zu Joseph Roth

Fotos / Bilder

ehemals MAMPES GUTE STUBE 2022 TAL
Berliner Gedenktafel 2022. TAL


. von Joseph Roth

Lebenlauf

Ausführliche Fassung

Joseph Roth (1894 – 1939)

Joseph Roth kam 1920 als junger Mann nach Berlin. Er wurde ein brillanter Journalist und großartiger Geschichtenerzähler. Zwischen 1920 und 1939 schrieb er neben unzähligen Feuilletonbeiträgen 16 Romane. Viele davon entstanden in Berlin, darunter „Hotel Savoy“ (1924), „Hiob“ (1930) und „Radetzkymarsch“ (1932). Außerdem schrieb er Novellen und Erzählungen, Essays und Briefe.
Moses Joseph Roth, wie er mit vollständigem Namen hieß, wurde am 2.September 1894 im ostgalizischen Brody, einem Städtchen 90 km nordöstlich von Lemberg geboren. Heute gehört die Stadt zur Ukraine. In Roths Kindheits- und Jugendzeit aber lag Brody am östlichen Rand des österreichisch-ungarischen Habsburgerreiches. Joseph wuchs bei seiner Mutter auf. Maria Roth, geborene Grübel, war eine fromme jüdische Frau aus einer Kaufmannsfamilie. Sein Vater, Nachum Roth, kam aus chassidisch-orthodoxen Kreisen. Er handelte mit Holz und Getreide. Joseph hat seinen Vater nie kennengelernt. Noch vor seiner Geburt verschwand der Vater aus dem Blickfeld der Familie. Um wie so vieles in seiner Biographie hat Joseph Roth zeit seines Lebens auch Legenden um seinen Vater gestrickt. Dass der Vater psychisch erkrankt war, wurde in der Familie totgeschwiegen. Geisteskrankheiten galten als Fluch Gottes. Die Mutter nahm lieber das Gerücht in Kauf, der Vater habe sich erhängt. In Wirklichkeit hat ihn einer ihrer Brüder nach Jahren am Hof eines russisch-polnischen Wunderrabbis aufgespürt und als „völlig unzurechnungsfähig“ beschrieben .
Die Lebensumstände seiner Kindheit und Jugendzeit hat Roth gern als von Armut geprägt geschildert. Inwieweit das zutrifft, bleibt dahingestellt. Jedenfalls erhielt Joseph Geigenunterricht und besuchte ausgewählte Schulen mit Deutsch als Unterrichtssprache. Er war ein guter Schüler. Am damaligen Kronprinz-Rudolf-Gymnasium, das er von 1905 bis 1913 besuchte, war er beim Abitur der einzige Jude in seinem Jahrgang.
Nach der Schule ging er erst nach Lemberg, dann nach Wien, um Germanistik zu studieren. Er war ehrgeizig, legte Wert auf gute Noten und Anerkennung. Seit sich seine bescheidene materielle Situation dank eines Stipendiums und mehrerer Hauslehrerstellen besserte, legte er sich gute Kleidung zu. Das war ihm wichtig. Manche Kommilitonen hielten ihn für arrogant. Obwohl ursprünglich pazifistisch eingestellt, meldete er sich 1916 freiwillig zum Militärdienst. Den Tod des 86-jährigen Kaisers Franz Joseph I. im November 1916 erlebte er als tiefen Einschnitt, als Signal für den Untergang des Habsburgerreiches. Für Roth wird dieser Untergang zum Symbol für den Verlust von Heimat und Vaterland. In seinen Romanen „Radetzkymarsch“ (1932) und „Die Kapuzinergruft“ (1938) wird Roth diesen Verlust später thematisieren und betrauern.
Nach dem Krieg konnte Roth sein Studium nicht fortsetzen. Er musste Geld verdienen. 1919 wird er Redakteur bei der neu gegründeten Wiener Tageszeitung „Der neue Tag“. Einer seiner Kollegen ist Egon Erwin Kisch. Im „Café Herrenhof“, wo er wie viele Journalisten Stammgast war, lernte er seine spätere Frau Friedrike (genannte Friedl) Reichler kennen. Friedl und er heirateten am 5. März 1922 unter orthodoxem Ritus. Sie war wie Roth jüdischer Herkunft und kam wie er aus Galizien. Friedl Roth war eine attraktive, intelligente, aber sehr zurückhaltende, schüchterne junge Frau.
Da die Zeitung „Der neue Tag“ infolge der Nachkriegswirren in Wien ihr Erscheinen schon nach einem Jahr einstellen musste, wechselt Roth 1920 nach Berlin. Er schrieb für Zeitungen unterschiedlicher politischer Couleur und avancierter bald zu einem der bestbezahltesten Journalisten. 1923 wurde er Feuilleton-korrespondent bei der bürgerlich-liberalen „Frankfurter Zeitung“, einer angesehenen überregionalen Tageszeitung. Sie hatte eine Außenstelle in Berlin. Eine Anstellung bei der FZ war damals die „Krönung“ für einen literarisch und zeitkritisch ambitionierten Journalisten. Roth pflegte und perfektionierte die neue Form der „literarischen Reportage“. In seinen Artikeln schlüpfte er in unterschiedliche Rollen, mal in die des Flaneurs, des Plauderers oder des distanzierten Berichterstatters, oder in die des Satirikers oder Kritikers. Dabei legte Roth großen Wert auf die sprachliche Qualität seiner Texte.
Dass Roth bei seinem ruhelosen Leben journalistisch und literarisch so produktiv sein konnte, erstaunt. Er pendelte zwischen Berlin und Wien, war zwischendurch in Prag und wechselte im Mai 1925 als Frankreich-Korrespondent der „Frankfurter Zeitung“ für ein Jahr nach Paris. 1926 erhielt er als Entschädigung für das Auslaufen der Korrespondenzstelle in Paris Aufträge für Reisereportagen, die ihn 1926 für vier Monate in die Sowjetunion führten, 1927 für zwei Monate nach Albanien und Jugoslawien und im selben Jahr dann noch in das Saargebiet, 1928 bereiste er u.a. Polen und Italien. Er war eigentlich immer unterwegs, lebte auch in Berlin und Wien und später in Paris überwiegend in Hotels, manchmal auch bei Freunden. Einen festen Wohnsitz hatte er all die Jahre nur einmal und wohl auch nur für kurze Zeit. Jedenfalls gilt als gesichert, dass er mit seiner Frau in Tiergarten in der Potsdamer Straße 115 a eine Wohnung angemietet hatte.
Seine Texte schrieb Roth vor allem in Cafés, Kneipen oder Gastwirtschaften. In Berlin hatte er 1920/21 einen Stammplatz im „Café Größenwahn“ am Ku’damm 18/19 (Ecke Joachimsthaler Str.). Der offizielle Name war „Café des Westens“. 1932 zog dort das „Café Kranzler“ ein. Das „Café Größenwahn“ galt bis zu seiner Schließung 1921 als wichtigster Treffpunkt von Kulturschaffenden aller Art in Berlin. Roths nächstes Stammlokal wurde „Mampes Gute Stube“ am Kurfürstendamm 15. Hier schrieb er u.a. 1932 große Teile seines Romans „Radetzkymarsch“.
„Ich glaube, dass ich nicht schreiben könnte, wenn ich einen ständigen Wohnsitz hätte“, wird Roth zitiert. Seine Frau Friedl litt sehr unter dem unsteten Leben ihres Mannes. 1928 wird bei ihr eine Schizophrenie diagnostiziert, erste Symptome hatten sich schon seit 1926 gezeigt. Sie kam zunächst in die Berliner Nervenheilanstalt Westend, wurde dann vorübergehend von einer Krankenschwester in der Wohnung eines Freundes betreut, verfiel aber auch nach einer Zeit bei ihren Eltern in Wien immer mehr in Apathie. Die stark abgemagerte junge Frau kam schließlich in Heil- und Pfleganstalten in Österreich, wurde entmündigt und im Sommer 1940 in der NS-Tötungsanstalt Hartheim ein Opfer der NS-Krankenmorde.
Joseph Roth selbst stürzte die Erkrankung seiner Frau in eine tiefe Sinnkrise. Er gab sich bis zu seinem Lebensende die Schuld an ihrer Erkrankung, konsultierte 1930 in Berlin sogar einen chassidischen Wunderrabbi, weil er meinte, Friedl könne von einem Dibbuk besessen sein. Obwohl er nach Friedls Entmündigung die Scheidung beantragte, unterstützte er sie finanziell weiter, auch als seine finanzielle Lage sich verschlechterte.
Roth ging neue Beziehungen ein, die letztlich alle an Roths nahezu „pathologischer Eifersucht“ scheiterten, die wohl auch Friedl zu spüren bekommen hatte. Unter seinen Beziehungen waren die mit Andrea Manga Bell und der Schriftstellerin Irmgard Keun die wichtigsten.

