Am 24. Mai 2018 fand die jährliche Veranstaltung der Ständigen Konferenz der Leiter der NS-Gedenkorte im Berliner Raum zusammen mit und in der französichen Botschaft statt.
So begrüßte die französische Botschafterin Anne-Marie Descotes die Gäste unter anderem mit der Erinnerung an eine Rede des Präsidenten Jacques Chirac am 16. Juli 1995, in der er die Kollaboration mit dem deutschen Besatzungsregime und die Beteiligung der damaligen französischen Regierung an der Deportation und Vernichtung der französischen Juden als gemeinsame Schuld bezeichnete. Das war der Beginn einer neuen Gedenkkultur in Frankreich.
Gleichzeitig wies sie auf die Arbeit der CIVS hin, deren Präsident Michel Jeannoutot schilderte, wie seine Behörde für die historische Erinnerung, die Wiedergutmachung finanziell und juristisch gegenüber den Opfern und für die Rückerstattung von geraubten Gütern sorgt. Zu der neu entwickelten Erinnerungskultur gehört auch die Kontaktaufnahme zu den Famillien Deportierter. Die Behörde arbeitet mit breiter politischer Zustimmung aller Parteien und ist beim Ministerpräsidenten angesiedelt. Zuletzt richtete Prof. Tuchel für die Ständige Konferenz der Leiter der NS-Gedenkorte ein Grußwort an die Gäste.
Daran schloß sich ein Podiumsgespräch an, das der Moderator Prof. Morsch von der Stifung Brandenburgische Gedenkstätten einleitete. Er erinnerte daran, daß das Projekt einer gemeinsamen Europäischen Erinnerungskultur, „Auschwitz-Projekt“, gescheitert sei. Er beschrieb die umfangreiche Arbeit der Familie Klarsfeld auf diesem Feld ( Aufspüren von deutschen Tätern, dem Verfolgen und Dokumentieren der aus Frankreich Deportierten , der Beschreibung des Schicksals ermordeter jüdischer Kinder. Gleichzeitig ermöglichten sie die Versöhnung der ehemaligen Gegner und eine differenzierte Sicht auf Deutschland. Sie fügten der Sicht auf die Resistance neben einem militärischen Anteil auch noch ein zivilen Anteil hinzu, wie beispielsweise das Verstecken von zahlreichen jüdischen Kindern. Dabei fehlten auch nicht die Hinweise auf die antijüdischen Gesetze der Vichy-Regierung und den allgemeinen französischen Antisemitismus.- Nach anfänglicher eher oberflächlicher Erinnerung findet jetzt in der zweiten und dritten Generation eine zunehmend intensivere Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit so in Film und Literatur, auch durch Autobiographien statt.
Frau Prof. Gilzmer von der Universität des Saarlandes berichtete über die Entwicklung der jetzigen französischen Gedenkkultur. So wurde bereits 1945 geplant, im KZ Natzwiller – Struthof eine Gedenkstätte einzurichten. Dabei stand der Friedhof französischer Häftlinge im Mittelpunkt, obwohl die Mehrzahl der Häftlinge dort aus Polen und Russen bestand. Um hier glaubhaft eine Nekropole errichten zu können, wurden Leichen von Häftlingen aus anderen KZ hierher umgebettet. Die französischen Widerstandskämpfer wurden so den regulären Soldaten gleichgestellt. Erst mit der politischen Wende in Osteuropa begann man auch das Schicksal der polnischen und russischen Häftlinge wahrzunehmen. Bis Anfang 2000 gab es keine relevante französische Forschung dazu.
Da die französischen Verbände der KZ-Häftlinge und Deportierten die Erinnerungskultur in Frankreich bestimmten, war die Neuausrichtung nach der Chirac-Rede nicht einfach. Gleichzeitig war die Erinnerung politisch von kommunistischer sowie von republikanischer Seite heftig umkämpft. Denkmäler an historisch wichtigen Orten blendeten die Beteiligung der jeweils anderen Seite am Widerstand aus. Diese politisch unterschiedlich gewichtete Sicht auf die Geschichte des französischen Widerstands bildet sich auch in den unterschiedlichen Gedenktagen ab.
So konnte ein Vorschlag aus Brüssel, einen gemeinsamen europäischen Gedenktag am 23.August zu schaffen, dem Tag,an dem der Hitler-Stalin-Pakt unterzeichnet worden ist, in Frankreich kaum Anklang finden.
Frau Dr. Neau-Dufour vom Europäischen Zentrum des deportierten Widerstandskämpfers in Natzwiller schilderte, wie sich in Frankreich eine wissenschaftlich fundierte Forschung und Erinnerungskultur erst langsam gegen großen Widerstand durchsetzen konnte. Dieses Feld wurde gern durch undifferenzierte und unscharfe Darstellungen in gefährlicher Weise parteipolitisch instrumentalisiert. Präsident Macon versucht jetzt diesen Geschichtsbereich als nationale Erinnerung zu besetzen – gegen Bestrebungen der identitären Bewegungen und gegen Le Pen.
Bis jetzt ist die Sicht auf die geschichtlichen Ereignisse dieser Zeit in Osteuropa weitgehend ausgeblendet gewesen, vielleicht auch, weil bis zur Wende dort eigenständige Betroffenenverbände nicht vorhanden waren. Dabei ist für ein umfassendes Verständnis dieser Zeit eine gesamteuropäische Betrachtung notwendig, gemeinsame Erfahrungen des Terrors können verbinden. Erfreulich ist, daß die heutige Generation ein zunehmendes Interesse an der Geschichte des II. Weltkrieg und de Holocaust zeigt. Die moderne Erinnerungskultur in Frankreich und Deutschland hat mittlerweile auch an andere Pädagogik entwickelt, die die Sicht auf die Geschichte bei gegenseitigem Respekt erlaubt.
Frau Dr. Neau-Dufour erinnerte daran, daß das erste Internierungslager in Südfrankreich im Januar 1939 für flüchtende Spanienkämpfer und andere Flüchtlinge aus Spanien eröffnet wurde.
Leider konnte die ebenfalls für die Podiumsdikussion eingeladene Beate Klarsfeld der Einladung wegen einer anderen Verpflichtung nicht folgen.
-LOT
Ein Gedanke zu „Neue Gedenkkultur in Frankreich – ein Blick nach Westen“
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