Dortmunder Str. 10 – Hausbewohner recherchieren

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Das Haus Dortmunder Str. 10, ehemaliger Wohnort der Familien Alpern und Schächter. TAL


Seit einigen Jahren ist eine engagierte Gruppe von HausbewohnerInnen aus der Dortmunder Str. 10 dabei, Recherchen zur Geschichte ihres Hauses anzustellen. Dabei haben sie vor allem die Schicksale der jüdischen Familien Alpern und Schächter verfolgt. Jahrelang haben sie sich um Einsichtnahme in den unterschiedlichen Archiven und Dateien bemüht und ein umfangreichen Schrift- und Emailverkehr geführt. Jetzt entsteht mittlerweile ein klareres Bild beider Familien.

Das Ehepaar Alpern, Adolf Abraham, geboren 26.11.1887 in Kolomea/Ostgalizien( heute Ukraine) und Rosa, geboren am 3.11.1890 in Buczacz, lebte in der Dortmunder Str. 10 mit den drei Söhnen Jakob, Willi-Seev und Herbert, die alle vor Kriegsausbruch aus Deutschland emigrieren konnten.
Die Eltern versuchten angestrengt zu emigrieren. 1940 flüchteten sie von Berlin nach Wien und dann weiter nach Banja Luka / Bosnien-Herzogowina im Königreich Jugoslawien. 1942 hatten sie eine Schiffspassage von Triest nach Palästina gebucht und bereits das Gepäck dorthin aufgegeben. Sie konnten das Schiff aber nicht mehr erreichen, wurden beim deutschen Angriff 1942 von kroatischen Ustaschas gefangen genommen und in das berüchtigte KZ Jasenovac gebracht. Das Datum ihrer Ermordung ist unbekannt.
Jakob, geboren 7.03.1920, war von Beruf Versicherungsagent und Kaufmann. Er reiste 1937 nach Palästina aus. Er wohnte dort in Jerusalem, heiratete 1949 Ester, geb. Meiksin, und starb am 6.04.1978. Das Ehepaar hatte drei Kinder: Zwi Abraham geb. 15.08.1950, Yair geb. 15.03.1953, Ruth Fox geb. 4.09.1957.
Willi-Seev, geboren 22.04.1921, emigrierte 1938 nach Palästina und arbeitete dort als Wirtschaftsprüfer. 1947 heiratete er Shoshanna Rachel, geb. 8.08.1921. Ihnen wurden zwei Kinder geboren: Ram Elgakim am 26.9.1949 und Tamara am 30.9.1956. Er wohnte zuletzt in Tel Aviv und starb dort 2011.
Herbert, geboren am 7.02.1924, emigrierte 1938 mit einem Kindertransport nach England. Dort kam er am 20.06.1944 durch einen deutschen Bombenangriff ums Leben.
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Die Familie Schächter lebte mit den drei Töchtern Lilly, Margot und Gerda in der Dortmunder Str. 10 und betrieb gemeinsam ein Weißwarengeschäft in der Martin Luther-Straße in Schöneberg.
Der Vater Joachim Schächter, am 2.10.1896 in Buczacz geboren ( Ostgalizien, heute Ukraine), wurde im Rahmen der sogenannten Polenaktion auf Grund seiner polnischen Staatsangehörigkeit am 28.10.1938 aus Berlin nach Zbąszyń/Polen deportiert. Seine Frau, als Chana Anna Sperling 11.12.1898 in Wielkie Oczy / Polen geboren blieb mit ihren Töchtern erst einmal zurück.
Lilly, geb. 22.03.1920, war bereits am 18.06.1939 mit einem Kindertransport nach England gelangt, hatte dort später den Familiennamen Strom angenommen und geheiratet (Blumenberg-Strom). Sie starb 2006 in London.
Die Mutter war gezwungen, das Geschäft der Familie aufzulösen und die Einrichtung unter Wert zu verkaufen. 1939 zog sie mit den Töchtern Margot (geb. 27.11.1921) und Gerda (geb 31.8.1928) zu ihrem Mann nach Zbąszyń/Polen.
Bei Kriegsausbruch flohen die Schächters 1939 von Zbąszyń nach Lubaczów, wo sie Verwandte hatten. 1940 wurde die Familie getrennt.
Mutter Anna und Tochter Margot wurden nach dem russischen Einmarsch im Rahmen des Hitler-Stalin-Paktes nach Altai Krai in Sibirien verschickt. Die Russen entfernten zu diesem Zeitpunkt alle Juden und Polen, die sie als verdächtig einstuften, aus Lubaczów, das damals nahe der Demarkationslinie lag.
Vater Joachim befand sich in diesem Augenblick gerade in Lemberg und entging so der Verschickung, ebenso Tochter Gerda, die zu diesem Zeitpunkt sehr krank war. Vater und Tochter blieben auch nach dem Einmarsch der Deutschen im Juni 1941 in Lubaczów. Beide wurden im dort eingerichteten Ghetto zuletzt Ende 1942 gesehen. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt, und sie gelten als verschollen.
1942 wurden dann Mutter Anna und Tochter Margot von den Russen von Altai Krai nach Samarkand (Usbekische SSR) verschickt. Auf dem Weg dorthin verstarb die Mutter am 4.3.1942 an Fleckfieber.
Margot blieb bis Ende des Krieges in Samarkand. 1946 kehrte sie nach Polen zurück, um ihre Familie zu suchen. Von 1946 lebte sie bis 1950 in Łódź. Dort erkrankte sie schwer. 1950 wanderte sie nach Israel aus und heiratete in Tel Aviv Shalom Szindler (geb. 6.01.1920). Sie bekam mit ihm zwei Kinder, Shulamith und Shoshanna, und verstarb am 12.3.1999 in Tel Aviv.

Am 2. Juni 2021 wurden jetzt jeweils fünf Stolpersteine für die Familie Schächter und fünf für die Familie Alpern vor dem Haus Dortmunder Str. 10 verlegt. Da sich der Künstler Gunter Demnig im Augenblick wegen der Pandemie von der praktischen Verlegung zurückgezogen hat, übernimmt diese Aufgabe eine Tiefbaufirma mit einem erfahrenen Steinsetzer.

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Verlegung der Stolpersteine vor dem Haus Dortmunder Str. 10 am 2.06.2021. TAL

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Die Stolpersteine für die Familie Alpern. TAL

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Die Stolpersteine Für die Familie Schächter. TAL

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Für die Überlassung der verwendeten Unterlagen bedanken wir uns ausdrücklich bei Herrn Sebastian Maess.
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