Beidseits der unteren Oder

Nach der Vertreibung der Juden 1670 aus Wien, lud der Große Kurfürst fünfzig Familien von ihnen dazu ein, sich in Brandenburg niederzulassen. Einige dieser Familien gelangten auch in den östlichen Teil Brandenburgs, die Neumark.
Die Neumark ist eine Landschaft überwiegend östlich der unteren Oder gelegen. War sie bis zum 13. Jahrhundert von den Geschlechtern der Greifen und der Piasten erschlossen worden, erwarben danach die askanischen Markgrafen das Gebiet und fügten es der Mark Brandenburg als östlichen Teil hinzu. Später gehörte sie zur preußischen Provinz Brandenburg. Im Norden grenzte sie an die Provinz Pommern.

Ein Flugblatt, das die Vertreibung der Juden aus Wien darstellt, vermutlich um 1670.
Ari Fischkopf – Eigenes Werk. Unter CC BY-SA 4.0.

Im 18. Jahrhundert wurden in der Neumark auch hugenottische Glaubensflüchtlinge angesiedelt, die wichtige Kenntnisse in der Tuchherstellung mitbrachten. Sie hatten einen erheblichen Anteil an der Entwicklung der späteren Textilherstellung, die sich von Pommern über Brandenburg bis nach Sachsen erstreckte.

Hugo Vogel : Empfang der Refugies ( der Hugenotten ) durch den Großen Kurfürsten vor dem Schloss in Potsdam.

Von Stettin kommend gelangt man auf der östlichen Oderseite bald nach Gryfino, ehemals Greifenhagen in Pommern. 1254 unter Magdeburger Stadtrecht gegründet, mit Marktrecht, Brückenzoll, dem Recht der freien Schiffahrt auf pommerschen Gewässern und einer Münzstätte ausgestattet entwickelte sich die Stadt schnell zu einem wichtigen Handelszentrum.

Eine erste jüdische Ansiedlung von drei Familien ist für 1481 bekannt. Auf politischen Druck nahm Herzog Bogislaw X. sein Schutzversprechen für sie wieder zurück. In der Folge wurden Juden 1493 aus Pommern vertrieben. Um 1705 kam es zu einer erneuten Ansiedlung von vier jüdischen Familien in Greifenhagen. 1718 wird ein jüdischer Friedhof eingerichtet. 1720 wird beschrieben, dass die Juden zumeist verschuldet seien und sich nicht an Regeln hielten.
1736 erhielt Mendel Samuel das Residenzrecht, da er als einziger über das Kapital zum Aufkauf der regionalen Wolle verfügte. Er war auch in der Lage, den daraus produziertem Flanell weiterzuverkaufen. Ähnliche Privilegien besaßen zu dieser Zeit nur 27 jüdische Familien in ganz Pommern.
1812 war die Zahl der jüdischen Familien in Greifenhagen auf 37 angestiegen. 1856 wurde eine Synagoge gebaut. In dieser Zeit gab es auch eine Chewra Kadisha. Zum Ende des 19. Jahrhunderts verkleinerte sich die Gemeinde zusehends, Juden zogen bevorzugt in die großen Städte.
Anfang des 20. Jahrhundert waren die Greifenhagener Juden vor allem in der Herstellung von Stoffen und im Textilhandel aktiv. Sie besaßen die örtliche Getreidemühle und das Sägewerk. Nach 1933 zogen sie zu großem Teil aus Greifenhagen weg. Über ihre Deportation wird nur in Einzelfällen berichtet. Die Synagoge wurde beim Pogrom November 1938 zerstört. Die Häuser in jüdischem Besitz wurden weitgehend 1945 bei Kriegshandlungen zerstört.

Weiter südlich stößt man auf Chojna / Königsberg in der Neumark. Diese Ortschaft war bereits im 11. Jahrhundert bekannt und erhielt im 13. Jahrhundert Magdeburger Stadtrecht, das Marktrecht und die Gerichtsbarkeit.


