Jahrelang gab es über das Vernichtungslager Sobibor nur relativ geringe Kenntnisse. Zusammen mit Treblinka und Belzec im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ entstanden war es vom Mai 1942 bis zum Aufstand im Oktober 1943 in Betrieb. Anschließend wurde es zerstört, sein Gelände bepflanzt und damit in seiner ursprünglichen Form nicht mehr erkennbar. Erst durch offizielle archäologische Untersuchungen 2014 konnten Anlage und Gebäude in ihrer Lage identifiziert werden. Weitere Aufschlüsse gab es durch die Berichte der überlebenden Aufständischen, darunter den des Leutnants der Roten Armee Alexander Petscherski.
Jetzt tauchten aus dem Besitz des stellvertretenden Lagerleiters Johann Niemann zwei private Fotoalben und weitere Fotos auf. Sie geben eine weitgehenden Einblick in seinen Lebenslauf und in das Leben der SS-Wachmannschaft in Sobibor. Das Material gelangte durch Zufall, aber auch durch die Aufmerksamkeit und Beharrlichkeit eines zeitgeschichtlich Interessierten in die Hände des Bildungswerkes Stanislaw Hantz und der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart. Entscheidend war auch die Bereitschaft von Niemanns Nachkommen Fotos und weitere Unterlagen untersuchen und schließlich veröffentlichen zu lassen. Die Ergebnisse dieser Arbeit mündeten jetzt in die Veröffentlichung des Buches „Fotos aus Sobibor“.
Die Vorstellung dieses Buches erfolgte am 28. Januar 2020 in der Topographie des Terrors und gehörte zu einer Veranstaltungsreihe „Neue Bücher“, die Michael Wildt, Historiker von der Humboldt-Universität, moderiert. Für die Autoren waren Martin Cüppers, Andreas Kahrs und Anne Lepper anwesend.
Zum Anfang schilderte Jelje Manheim aus den Niederlanden, wie sie als Enkelin einer in Sobibor ermordeten jüdischen Familie durch ausgedehnte Recherchen die Schicksale ihrer verschiedenen Verwandten aufgedeckt hat.
Zwei Schwerpunkte wurden in den Vorträgen beleuchtet:
Einmal die erstaunlich geradlinige NS-Karriere des Johann Niemann (1918 – 1943) und dann die Struktur eines massenhaften und organisierten Mordens, die eng an die Person Hitlers gebunden war.
Niemann trat nach einer Malerlehre bereits als Achtzehnjähriger 1931 in die NSDAP und die SA ein, wechselte später in die SS und wurde dort regelmäßig befördert. Nach mehreren Stationen in Konzentrationslagern wie Esterwegen und Sachsenhausen wurde er in die Kanzlei des Führers abkommandiert. Im Rahmen der T4-Aktion war er in Grafeneck und Bernburg an der systematischen Ermordung Geisteskranker und Behinderter beteiligt.
Von dort wechselte er im besetzten Polen ins Generalgouvernement und war am Aufbau der Vernichtungslager Belzec und Sobibor beteiligt. Dabei zeichneten ihn offensichtlich Fleiß und Strebsamkeit aus, moralische Bedenken bei seinem Tun scheinen ihn nicht belastet zu haben. Trotz anderslautender Bestimmmungen nutzte er seine Dienststellung zu umfangreicher Bereicherung, was die regelmäßigen Einzahlungen auf die Sparbücher der Familie belegen. Beim Aufstand des Häftlingskommandos am 14.10.1943 wurde er getötet.
Zum anderen wird die Entwicklung einer überschaubaren Gruppe von Männern verfolgt, die sich früh der NS-Ideologie verschrieben, sich ohne moralische Hemmungen zu Fachleuten im Mordhandwerk ausbildeten und dieses Wissen dann auch bei der Ermordung der Juden in Polen zum Einsatz brachten. Dabei bestand eine enge Bindung an die Kanzlei des Führers, die gerade für diese Gruppe und ihre Familien eine besondere Fürsorge walten ließ.
Erschreckend wird dem Betrachter der Bilder immer wieder bewußt, dass nur wenige Meter hinter den entspannt sitzenden und scherzenden SS-Männern die Gaskammern und Verbrennungsgruben liegen und auf neue Opfer warten.
Fotos aus Sobibor – Die Niemann-Sammlung zu Holocaust und Nationalsozialismus. Martin Cüppers, Anett Gerhardt, Karin Graf, Steffen Hänschen, Andreas Kahrs, Anne Lepper, Florian Ross. Metropol Verlag. Berlin 2020
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Siehe auch Deutschlandfunk vom 28.01.2020 und Tagesspiegel vom 29.01.2020.
2 Gedanken zu „Sobibor – die Täter werden sichtbar“
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