Während es heute den ganzen Tag zum Teil heftig geregnet hatte, klärte es sich abends auf und es war sogar etwas blauer Himmel zu entdecken.
So konnten wir unser nachbarschaftliches Treffen mit einer kleinen Gedenkzeremonie ohne Schirm abhalten. Wir erinnerten wieder an den 1. Oktober 1941, den Tag, an dem die Synagoge Levetzowstraße zu einem Sammellager für die kommenden Deportationen umgewandelt wurde. Vera berichtete von Ihrer Zeit in Moabit in den siebziger Jahren, in der noch nichts an das frühere jüdische Leben hier erinnerte.
Charlotte trug anschließend das Gedicht Der Schmetterling von Pavel Friedmann (7.1.1921 Prag – 29.9.1944 Auschwitz) vor.
Der Schmetterling
Der letzte, der allerletzte,
so kräftig, hell, gelb schimmernd,
als würden sich die Tränen der Sonne
auf einem weißen Stein niederlassen.
So ein tiefes, tiefes Gelb
er hebt sich ganz leicht nach oben.
Er verschwand weil, so glaube ich,
weil er der Welt
einen Abschiedskuss geben wollte.
Seit sieben Wochen habe ich hier gelebt.
Eingepfercht im Ghetto.
Aber ich habe hier meine Freunde gefunden.
Der Löwenzahn verlangt nach mir
und die weißen Kerzen der Kastanien im Hof.
Aber ich habe niemals
einen zweiten Schmetterling gesehen.
Dieser Schmetterling war der letzte seiner Art.
Schmetterlinge leben nicht hier,
im Ghetto.vor
Pavel Friedmann war ein jüdischer tschechoslowakischer Dichter, dessen Gedicht „Der Schmetterling“ erst nach seinem Tod und nach der Befreiung der Tschechoslowakei entdeckt wurde. Friedmann wurde nach Theresienstadt deportiert und schließlich am 29.9.1942 in Auschwitz ermordet.
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