Das Rathaus Tiergarten hat eine eigene Geschichte

Das Rathaus Tiergarten vermittelt mit seinem Erscheinungsbild auch heute noch den Geist der Dreissiger Jahre, in denen es erbaut worden ist.

Ehemaliges Bürgermeisterzimmer im Rathaus Tiergarten mit neugestalteter Ausstellung. TAL

Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel hatte so berechtigt das Empfinden, dass er nicht in das damals konzipierte Bürgermeisterzimmer gehörte, und hat sich ein anderes – unbelastetes – Dienstzimmer gesucht. Wieviel von seinen Vorgängern hätten das auch schon tun können. . . . Diese Frage stand bei der Eröffnung der Ausstellung „Das Rathaus Tiergarten als Täter- und Erinnerungsort“ am 28. April 2022 unüberhörbar im Raum.

Im Zusammenhang damit stellte die neue Stadträtin für den Kulturbereich, Stefanie Remlinger, das Forschungsprojekt „Das Rathaus Tiergarten 1935-1955“ vor, mit dem Zeitzeugnisse aus der angegebenen Zeit gesucht und bearbeitet werden sollen.

Gleichzeitig wurde im Flurbereich vor dem Bürgermeisterzimmer eine Ausstellung des Museum Mitte zum Deportationsgeschehen im Bezirk gezeigt. Das Konzept für diese Ausstellung stammte noch aus der vorangegangenen Wahlperiode. Ein Teil der Bilder und der Inhalte waren dem Besucher spätestens aus der Ausstellung „Ausgeblendet“ des Aktiven Museums bekannt, die 2020 nach vielen anderen Stationen auch im Rathaus Tiergarten gezeigt worden ist.

Schon beim ersten Blick auf die neue Ausstellung fiel die unterschiedliche Präsentation der verschiedenen historischen Orte auf: auf der einen Seite Fotos mit erklärenden Texten. Auf der anderen Seite ein einsames Bild des Gedenkortes Güterbahnhof Moabit – ohne eine erläuternde Textbeigabe. Sie hätte auf die Bedeutung des größten Deportationsbahnhofes Berlins hätte hinweisen können. Wenn sich der Betrachter nicht gebückt hätte, wäre ihm auch die kleine Bild- und Quellenbezeichnung am unteren Bildrand entgangen.

Mutmassungen über mögliche Gründe der unterschiedlichen Präsentation bringen nicht weiter. Es besteht aber die Hoffnung, dass in absehbarer Zeit der hier notwendige Text ergänzt wird. Auch wünschte man der Ausstellung eine angemessene Beleuchtung. Was der Ausstellung eine gewisse Aktualität verschaffen könnte, wären Informationen darüber, welches Schicksal die verschiedenen authentischen Orte nach 1945 erlebt haben. Da böten sich vor allem neben den Militärgleisen am Güterbahnhof Moabit die Orte der ehemaligen Vermögensverwertungsstelle und der Synagoge Levetzowstraße an. Denn Geschichte bleibt bekanntermaßen nicht stehen.
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Anmerkungen

In Berlin erfuhr die Jüdische Gemeinde am Vormittag des 1.Oktober 1941 von dem Befehl der Gestapo. Quelle: Alfred Gottwaldt. Mahnort Güterbahnhof Moabit. Hentrich&Hentrich Berlin 2015. S. 66, Anmerkungen 59, 60.
Hier gibt es keine Hinweis auf die Alterstransporte vom Anhalter Bahnhof zwischen Juni 1942 und Juni 1943, bei denen Gruppen von 50 bis 100 Menschen in Personenwagen 3. Klasse nach Theresienstadt deportiert worden sind. Auf diesem Wege sind 9635 Jüdinnen und Juden, überwiegend alte Menschen aus Berlin deportiert worden.
Quelle: Alfred Gottwaldt und Diana Schulle. Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich 1941 – 1945.
Marix Verlag Köln 2005.