Wer sind die Pharisäer?


. . . . und welches Bild haben wir von ihnen?
Diese Fragen standen am 9.11.2024 bei der Veranstaltung der Evangelischen Akademie Berlin Brandenburg zur Diskussion. Dabei stellten die beiden Protagonisten, Prof. Joseph Sievers (Rom) und Prof. Jens Schröter (Berlin) ihr Buch „Die Pharisäer – Geschichte und Bedeutung“ jetzt auch in Berlin vor. Frau Dr. Milena Hasselmann (Berlin) übernahm die Einleitung und die Moderation.

Joseph Sievers, Professor Emeritus für jüdische Geschichte und Literatur der hellenistischen Zeit am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom. TAL

Nach Sievers wird den Pharisäern das Vorurteil des Heuchelei und des Hochmutes zugeschrieben. Diese Stereotypen finden sich in den meisten Sprachen. Als Quellen stehen die Qumran-Schriften, der „Jüdische Krieg“ von Flavius Josephus, aus dem Neuen Testament die Evangelien, die Paulus-Briefe und die Apostelgeschichte und außerdem die Mischna in der schriftlichen Niederlegung aus dem 3. Jahrhundert n.Chr. zur Verfügung. Als Mischna wird die Auslegung der Thora in Hinsicht auf die Religionsgesetze bezeichnet, die mit den Kommentaren aus Jerusalem und aus Babylon, der Gemarah, zum Talmud zusammengefasst wird.

Nach den Qumran-Schriften machen die Essener den Pharisäern den Vorwurf, die Religionsgesetze nicht streng genug zu beachten. Bei Josephus finden sich neben Berichten zu den Sadduzäern und den Essenern keine weiteren verwertbaren Aussagen. Paulus bezeichnet sich selbst als Juden und Pharisäer und in der Mischna werden Fragen zu den Reinheitsregeln zwischen den verschiedenen Gruppen diskutiert. Im Neuen Testament treten die Pharisäer überwiegend als Opponenten Jesu auf.

Jens Schröter, Lehrstuhl für Exegese und Theologie des Neuen Testamentes sowie die neutestamentlichen Apokryphen der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. TAL

Schröter betont, dass die Pharisäer im Neuen Testament überwiegend negativ dargestellt werden. Sie sind dort die am häufigsten erwähnte jüdische Gruppe. Dabei macht ihnen der Evangelist Mattheus im 23. Kapitel den Vorwurf der Heuchelei, da sie nur eine äußerliche Gesetzestreue und nicht die tatsächlichen Inhalte der Thora, also Gottes Wille, beachteten. Hier geht es vor allem um Fragen der Schriftauslegung, die sich anhaltend durch die innerjüdische Diskussion ziehen.
Bei Johannes werden die Pharisäer auch als politische Gruppe verstanden, die stellvertretend für das Judentum stand und in der Lage waren, Anhänger Jesu aus der Gemeinschaft der Synagoge auszuschließen. Bei Lukas und in der Apostelgeschichte erfahren die Pharisäer eine freundlichere Darstellung.

Prof. Joseph Sievers, Prof. Jens Schröter , Dr. Milena Hasselmann, Pfarrerin am IKJ und in der Evangelischen Kirchengemeinde in Pankow-Heinersdorf. TAL

In der Diskussion wird deutlich, dass es zu der Gruppe der Pharisäer nur ein beschränktes Wissen gibt. Weder kennt man den Ursprung ihres Namens, noch weiß man, wie Menschen Zugang zu dieser Gruppe fanden. Erste Zeugnisse stammen aus dem 2. Jahrhundert v. Chr.. Nach der Zerstörung des Zweiten Tempels 70 n. Chr. verlieren die Sadduzäer ihre Bedeutung als Vertreter des legitimen Hohepriestergeschlechts und die Pharisäer bestimmen die Auseinandersetzung. Vor allem zum Sabbathgebot, zu Reinheitsvorschriften und zu der Frage der Auferstehung. Dabei geben sie Hinweise für das tägliche Leben und übernehmen auch eine politische Funktion für das Judentum. Aus ihrer Gruppe entwickelt sich das Rabbinertum, das den Juden in der Diaspora Struktur und Inhalt gibt.

Bei der Beurteilung der Evangelien ist immer zu beachten, dass sie mindestens eine Generation nach Jesu Tod verfasst worden sind und dann auch ihre Prägung durch die aktuelle theologische Diskussion erhielten. So stehen bei Mattheus der Wille Gottes, die Unauflösbarkeit der Ehe und das Sabbathgebot im Mittelpunkt. Hier positioniert sich Jesus sehr zugespitzt, fast provozierend. Johann Sebastian Bach übernimmt diesen Ton dann für seine Mattheus-Passion.
Paulus bemüht sich, auch Nichtjuden einen Zugang zu Jesus ermöglichen, indem er nicht das Befolgen der Thoragesetze sondern den Glauben an Jesus Christus in den Mittelpunkt stellt.
Bei Markus und Lukas sind die Auseinandersetzungen zwischen Jesus und den Pharisäern weniger polemisch. Hier steht die Liebe zu Gott und zum Menschen im Mittelpunkt. Die Mischna sagt dazu für das praktische Leben: „Das, was Dir missfällt, tue auch deinem Nächsten nicht an. Das ist das ganze Gesetz; der Rest ist Kommentar. Geh und studiere es.“

Als Ergebnis der Vorträge und der Diskussion wird deutlich, dass es notwendig ist, sich mit dem Begriff der Pharisäer in der Umgangssprache kritisch auseinanderzusetzen. Beim Studium des Neuen Testamentes müssen wir uns über den Zeitbezug der Texte und über ihre Adressierung klar werden. Auch diese Texte sind von Menschen geschrieben.
Wer sich mehr mit diesem Thema auseinandersetzen möchte, sei auf das o.g. Buch verwiesen.
red-