In dieser Woche gab es Gelegenheit, die Zeit zwischen 1918 und 1933 noch einmal in großen Bögen nachzuvollziehen und ihr momentum movens besser zu verstehen. In seinem Vortrag zur Machtübernahme der Nationalsozialisten schilderte Prof. Michael Wildt vor dem gut gefüllten Saal in der Topographie des Terrors die wichtigsten Stationen dieser Zeitreise.
In der Revolution 1918 sah er nicht zwingend den Beginn des Weges zur NS-Machtergreifung, sondern beschrieb ihn auch als hoffnungsvollen Aufbruch in die Demokratie. Mit dem allgemeinen freien Wahlrecht, das auch die Frauen einschloss, und einer neuen Sozial- und Militärpolitik wurde ein neuer Anfang gemacht. Aber gegenüber SPD und KPD auf der Linken formierten sich auch die Rechte aus Militär und reaktionären Kräften, die auf Umsturz sannen. Dem Kapp-Putsch 1920 konnte die junge Republik mit Hilfe eines Generalstreiks und der Verweigerung der Beamten widerstehen.
Aber die staatlichen Institutionen wie Militär und Justiz fremdelten weiterhin mit der Republik. Diese hatte mit den Belastungen des Versailler Vertrages, der Auflage eines 100.000-Mann-Heeres und den Gebietsverlusten im Osten des Reiches zu kämpfen. Außerdem behinderte die mit dem Friedensschluss festgelegte alleinige Kriegsschuld Deutschlands die Außenpolitik des Reiches erheblich. Die Last der Reparationen und die deutsche Inflationspolitik führten schließlich 1923 zur französischen Besetzung des Ruhrgebietes und damit zu weiteren wirtschaftlichen Problemen. In diesem Jahr musste sich die Republik zusätzlich gegen den kommunistischen Aufstand in Hamburg und den Umsturzversuch von Hitler und Ludendorff in München wehren.
Die Münchener Ereignisse waren besonders gefährlich, da sich dort auch Teile des Militärs gegen die Republik stellten. Hitler kam nach einem milden Urteil und einer einjährigen Festungshaft wieder frei und verpflichtete bei der folgenden Neugründung 1924 die NSDAP auf seine Person.
Durch die Inflation hatten breite Bevölkerungskreise ihre Ersparnisse und damit ihre Altersversorgung verloren. Trotzdem ging 1924 die SPD aus den Reichstagswahlen als stärkste Partei hervor, während die NSDAP bedeutungslos blieb. In der Folge änderte Hitler seine Strategie, begann auf dem Lande mit einer breit angelegten Agitation und versuchte in den Großstädten Anschluss an die städtische Arbeiterschaft zu bekommen. Damit schöpfte die NSDAP ihr Potential bei Deutschnationalen, Protestanten auf dem Lande, Beamten, Studenten und Nichtwählern zunehmend aus und verbesserte infolge ihre Wahlergebnisse. Legal in die verschiedenen Parlamente gelangt betrieb sie dort anhaltende Destruktion.
Hitler stilisierte sich in der Öffentlichkeit als junger Politiker, hob sich von der alten Politikerkaste ab und versprach, ein neues Deutschland zu erwecken. Er trat als einfacher Gefreiter des Ersten Weltkriegs und Mann aus dem Volk auf und sprach gezielt die Frauen als Volksgenossinnen an.
1931 führte die Weltwirtschaftskrise zu einer massiven Arbeitslosigkeit und belastete die gesamte Bevölkerung wirtschaftlich schwer. Seit 1930 musste Reichskanzler Brünig ohne parlamentarische Mehrheit und dafür mit einer Abfolge von Notverordnungen, Parlamentsauflösung und Neuwahlen regieren. Damit war das Parlament als machtlos von der Regierungskontrolle ausgeschlossen. Gleichzeitig wurden die Wahlkämpfe immer gewalttätiger und zielten auf die Vernichtung des Gegners ab.
Die Reichstagswahl im Juli 1932 bescherte der NSDAP mit 37 Prozent ihr bis dahin bestes Wahlergebnis. Trotzdem reichte es noch nicht zur Regierungsübernahme, da Hitler weiterhin als nicht salonfähig galt. Auch nach weiteren erfolglosen Regierungsbildungen und dem „Preußenschlag“ fand sich die Reichswehr nicht dazu bereit zu putschen. Gleichzeitig gelang es Hitler die NSDAP gegen die Strasser-Fraktion zusammenzuhalten und so weiterhin die stärkste politische Kraft darzustellen. In zahlreichen Hinterzimmergesprächen kam die konservative Politikerkaste zum Entschluss, Hitler als Reichskanzler zu akzeptieren. Dabei hatte sie die Vorstellung, die Nationalsozialisten durch eine Mehrzahl von deutschnationalen Ministern einzubinden.
So sah sich Hindenburg als Reichspräsident schließlich am 30. Januar 1933 gezwungen, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Kurz vorher hatte Hitler Hugenberg von der DNVP noch die Zusage für Neuwahlen abgerungen – gegen das bedeutungslose Versprechen einer zukünftigen Regierungsbeteiligung. Nach der sofortigen Ernennung von Göring zum Reichkommissar für das preußische Innenministerium hatten die Nationalsozialisten bereits eine Teil der Staatsgewalt übernommen.
Auch nach einem von der NSDAP gewalttätig geführten Wahlkampf gelang es ihr am 5. März 1933 nur mit Hilfe der DNVP die parlamentarische Mehrheit im Reichstag zu erhalten. Hitlers Stellung als Reichskanzler war damit aber auch vom Wahlvolk legitimiert.
Die infolge des Reichstagsbrand am 28.Februar 1933 erlassene Verordnung zum Schutz von Volk und Staat gab ihm weitere Machtmittel in die Hand. Es folgte am 23. März 1933 das sogenannte Ermächtigungsgesetz, das mit den Stimmen des Zentrum beschlossen wurde und das Parlament zukünftig zur Bedeutungslosigkeit verdammte. Der Weg in die Diktatur war frei, die SPD als letzte ernstzunehmende Kraft hatte ihn nicht verhindern können. Das nachhaltig beschädigte Vertrauen der Gesellschaft in die Demokratie und die Verletzung rechtlicher und demokratischer Prinzipien durch Justiz, Verwaltung und Regierung hatten diesen Weg freigemacht.
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