In welchem Jahrhundert lebt die katholische Kirche Polens?

„Infanticidia”,Carlo de Prevo 1708. Gemeinfrei

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Diese Frage versucht Wojciech Samoliński in Gazeta Wyborcza am 30.03.2021 zu beantworten.

Das Bild vom rituellen Kindermord, den Juden an christlichen Kindern begangen haben sollen, hängt in der Kathedrale von Sandomierz. Carlo de Prevo hat es 1708 im Auftrag des Geistlichen Stefan Zuchowski gemalt. Es sollte den Christen in ihrer damaligen Auseinandersetzung mit den Juden als Beweis für deren Verwerflichkeit dienen. Denn wenige Jahre vorher waren in Sandomierz noch Juden des Ritualmordes beschuldigt und hingerichtet worden. Seinen Ausgang hat die Legende vom Kindermord durch Juden bereits 1144 von Norwich in England genommen.
Das Bild stellt dar, wie Juden mithilfe eines durchgenagelten Fasses Blut von Kindern gewinnen, um dann damit Matze für Pessach herzustellen. Diese Darstellung ist historisch und theologisch falsch, da Juden der Verzehr von Blut verboten ist. Deshalb müssen Schlachttiere nach dem jüdische Speisegebot auch geschächtet werden. Festgehalten ist das in der Thora, der Mischnah und dem Talmud. Ab dem 13. Jahrhundert verboten deshalb die Päpste auch derartige Anschuldigungen.
Bis Ende des Zwanzigsten Jahrhundert hing das Bild unangefochten in der Kathedrale, bis es schließlich bei Katholiken Protest auslöste. 2006 wurde das Bild daraufhin verhüllt und erst 2014 wieder zur Besichtigung freigegeben. Jetzt aber mit einer Erklärung, die sowohl von katholischen und jüdischen Historikern und Theologen akzeptiert wurde:
Diese Gemälde zeigt einen mutmaßlich rituellen Mord, den Juden von Sandomierz begangen haben sollen, um das so gewonnene Blut bei der Herstellung von Matzot für Pessach zu verwenden.

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Eröffnung des Akademischen Jahres 2008 an der Katholischen Universität Lublin “Johannes Paul II.”
Am Rednerpult Lech Kaczynski . Archiwum Kancelarii Prezydenta RP. Unter GFDL
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2018 / 2019 war für die Katholische Universität Lublin ein besonderes Akademisches Jahr. Es war das Jahr ihres 100jährigen Bestehens. Gleichzeitig wurde an das 100jährige Bestehen der Zweiten Polnischen Republik erinnert. So hielt der polnische Primas, Erzbischof Wojciech Polak, am 21.10.2018 die Messe zur Eröffnung des Akademischen Jahres und Staatspräsident Andrzej Duda eine Rede.

Und im Mai dieses selben Jahres hatte der Professor und Pater Dr. Guz eben dieser Katholischen Universität auf Einladung der Zeitung „Nasz Dziennik“ einen Vortrag gehalten, in dem er die Tatsache der Ritualmorde durch Juden nachdrücklich unterstrich. Schließlich hätte der polnische Staat, wie aus den Archiven hervorginge, über Jahrhunderte rechtsgültige Strafen nach rituellen Morden verhängt. .

Der Rat der Christen und Juden intervenierte daraufhin beim Kanzler der Universität, Antoni Dębiński, und forderte eine öffentliche Stellungnahme der Universität und Disziplinarmaßnahmen gegen Prof. Guz. Die Kurie Lublin und die Katholische Universität erklärten anschließend, dass die zitierten Aussagen von Prof. Guz inakzeptabel seien, Unwahrheiten verbreiteten und dem guten Ruf der Diözese und der Universität schadeten. Der Rektor übergab den Fall an Prof. Annie Haładów als Zuständige für Disziplinarangelegenheiten. Es wechselten dann Führungspersönlichkeiten und Zuständigkeiten.

Schließlich kam die Disziplinarkommission der Katholischen Universität Lublin, vertreten durch Prof. Krzysztof Leśniewski, Prof. Agata Mirek und Prof. Paweł Gondek nach fast zwei Jahren zu dem Ergebnis, dass die Äußerungen von Prof. Guz auf durch wissenschaftliche Analyse erworbenem Wissen beruhten. Sie seien Teil des noch ausstehenden wissenschaftlichen Diskurses. Prof. Guz bemühe sich, die Wahrheit über die Realität in seiner Forschung und didaktischen Arbeit zu entdecken und zu zeigen. Der Zweck seiner Äußerungen habe nicht darin bestanden, Hass zu erregen. Pater Gut habe früher für das jüdische Volk gebetet. Die Katholische Universität von Lublin erkenne eine wissenschaftliche Aussage an, die vor dem breiteren Hintergrund der Liebe zu Nachbarn und brüderlichen Nationen betrachtet werden sollte

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Beerdigung der Opfer des Pogroms von Kielce 1. Juli 1946. oA. Gemeinfrei

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In diesem Zusammenhang lohnt es sich, den Artikel von Józef Krzyk, am 4.07.2019 ebenfalls in Gazeta Wiborcza erschienen, noch einmal vorzunehmen. Nach seinem Eindruck ist die Legende des Ritualmordes immer noch die treibende Kraft der europäischen Antisemitismus. Auch wenn er verschwunden scheint, ist er nach den Forschungsergebnissen von Prof. Joanna Tokarska-Bakir immer noch Teil des Aberglaubens. Der letzte Prozess wegen eines rituellen Mordes fand erst vor mehr als 100 Jahren statt. Der letze große Pogrom wegen des Gerüchts eines Ritualmords forderte 1946 in Kielce seine Opfer. Ein achtjähriger Junge wurde vermisst, tauchte aber später bei einer Familie auf dem Lande auf. Der Verdacht auf einen Ritualmord war Anlass genug für eine aufgebrachte Menge, fast 50 jüdische Kinder, Frauen und Männer brutal zu ermorden.
Wenige Tage nach dem Morden schrieb der Bischof von Częstochow, Teodor Kubin, in einem Hirtenbrief an die Gläubigen: Uns ist kein einziger Fall der Entführung eines christlichen Kindes durch Juden bekannt. Alle in dieser Angelegenheit verbreiteten Botschaften und Versionen sind bewusste oder unbewusste Erfindungen von Kriminellen – Menschen, die beschmutzt sind und Verbrechen provozieren wollen.

Dagegen hält Prof. Guz das Verhalten der Menge beim Kielcer Pogrom für verständlich, denn rituelle Morde seien eine Tatsache der Geschichte. Und die Disziplinarkommission der Katholischen Universität Lublin glaubt, dass sie Pater Dr. Guz kann nichts vorzuwerfen habe. Er habe schließlich durch wissenschaftliche Methoden bestätigt, dass Juden rituelle Morde begangen hätten und habe seine guten Absichten durch Gebete für die Juden bewiesen.

Was mag die Disziplinarkommission dazu bewogen haben, so eklatant von der Stellungnahme der Katholischen Universität 2018 abzuweichen? – Wie stehen die 11 000 Studenten dieser Universität dazu und wie die Fakultäten mit ihrem wissenschaftlichen Anspruch? Viele Fragen. Auf die Antworten darf man gespannt sein.
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In einem Außenbezirk von Lublin liegt das KZ Majdanek.