Am 30. Januar 1933, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, entschied sich Roth für das Exil. Er fuhr „sofort nach Paris und setzte nie wieder einen Fuß auf deutschen Boden.“. Hellsichtig schrieb er in einem Brief an seinen Freund und österreichischen Schriftstellerkollegen Stefan Zweig weitsichtig:
„Inzwischen wird Ihnen klar sein, dass wir großen Katastrophen zutreiben. Abgesehen von den privaten – unsere literarische und materielle Existenz ist ja vernichtet – führt das Ganze zum neuen Krieg. Ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben. Es ist gelungen, die Barbarei regieren zu lassen. Machen Sie sich keine Illusionen. Die Hölle regiert.“Paris war für Roth eigentlich die Stadt seiner Träume. Wien mochte er auch sehr, Berlin eher nicht, auch wenn es die Stadt war, die ihm Ruhm und Ansehen gebracht hatte.
Während seines Exils in Frankreich setzte er sein ruheloses Leben fort. Er unternahm längere Reisen in die Niederlande, nach Österreich und Polen, lebte ab Sommer 1934 für rund ein Jahr an der französischen Riviera. Im Gegensatz zu manch anderem Exilanten war Roth in Frankreich durch die Übersetzung des Romans „Hiob“ als Schriftsteller bekannt. Er blieb weiter produktiv und fand in den Niederlanden Exilverlage für seine Texte.
Den Aufstieg der Nationalsozialisten hatte er mit Schrecken verfolgt und schrieb mit Wut gegen ihn an, aber er war hellsichtig genug, die NS-Bewegung nicht nur für kurzfristigen Spuk zu halten. Er wollte die weitere Ausbreitung der Nationalsozialisten aufhalten. In Paris verkehrte er häufig in österreichischen, katholisch-monarchistischen Exilkreisen. Er reiste 1938 sogar mit dem Auftrag nach Wien, den diktatorisch regierenden österreichischen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg zu überreden, zugunsten von Otto von Habsburg, dem ältesten Sohn des letzten Kaisers und Enkel des beliebten langjährigen Kaisers Franz Joseph abzutreten. Doch er wurde gar nicht zu Schuschnigg vorgelassen.
Ein hoher Alkoholkonsum war spätestens seit der Erkrankung seiner Frau ein Problem in seinem Leben. Manche meinen, dass er eigentlich schon während des Krieges mit dem Trinken begonnen habe. Im französischen Exil aber steigerte sich seine Trunksucht, und veränderte allmählich seinen Charakter. Er galt zunehmend als streitsüchtig, nicht nur gegenüber seinen Verlegern, sondern auch gegenüber seinen Freunden. Verzweifelt versuchte Stefan Zweig, ihn vom Alkohol abzubringen. Er unterstützte ihn finanziell immer wieder. Roth aber hatte nicht die Kraft, dem Alkohol zu entsagen. Sein körperlicher Verfall war deutlich. Er residierte im Café Tournon, schrieb an seinen Romanen und betrank sich, bis er eines Tages zusammenbrach. Am 30. Mai 1939 starb er im Armenspital Hôpital Necker an einer doppelseitigen Lungenentzündung. Wegen des abrupten Alkoholentzugs war es ein elendiges Sterben.

