Meron Mendels Buch »Über Israel reden«

Meron Mendel, 2018, Bildungsstätte Anne Frank. Fotograf Felix Schmitt. Unter CC BY-SA 3.0.

Es ist wohl kaum möglich, sich mit dem Holocaust auseinanderzusetzen, ohne irgendwann auf Israel zu kommen. Schon Ende des 19. Jahrhunderts, als Palästina noch zum Osmanischen Reich gehörte, verbreitete sich Theodor Herzls Überzeugung, dass die Juden einen eigenen Staat haben müssten. 1948, nachdem Millionen von Jüdinnen und Juden von den Nazis ermordet worden waren, wurde diese Idee mit der Gründung Israels Wirklichkeit. Israel wurde damals zur Rettung und Heimat für Hunderttausende – diesen Status hat das Land bis heute nicht verloren. Immer noch wandern Menschen aus allen Kontinenten in den einzigen jüdischen Staat der Welt ein, weil sie sich dort, wo sie herkommen, nicht sicher fühlen.

Doch Israels Existenz brachte nicht nur Rettung, sondern auch schwerwiegende Probleme mit sich – schließlich lebten auf dem Territorium des britischen Mandatsgebiets Palästina, das die Zionisten für sich reklamierten, neben Juden auch viele Araber. Im Zuge der Staatsgründung flohen etwa 700 000 von ihnen oder wurden vertrieben. Bis heute kommt es im so genannten Nahost-Konflikt immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern.

Wer meint, dass das alles eher wenig mit Deutschland zu tun hat, irrt. Denn auch wenn die meisten Deutschen Israel noch nie besucht haben: Der 9,5-Millionen-Einwohner-Staat ist ihnen alles andere als gleichgültig. Viele haben eine dezidierte Meinung zu den Geschehnissen im Nahen Osten, die stark mit der eigenen Identität verknüpft ist. Meron Mendel ist als jüdischer Israeli vor 20 Jahren nach Deutschland eingewandert und mittlerweile Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main. Er hat nach zahlreichen Begegnungen und Diskussionen mit Deutschen über Israel nun ein Buch über dieses Phänomen veröffentlicht.

»Über Israel reden« ist eine Bestandaufnahme des hiesigen Israel-Diskurses, angereichert durch so manche persönliche Anekdote. Zugleich ist es eine Aufforderung, angestammte Denkmuster zugunsten einer faktenorientierten Analyse aufzugeben. In diesem Sinne stellt Mendel schon gleich zu Beginn etwas richtig: Die Sicherheit Israels sei entgegen vieler Behauptungen keineswegs »deutsche Staatsräson«. Denn, fragt der Historiker, was solle das überhaupt heißen? Eine rechtliche Grundlage habe die Aussage, die auf eine Erklärung Angela Merkels vor der Knesset zurückgeht, jedenfalls nicht. Indes sei das Verhältnis Deutschlands zu Israel schon immer strategischer Natur gewesen, vermeintliche Freundschaftsakte hätten immer auch den eigenen Interessen gedient. Das, so muss man hier anfügen, ist allerdings die Normalität im internationalen Staatengefüge.

Besondere Aufmerksamkeit widmet Mendel in seinem Buch den Linken. Diese sind in Deutschland im Hinblick auf Israel bekanntlich tief gespalten: Auf der einen Seite israelsolidarische Antideutsche, auf der anderen Seite israelkritische Antiimperialisten bzw. Antirassisten. Ist Israel Opfer oder Täter? Mendel berichtet, wie beide Lager ihn als linken Israeli für sich gewinnen wollten – und enttäuscht waren, als er sich jeweils der Rolle des Kronzeugen verweigerte.

Zweifellos ist Mendel mit den Zuständen in seinem Geburtsland alles andere als einverstanden. Die Besatzung der Palästinensergebiete lehnt er entschieden ab, die aktuelle Regierung hält er für höchst gefährlich. Und doch findet er auch deutliche Worte für jene, die Israel dämonisieren, etwa den australischen Historiker Dirk A. Moses. Dieser warf den Deutschen im jüngst ausgetragenen »Historikerstreit 2.0« einen erinnerungspolitischen »Katechismus« vor, der von anderen Kolonialverbrechen ablenke. Als ein solches Kolonialverbrechen versteht Moses auch die israelische Besatzung der Palästinensergebiete. Mendel weist daraufhin, dass Moses das Sprechen über Erinnerungskultur instrumentalisiere – letztlich, um Israel als Verbrecherstaat das Existenzrecht absprechen zu können. Die Beschäftigung mit dem Holocaust, so Mendel, verhindere indes keineswegs, sich auch mit Kolonialverbrechen auseinanderzusetzen, im Gegenteil: Sie fördere es.

Man muss nicht mit allem übereinstimmen, was Mendel schreibt: Es lohnt sich aber, »Über Israel reden« zu lesen, und in der Auseinandersetzung damit die eigenen Positionen zu überdenken. Denn das Buch ist nicht nur kurzweilig und konzise geschrieben, sondern kann einem tatsächlich die eine oder andere neue Perspektive vermitteln.

Meron Mendel: »Über Israel reden. Eine deutsche Debatte«, Kiepenheuer & Witsch, 224 S., geb., 22 €.
l-k

Im Rahmen der Ausstellung „Who by Fire: On Israel“ findet am 21. Juni 2023 um 19 Uhr im Haus am Lützowplatz in Berlin eine Lesung mit anschließender Diskussion statt:
Meron Mendel, „Über Israel reden: Eine deutsche Debatte“
Moderation: Stephan Detjen