Die 15. documenta ist eröffnet. Zum ersten Mal kuratiert von einem Kollektiv, der aus Indonesien stammenden Kunstgruppe Ruangrupa. Der Name ist gleichzeitig Programm: Er bedeutet „Reisscheune“, und so soll die auch die Kasseler Schau gemeinsam praktiziert und genutzt werden. Mit rund 1.500 Mitwirkenden ist die jüngste documenta weniger eine Kunstausstellung als vielmehr ein Ort der Kommunikation und Kooperation, des Aktivismus und des Diskurses, des Experimentierens und des Lernens. Was auch mit der radikal anderen Perspektive zu tun hat, die Ruangrupa in Szene gesetzt hat: Sie nimmt ausnahmslos den Blickwinkel des „globalen Südens“ auf, von Akteuren ins Bild gesetzt, die fast ausschließlich aus dieser, in der sogenannten „Art World“ bisher kaum repräsentierten Weltgegend stammen. Das soll unsere Betrachtungsweise verändern, auch unseren westlich geprägten Blick auf die Welt. Bekannte Namen und Stars der westlichen Kunstwelt sind in Kassel dieses Jahr nicht vertreten.
Gleich vorweg: Vor der Eröffnung wurde die documenta bekanntlich von Antisemitismusvorwürfen überschattet. Von „Überschreitungen“ ist in der Ausstellung nichts zu sehen oder zu spüren. In dem Teil, in dem unter anderem Werke palästinensischer KünstlerInnen zu sehen sind, sind keine Misstöne erkennbar. Stattdessen wird die Kunstgeschichte Palästinas der vergangenen Jahrzehnte schlaglichtartig dokumentiert.
Die d15 ist vielfältig, vielschichtig und bunt zugleich. Wer eine klassische Kunstaustellung erwartet, wird enttäuscht werden. Wer aber Bezüge zwischen Kunst, Politik, gesellschaftlichen Entwicklungen und Aktionismus sucht, dürfte dort mehr als fündig werden.
Erwin Single
Erwin Single ist ein Mitglied des Freundeskreises von Gleis 69 e.V. – Er konnte die 15. Dokumenta in Kassel vorab besichtigen und hat zur Bestätigung seines Eindrucks einen vielfältigen Bilderbogen mitgebracht.
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