Roth wurde keine 45 Jahre alt. In der Emigration hat er bis zum Schluss wie ein Besessener geschrieben. „Obwohl es ihm gesundheitlich schlecht ging, beeinträchtigte das Trinken erstaunlicherweise nicht die Qualität seiner Texte. Neben der Arbeit an seinen Büchern schrieb er immer weiter gegen die NS-Barbarei an – gegen Berichterstatter, die zum Beispiel wohlwollend über die Olympiade 1936 oder die Nürnberger Reichsparteitage berichteten.
Roths rastloses Leben passte zu seiner inneren Zerrissenheit. Er wollte als junger Mann der Welt des Ostjudentums so bald wie möglich entfliehen, legte seinen Vornamen Moses ab und wählte für sich als Jude den Weg der Assimilation. Als Schriftsteller trieb ihn das Schicksal des Ostjudentums aber immer wieder um. Er wählt dabei einen kritischen, wenn auch wohlwollenden, trauernden Blick, schildert das Gefühl von Verloren-Sein und Entwurzelung.
Roth, der politisch nach dem Krieg und der Revolution eher mit den Sozialdemokraten sympathisierte, ohne sich je parteipolitisch festzulegen, hing zugleich dem untergegangenen österreich-ungarischen Kaiserreich an. Auch wenn er Zustände und Menschen in dieser Gesellschaft durchaus ironisch beschrieb, betrauerte den Untergang dieser Welt.
Roth irritiert seine Freunde immer wieder damit, dass er Geschichten aus seinem Leben in unterschiedlichen Variationen erzählte. Er nimmt sich die Freiheit, Legenden zu spinnen, weil er es liebt, seine Zuhörerschaft mit spannenden Geschichten in seinen Bann zu ziehen. In seinem Roman „Flucht ohne Ende“ (1927) verhält sich der Protagonist Franz Tunda genauso, was Roth mit den Worten kommentiert: „Es kommt nicht auf die Wirklichkeit an, sondern auf die innere Wahrheit.“

Quellen / Links

Silo Tips – Joseph-Roth-Special

Joseph-Roth-Gesellschaft

Literaturhaus Wien

Joseph Roth in Berlin

Mampes gute Stube

Joseph Roth in Paris