Gestern fand in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz ein bemerkenswertes Ereignis statt.
Dr. Elke Gryglewski, langjährige stellvertretende Direktorin dieses Hauses, verabschiedete sich und übergab die Gedenkstätte an Deborah Hartmann, die neue Direktorin. Dazu hatte das Haus zu einer Veranstaltung geladen, bei der unter der Überschrift Multiperspektivität über die verschiedenen Aspekte bei der Erarbeitung der dritten Dauerausstellung diskutiert wurde.
Auf dem Podium trafen sich Dr. Elke Gryglewski (Leiterin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten/ Gedenkstätte Bergen-Belsen), Deborah Hartmann (Direktorin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz ), Aya Zarfati (wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Bildung und Forschung) und David Zolldan (Curator of Outreach und Mitglied der Projektleitung der dritten Dauerausstellung).
Zum Auftakt erklärte Elke Gryglewski, dass das Ziel des neuen Konzeptes darin bestand, das Profil gegenüber den anderen Institutionen, die sich auch mit dem NS-Gedenken beschäftigten, zu schärfen. Deshalb lag der Schwerpunkt des Konzeptes auf dem Treffen am 20. Januar 1942, der sogenannten Wannsee-Konferenz. An diesem Tag legten die Vertreter des NS-Staates den äußeren Rahmen der Endlösung für die Juden Europas fest. Dabei soll die Ausstellung die Beteiligten in ihrem Handeln vor und nach diesem Ereignis zeigen, um ihre Rollen besser verstehen zu können.
Dazu ergänzte Aya Zarfati, dass je nach Zielgruppe dem Besucher an den Hörstationen zusätzliche Exkurse möglich seien. Sie persönlich hätte sich mehr Beiträge aus Tagebücher von handelnden Personen gewünscht und mehr Fakten, die durch Betroffene gesichert worden seien.
Deborah Hartmann berichtete aus ihrer langjährigen Arbeit am German Desk in Yad Vashem, dass dort immer die Frage nach den Betroffenen im Vordergrund stand, ebenso die Perspektive jüdischer Menschen und des religiösen Lebens unter Bedrohung. Die Diskussion dort wurde zwischen den Auffassungen, dass es sich bei der Shoah um einen Zivilisationsbruch gehandelt bzw. dass hier ein Verbrechen von Menschen an Menschen stattgefunden habe, geführt.
David Zolldan stellte anschließend die lange und differenzierte Diskussion zur Entwicklung der Ausstellung auf 400 m2 bei schwierigen Raumverhältnissen dar. Sie sollte die Bedürfnisse der vielfältigen Besuchergruppen und auch der zunehmenden Einzelbesucher berücksichtigen und gleichzeitig auch eine Inklusion ermöglichen.
Elke Gryglewski sprach interessante Erfahrungen mit Besuchergruppen aus postdiktatorischen Ländern in Lateinamerika an. Dort war die Gedenkarbeit durch die Opfer bestimmt. Hier in Deutschland mussten sich die Nachfahren der Tätergeneration dieser Aufgabe stellen.
Wie schwer das dieser Generation fiel, lässt sich an den langwierigen und mühseligen Vorgeschichten des Hauses der Wannsee-Konferenz und der Topographie des Terrors verfolgen. Gedenkstätten und Denkmäler erschienen häufig erst nach vielen Widerständen Ende der achtziger Jahre in der Berliner Stadtlandschaft. Oder auch erst in den neunziger Jahren (Spiegelwand am Hermann Ehlers-Platz, Gleis 17 am Bahnhof Grunewald). Der Gedenkort Güterbahnhof Moabit für den größten Deportationsbahnhof Berlins wurde sogar erst 2017 realisiert und sorgt immer noch für Diskussionen (Redaktion).
Bei der Sprache der Texte war in der Ausstellung auf die korrekte Bezeichnungen der Institutionen zu achten. Die Sprache sollte einerseits einfach und verständlich sein, andererseits aber einem Mindestanspruch an sachlicher Differenziertheit genügen.
Dabei äußerte der Schriftsteller Maxim Biller in seiner ZEIT-Kolumne (44/2020) Kritik an der Sprache der Gedenkstätten, insbesondere des Hauses der Wannsee-Konferenz. Er benutzte dabei die Attribute formelhaft, langweilig und gefühllos.
Es bleibt jedem selbst überlassen, wie weit er sich mit dieser Einstellung von Maxim Biller auseinandersetzen möchte (Redaktion) .
Dazu gab es verständlicherweise sehr unterschiedliche Meinungsäußerungen. Zu der aktuell in der Ausstellung verwandten Sprache gibt es noch wenige Rückmeldungen, da die neue Dauerausstellung pandemiebedingt lange geschlossen war und erst jetzt beginnt, wahrgenommen zu werden.
Daran schloss sich eine Diskussion über das Spektrum der Besucher und ihre Erreichbarkeit an. Auf der einen Seite die Schulgruppen, dann berufsspezifische Gruppen und Gruppen aus Institutionen. Darin sind sicherlich auch eine größere Anzahl von Menschen inbegriffen, die nicht aus eigenem Antrieb dieses Haus besucht hätten. Auf der anderen Seite die größer werdende Gruppe von Einzelbesuchern mit einem hohen Bildungsgrad und nicht zuletzt die digitalen Besucher.
Eine Lösung für die bisherigen Nicht-Besucher des Hauses ist aber nicht in Sicht.
Norbert Kampe, ein früherer Direktor des Hauses, trauerte etwas der vorangegangenen Dauerausstellung nach, sie sei zwar akademisch geprägt gewesen, hätte aber auch die Möglichkeit geboten, Kurzzeit-Besuchern einen Eindruck dieses Ortes zu vermitteln.
Weiterhin stellen sich etliche, nicht sofort beantwortbare Fragen:
Was nehmen die Besucher an Informationen und Eindrücken wieder mit?
Wieviel Zeit sind sie bereit, beim Lesen zu verbringen?
Welcher Besucher soll welche Informationen erhalten?
Wie lässt sich ein möglich breites Spektrum an Besuchern ansprechen?
Werden sich andere Besucher als vorher von der neuen Dauerausstellung ansprechen lassen?
Abschließend stellte Elke Gryglewski fest, dass unbestritten jeder Besucher sein eigenes Vorwissen und seine individuelle Prägung mitbringt und entsprechend die Ausstellung aus seiner persönlichen Perspektive betrachten wird.
Zum Schluss gab es viel Zeit zum persönlichen Meinungsaustausch, den alle Anwesenden gern nutzten.
Ein sicher befriedigender Abschied für Elke Gryglewski und ein guter Einstieg für Deborah Hartmann.
Wir freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit mit beiden.
art-
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