Synagoge in Tallinn – mit Glasfassade in die Zukunft

Im Urlaub verschlug es L.K., Mitglied von Verein Gleis 69, kürzlich nach Tallinn.
In der estnischen Hauptstadt liegen verschiedene historische Schichten ganz nah beieinander: Hier traditionelle estnische Holzhäuser, dort Plattenbauten aus der Sowjet-Zeit. Hier die mittelalterliche Altstadt mit ihren schmalen Gassen, den Türmen und dem Schutzwall ringsherum, dort moderne Glasbauten mit High Tech-Ausstattung.

Tallinn, Altstadt. TAL
Moderne Architektur in Tallinn. TAL

Aus durchsichtigem Glas bestehen auch die vier Wände der Beit-Bela-Synagoge, die zurzeit die einzige Synagoge auf estnischem Boden ist. Das Material weist darauf hin, dass der Bau noch nicht alt ist: 2005 wurde der Grundstein gelegt, 2007 erfolgte die Einweihung.1 Rabbiner der Beit-Bela-Synagoge ist der in Jerusalem geborene Shmuel Kot.2

Neue Synagoge in Tallinn. lak
Neue Synagoge in Tallinn. lak

Zur Synagoge gehören eine Mikwe (also ein rituelles Tauchbad) und ein koscheres Restaurant; an sie angeschlossen sind außerdem das Jüdische Museum Estland und eine Jüdische Schule.

Neue Synagoge in Tallinn mit gesichertem Eingang. lak

Wie viele Synagogen ist auch die Beit Bella-Synagoge nicht für jeden zugänglich. Doch wer hineingelassen wird, kann die innovative Innenarchitektur aus Glas, Marmor und Holz bewundern. Das obere Stockwerk wirkt wie übergossen von dem runden Dach aus roten Ziegeln. Hier befindet sich der Gebetsraum mit einer Glaswand hinter dem Altar. Die Holzwände des Raums haben Löcher in Form von Granatapfelbäumen – modernes Design trifft auf ein traditionelles Motiv des jüdischen Glaubens.

Innenraum der neuen Synagoge Tallinn. Fotograf Avi1111 dr. avishai teicher. Unter CC BY-SA 3.0

Momentan zählt die jüdische Gemeinde in Estland etwa 1000 Mitglieder und bietet verschiedene Veranstaltungen an – von Torah-Studien bis zum sonntäglichen Kinderprogramm „Jfuture“.3 Das ist bemerkenswert, denn bis zur Errichtung des Baus 2007 war Tallinn die einzige europäische Hauptstadt ohne Synagoge. Die alten Synagogen in Tallinn und Tartu waren im Zweiten Weltkrieg zerstört worden4, und als Estland zwischen 1944 und 1991 Teil der Sowjetunion war, war Juden ihre Religionsausübung untersagt.

Doch es gab nach der Shoah ohnehin kaum mehr Juden in Estland: Von den etwa 4500, die vor der sowjetischen Besatzung 1940 in dem Land lebten, wurde zuerst ein Anteil von etwa 10% zusammen mit Angehörigen der estnischen Elite nach Sibirien deportiert.5 Viele weitere flohen in den folgenden Jahren nach Finnland oder ins Innere der Sowjetunion.6 Die Verbliebenen (etwa 25%) wurden nahezu alle von den Nazis ermordet.7 Die deutschen Besatzer errichteten über 20 Konzentrations- und Arbeitslager in Estland, wo nach Schätzungen von Historikern etwa 10 000 Juden aus ganz Mittel- und Osteuropa vernichtet wurden.i

Im Museum, das an die Synagoge angrenzt, können sich Besucher über die Geschichte der estnischen Juden anhand zahlreicher Text- und Bilddokumente informieren. Die Gemeindevertreter sind zuversichtlich: In Zukunft wird jüdisches Leben einen festen Platz in der estnischen Gesellschaft haben.
lak-

1 https://www.juedische-allgemeine.de/allgemein/hoffnungstraeger/

2 https://www.ejc.ee/templates/articlecco_cdo/aid/410711/jewish/Kontakt.htm

3 https://www.ejc.ee/

4 https://muuseum.jewish.ee/Religion/leo%20gens%20synagogues_en.pdf

5 https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Juden_in_Estland

6 Ebd.

7 Ebd.

i Ebd.