Wolf Thieme ist ein Mensch, den man nicht so schnell vergisst. Ich habe ihn 2015 kennengelernt. Da hatte er sich bereits viele Jahre um eine angemessene Würdigung der Deportationsgleise am ehemaligen Güterbahnhof Moabit bemüht. Er freute sich sehr, als er von unserem Engagement für eben diesen Ort erfuhr, und machte weitere Vorschläge. Dabei war seine Erfahrung aus der journalistischen Arbeit deutlich spürbar. Er hat es sich auch im April 2017 nicht nehmen lassen, das Einpflanzen der ersten Kiefer für den bescheidenen Gedenkort mitzuerleben.
2018 las ich in der ZEIT von seiner Arbeit für die Ausstellung über Juden im ländlichen Raum und sah sein Bild. Da war er mir wieder sofort gegenwärtig. Ich schlug ihm vor, diese Ausstellung auch in Berlin zu zeigen – und er war einverstanden. Unsere Gespräche dazu verliefen knapp und zielgerichtet. Wir hatten mehrere Treffen in Berlin und auch eine Ortsbesichtigung in der St. Johanniskirche. Die Gemeinde stand dem Vorhaben aufgeschlossen gegenüber, und wir hatten die Aufgabenteilung für die Veranstaltung bereits konkret festgelegt. Da kam seine Absage. Eine schwere Krankheit hatte ihn erreicht. Trotzdem besuchte er später noch die Eröffnung unserer Ausstellung über jüdische Ärzte und Apotheker in Berlin.
2019 nahmen wir einen zweiten Anlauf. Dazu trafen wir uns in Brandenburg. Dort war seine Ausstellung in der St. Katharinen-Kirche zu sehen. Anschließend hatte wir ein längeres und auch sehr privates Gespräch. Er berichtete von seinem Leben und seinen Interessen. Als er von seiner Freude an gutem Essen erzählte, verlor sich seine sonstige Strenge. – Aber auch dieser zweite Versuch war nicht erfolgreich.
Wir blieben weiterhin per Mail im Kontakt. Seine Antworten kamen schnell, kurz und präzise. Nur einmal änderte sich der Ton. Bei seiner Antwort auf einen langen handgeschriebenen Brief zum Jahreswechsel, da zeigte er plötzlich seine empfindsame Seite. In diesem Sommer stellte ich plötzlich fest, dass ich auf meine Mail nicht die gewohnt schnelle Antwort erhalten hatte. Mit einer Ahnung suchte ich im Internet- und fand seine Todesanzeige.
Seine Frau schickte mir auf meine Bitte ein Bild aus früheren Zeiten. Der Fotograf Meiko Herrmann, der Wolf Thieme für das ZEIT-Gespräch fotografiert hat, stellte mir freundlicherweise das andere Foto zur Verfügung.
Wolfs knappe Kommentare werden mich weiter begleiten.
TOL-