Tourismus zu den Stätten der NS-Verbrechen

Christoph David Piorkowski geht im heutigen Tagesspiegel der Frage eines zunehmenden Tourismus zu den Stätten des NS-Verbrechens nach. Anlass ist der Veröffentlichung des Buches Dark Tourism. Reisen zu Stätten von Krieg, Massengewalt und NS-Verfolgung von Frank Bajohr, Axel Drecoll und John Lennon ( Metropol Verlag Berlin, 2020. 24 €). Das genannte Buch erscheint im zeitlichen Zusammenhang mit steigenden Besucherzahlen der verschiedenen Gedenkstätten. Seine Verfasser versuchen den Gründen und den Erscheinungsbildern dieses Phänomens nachzugehen. Sind es die mittlerweile fehlenden Zeitzeugen und der weiterhin wache Wunsch nach authentischen Zeitzeugnissen? Sind es die relative Nähe zum Zweiten Welkrieg und die damit noch lebendigen familiären Erzählungen?


Bajohr, einer der Autoren, hält SchülerInnen für fähig, ihre eigenen Erwartungen, die Bilder aus den Medien, den authentischen Ort und die jeweilige Gedenkstätte auseinanderzuhalten. Ein hoher Anspruch, bei dem Zweifel erlaubt sein mögen. Ob die gegenwärtige Präsentation durch die unterschiedlichen Formate ein umfassendes Bild der NS-Verbrechen ermöglicht, zweifeln die Verfasser selbst an.

Foto vom Torhaus des KZ Auschwitz-Birkenau, Aufnahme kurz nach der Befreiung 1945. Aufnahme Stanisław Mucha. Bundesarchiv. Unter CC-BY-SA 3.0

Die Besucher seien oft auf der Suche nach ikonenhaften Bildern von KZ-Wachtürmen, Gaskammern oder Gleisen, die auf ein KZ zu laufen. Andere Orte der systematischen Vernichtung seien eher unbekannt und selten besucht. Noch weniger sind Besucher an den Orten des früher vielfältigen jüdischen Leben zu finden, sei es auf dem Lande oder in den Städten, sei es in Deutschland, Frankreich, Polen oder der Ukraine. Diese Suche nach medial vertrauten Bildern habe bereits dazu geführt, dass touristisch besonders frequentierte Orte Disneyland ähnlichen Charakter entwickeln. In Deutschland neigten die Gedenkstätten eher dazu, Informationen anhand von Texten zu vermitteln und könnten so kaum sinnvolle Emotionen wachrufen.

POLIN (Muzeum Historii Żydów Polskich), Außenansicht von Westen
Fotograf Julian Nyča – Eigenes Werk. Unter CC BY-SA 4.0

Vielleicht ließ sich stattdessen die Präsentation des Warschauer Museum Polin im ehemals jüdischen Wohngebiet Murano zum Vorbild nehmen. Es führt den Besucher auf vielfältigste Weise durch die vielen Jahrhunderte jüdischen Lebens in Polen. Der Besucher muß aber auch auch dazu bereit sein und die nötige Zeit mitbringen. Komplexe geschichtliche Zusammenhänge lassen sich eben nicht nur mit Video-Schnipseln erfassen.
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