Dessau hat zwei Gesichter


Dessau hat im deutschen Judentum einen guten Klang. Schließlich war es Moses Mendelssohns Heimatstadt, die er verließ, um seinem Lehrer, dem Rabbiner David Fränkel, nach Berlin zu folgen. Fränkel war als Oberrabbiner dorthin berufen worden.
Die erste jüdische Zeitung „Sulamith“ in deutscher Sprache erschien in Dessau.
Kurt Weill ist hier aufgewachsen, sein Vater war Kantor der hiesigen jüdischen Gemeinde.
Die Familie Cohn war eine bekannte Bankiersfamilie in Dessau und darüber hinaus im späteren Deutschen Reich. Baron Moritz von Cohn war der Bankier des ersten deutschen Kaisers, Wilhelm I..

Graburne von Julie Cohn-Oppenheim (links), Grabmal von Baron Moritz von Cohn (Mitte) auf dem Israelitischen Friedhof Dessau. TAL

Seine Tochter Julie von Cohn-Oppenheim übertraf den Vater noch mit ihrem Mäzenatentum und in der Einrichtung von Stiftungen. So richtete sie sowohl für die Kultusgemeinde von Dessau als auch für die Stadtgemeinde Dessau Stiftungen ein und stattete sie jeweils mit fünf Millionen Mark aus dem väterlichen Erbe aus. Eine für damalige Verhältnisse bedeutende Summe. Aus den Stiftungserträgen wurde 1908 die neue Synagoge gebaut und gleichzeitig eine evangelische Kirche. Auch den städtischen Armenstift hatte Dessau der Baronin zu verdanken. Das Palais, das sie sich in der Kavalierstraße neben dem väterlichen Bankkhaus bauen ließ, konnte sie selbst nicht mehr nutzen.

Messel Alfred (1853-1909), Palais Cohn-Oppenheim, Dessau: Vorderansicht. Foto auf Karton, Bleistift, 24,20 x 22,20 cm (inkl. Scanrand). Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin Inv. Nr. 42640. Gemeinfrei.
Israelitischer Friedhof in Dessau. TAL
Erklärung zu dem in großen Teilen zerstörten Israelitischer Friedhof in Dessau. TAL
Mauer aus den zerschlagenen Grabsteinen erstellt. Israelitischer Friedhof in Dessau. TAL


Davon sind heute nur noch wenige Spuren im Stadtbild zu finden. Auf dem größtenteils in der Reichspogromnacht zerstörten israelitischen Friedhof am Leipziger Tor kann man noch die Gräber der Familie Cohn besuchen. Die Synagoge wurde ebenfalls von der SA angezündet.

Neubau der Synagoge am Ort der zerstörten Vorgängerin. Askanische Straße Ecke Kantorstraße, Dessau. TAL

Nach langen Mühen entsteht gerade ein Neubau in der Kantorstraße. Zum Jahresende soll die Synagoge fertiggestellt sein.

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Aber auch Antisemitismus hat in Dessau Tradition. Im 19. Jahrhundert werden immer wieder judenfeindliche Stimmen laut. Ein Plakat von 1891 belegt es. Früh kann sich die NSDAP in Sachsen-Anhalt etablieren.

Gebäude der ehemaligen Dessauer Zuckerraffinerie, links davon die Brauereibrücke. TAL

Ein besondere historische Belastung ist aber wenig bekannt. In Dessau entwickelte sich die hier ansässige Zuckerraffinerie zum größten Produzenten von Zyklon B, einem Ungeziefervernichtungsmittel. Dieses Blausäurepräparat wurde aus Abfällen der Zuckerproduktion gewonnen.

Unter dem NS-Regime wurde das hochwirksame Atemgift aber auch zur fabrikmäßigen Ermordung der Juden benutzt. Die SS holte sich diese tödliche Chemikalie direkt in Dessau ab, um sie dann nach Auschwitz zu transportieren.
Eine Dessauer Gruppe von Jugendlichen hat diese Vergangenheit aufgearbeitet und die Stadt schließlich dazu veranlasst, einen Mahnort zu schaffen: den Info- und Mahnpunkt Zyklon B Dessau auf der Brauereibrücke.
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Information zum Mahnort auf der Brauereibrücke, Dessau. TAL

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