Heute abend gab es eine ausgesprochen interessante Veranstaltung im Jüdischen Museum:
David Feldmann (Birkbeck College/ University of London) und Stefanie Schüler-Springorum (Zentrum für Antisemitismusforschung/ TU Berlin) beschäftigten sich mit dem Thema: „In welchem Verhältnis stehen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit zu einander?“
So berichtete David Feldmann wie nach 1945 Muslime Juden als größte Minderheit in Großbritannien abgelöst, aber dabei nicht einen Anteil von 5 % überschritten haben. Anfangs wurden sie nach ihren Herkunftsländern identifiziert, dann erst in 1980iger Jahren nach ihrer Religion als Muslime. In ihrer materiellen und sozialen Stellung bieten sie ein umgekehrtes Bild verglichen mit dem der jüdischen Minderheit : zu 50% gehören sie zur armen Bevölkerung, leben in überwiegend armen Gegenden und sind wenig in hohen gesellschaftlichen Positionen vertreten.
Die Juden zeigen sich zu Israel zugehörig und akzeptieren überwiegende seine Politik einschließlich der Besetzung Palestinas. Dadurch lösen sie immer wieder Vorurteile gegenüber den Juden in Westeuropa aus und führen zu gegenseitigen Vorwürfen zwischen Juden und Muslims. Wenn auch die Öffentlichkeit häufiger Partei für jüdische Interessen ergreift, gibt es doch unterschwellig Anzeichen für eine ernstzunehmende antisemitische Haltung. Auch wenn die Muslime von Juden als bedeutende Quelle des Antisemitismus bezeichnet werden, belegen wissenschaftliche Untersuchungen rechtsextreme Gruppen als Hauptursache.
Als ein Erklärungsmuster für die Ablehnung beider Minderheiten dient der Orientalismus, dessen Fremdheit im Imperialismus zur Stigmatisierung sowohl in Form des Antisemitismus als auch in Form der Islamophobie benutzt wurde. So war die eigene Identifikation und Abgrenzung als christliches Abendland möglich. Neben der religiösen Unterscheidung , also außerhalb von Moschee und Synagoge, zog man mit der Entwicklung von Nationalstaaten auch die vermeintlich andere Rasse als Unterscheidungsmerkmal heran. Den Anfang dafür machten die katholischen Majestäten von Kastilien und Aragon, indem sie 1492 die Mauren und die taufunwilligen Juden aus Spanien vertrieben und das auch mit der „Reinerhaltung des Blutes“ begründeten.
Mit der Eroberung Konstantinopel 1453 durch die Osmanen werden Muslime als Bedrohung empfunden. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich in Deutschland als Gegenreaktion zur weitgehenden Emanzipation der Juden eine neue Form von Antisemitismus. Standen Juden bisher für Rückständigkeit, fremde, religiöse Riten, geringe Bildung so fanden sie sich am Ende des 19. Jahrhunderts als Modernisierer von Wirtschaft und Industrie wieder und gaben den Ton in Wissenschaft und Kultur an. Die Antisemiten nahmen dafür die Rolle der Rückwärtsgewandten ein, diffamierten die Emanzipation der Juden als Fehler und versuchten sie auf vielfältige Art gesellschaftlich und rechtlich zu diskriminieren. Ein Verstoß gegen Verfassung und Menschenrechte, der ähnlich auch in Österreich, Polen und später in der UdSSR stattfand. Während der Konflikt mit den Juden als im Inland stattfindend begriffen wurde, fand der mit den Muslimen in Gestalt der Araber im Rahmen der Kolonialherrschaft statt. Die Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich waren es dann auch, die mit einem Federstrich das Erbe des Osmanischen Reichs im Ersten Weltkrieg unter sich aufteilten und damit den Anlaß für den bis heute andauernden Nahostkonflikt schufen. Seit 1918 wogt der Kampf zwischen Arabern und Juden um ihre nationale Identität.
1997 erschien in Großbritannien ein Bericht zur Islamophobie. Sie wird darin als unbegründete Feindseligkeit gegenüber dem Islam beschrieben. Ihre Wurzel liegt im Rasissmus des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Sie beruht auf Vorurteilen und falschen Wahrnehmungen und läßt sich nicht rational begründen.
Der Kampf gegen den Antisemitismus wird häufig auch als Kampf für die Interessen Israels gesehen. Dabei wird auch die Benachteiligung der nichtjüdischen Minderheiten in Israel beobachtet und seine Rolle als Besatzungsmacht.
Diese Betrachtungsweisen spielen regelmäßig eine Rolle bei der Definition des Begriffes Antsemitismus, der eine gefühlsmäßige Einstellung, den Hass gegenüber Juden, beschreibt und damit nicht eindeutig gegenüber anderer Kritik an Juden oder Israel abgrenzbar ist.
Die Entwicklung der Islamophobie, die sich jetzt nach 1945 beobachten läßt, ähnelt der Entwicklung des Antisemitismus im 19. Jahrhundert.
Während im ausgehenden 20. Jahrhundert der Kampf für die Gleichstellung der Minderheiten noch durch die Verteidigung von universellen Rechten bestimmt war, läßt sich das im beginnenden 21. Jahrhundert nicht mehr so eindeutig feststellen. Offensichtlich entwickelt sich unter dem Eindruck einer größeren Migration in Europa und den USA eine neue Identitätspolitik und eine politische Verschiebung nach rechts.
In ihrer Erwiderung betonte Stephanie Schüler-Springorum, daß diese Diskussion im Land der Täter immer aus einer anderen Haltung der Verantwortung heraus geführt werden muß.
Mittlerweile bewegt sich die Auseinandersetzung zwischen dem Kampf für universelle Menschenrechte, der Xenophobie und der Bewahrung der Identität der Mehrheitsgesellschaft.
Wobei sich die Xenophobie nicht nur gegenüber der Zuwanderung aus dem armen Süden sondern auch gegenüber Osteuropäern wie jetzt beim Brexit beobachten läßt. Auch werden Auseinandersetzungen zum Antisemitismus innerhalb der Labourparty beobachtet. Gleichzeitig gibt es in Deutschland Versuche der AfD, durch eine betonte Judenfreundlichkeit einen gemeinsamen Schulterschluß gegenüber Muslimen herzustellen. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die wichtigste Quelle des Antsemitismus weiterhin der Rechtsradikalismus ist.
Im Zusammenhang mit dem aktuellen NSU-Prozess wurde die Vermutung geäußert, dass die Täter vor allem Muslime angegriffen hätten, hänge mit dem geringeren Schutz dieser Opfer zusammen. Es bestehen auch Hinweise, dass die Täter ebenfalls jüdische Einrichtungen ausgekundschaftet hätten.
Zum Abschluß erinnerte Stephanie Schüler-Springorum daran, daß unsere Rechtssysteme mit der Betonung der Menschenrechte und der Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz ein kostbares Erbe der Französischen Revolution darstellten. Entgegengesetzten Entwicklungen ließen sich am ehesten durch Allianzen zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften begegnen. Dabei kämen Pädagogen eine Schlüsselposition zu, wenn sie Wissen für ein besseres Verständnis und Respekt von anderen Kulturen und Religionen vermittelten.
LOT