shanghai. Die letzten Juden aus Stargard wurden zusammen mit Juden aus Stettin und anderen pommerschen Städten im Februar 1940 nach Lublin deportiert und dort auf neu eingerichtete Ghettos in Głusk, Bełżyce und Piaski verteilt. Sie wurden in der Folge zu Zwangsarbeit eingeteilt oder ermordet.

Heute liegt Stargard in der polnischen Woiwodschaft Westpommern. Juden gibt es hier keine mehr. Der jüdische Friedhof wurde 1938 zerstört. Dort befindet sich heute eine Parkanlage.
Zum Ende des zweiten Weltkrieges wurden 70 % der Stadt durch Bomben zerstört. Einige historische Gebäude und die Wallanlagen sind inzwischen restauriert worden. Nach der Vertreibung der deutschen Bevölkerung wurden hier Polen aus verschiedenen Landesteilen angesiedelt (s. auch “Poniemieckie” von Karolina Kuszyk).
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Marienkirche. TAL