Seit 1351 lebten dort auch Juden. Es ist belegt, dass sie damals im Zusammenhang mit der Pest bei einem Pogrom verfolgt wurden.1510 auf Anordnung von Kurfürst Joachim offiziell aus der Mark Brandenburg vertrieben konnten sie dort aber geduldet weiterleben. Nach dem Tod von Markgraf Joachim II. Hector 1571 wurde sein Münzmeister Lippold ben Judel Chluchim der Hexerei bezichtigt und hingerichtet. In der Folge mussten die Brandenburger Juden nach Schlesien und Tschechien fliehen.
1671 durften sich dann unter dem großen Kurfürsten wieder fünfzig jüdische Familien, aus Wien vertrieben, in Brandenburg ansiedeln. Sieben davon erreichten die Neumark. Danach zogen auch weitere Juden nach Königsberg. Es gab hier aber auch einzelne Konversionen. Mit dem Emanzipationsedikt von 1812 unterlagen Juden schließlich keinen wirtschaftlichen oder zivilrechtlichen Beschränkungen mehr. Etliche suchten deshalb erfolgreich ihr Glück in den größeren Städten. So gründete der Schneider Hirsch Gerson in Berlin ein großes Konfektionshaus, das bald als erstes Kaufhaus der Stadt galt.
1850 war der Friedhof entstanden, 1907 wurde die Synagoge in der Judenstraße gebaut. Königsberg verzeichnete zum Ende des 19. Jahrhunderts wie auch andere pommersche Städte einen verstärkten Wegzug. Die sich entwickelnde Industrie und Wissenschaft in den Großstädten waren oftmals der Grund, aber auch die verstärkt auftretende Judenfeindschaft auf dem Lande.
Nach 1933 emigrierten die meisten hier noch lebenden Juden. 1938 wurde die Synagoge von der SA zerstört. Über das Schicksal der verbliebenen Juden ist nichts bekannt.
Der Friedhof in der ul. Wojska Polskiego wurde in der NS-Zeit zerstört, ist aber in seiner Fläche noch erhalten.

Ehemaliger jüdischer Friedhof in Chojna / Königsberg in der Neumark. 2023. TAL
Hinweisschild am ehemaligen jüdischen Friedhof in Chojna / Königsberg in der Neumark. TAL

Schwedt auf dem westlichen Oderufer gelegen ist als Ortschaft seit dem 13. Jahrhundert bekannt. Um 1500 wurde Stadtrecht und Oderzoll erneuert und die Stadtstruktur ausgebaut. Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Stadt immer wieder geplündert und zu großen Teilen zerstört.

Schwedter Schloss, Darstellung von 1669. Rettinghaus – Eigenes Werk. Ausschnitt einer Postkarte. Unter CC BY-SA 3.0

Erst mit Hilfe der Kurfürstin Dorothea, der Gattin des Großen Kurfürsten, erholte sich die Stadt. Holländer und Hugenotten führten den Tabakanbau und seine Verarbeitung ein. Zu dieser Zeit durften sich auch Juden dort ansiedeln. Sie übernahmen die Vermarktung der Tabakprodukte. Die Gemeinde vergrößerte sich schnell. Ein Friedhof wurde um 1850 geschaffen.1862 wurde am Berliner Tor eine Synagoge errichtet, daneben auch eine Mikwe und das Haus für den Synagogendiener.

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts begannen auch hier die Juden in die Großstädte abzuwandern. Nach 1933 emigrierten die Schwedter Juden zunehmend. 1938 wurde das Innere der Synagoge zerstört. 1942 gab es keine jüdische Gemeinde mehr, ihre Mitglieder waren entweder verstorben, emigriert oder deportiert und ermordet.

Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof in Schwedt. Catfisheye – Eigenes Werk. Unter CC BY-SA 3.0

Südlich von Schwedt gelangt man nach Bad Freienwalde. Im 14. Jahrhundert erstmals erwähnt bestand die Stadt bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges als markgräfliches Lehen an die Familie von Uchtenhagen. Nach den Plünderungen und Zerstörungen des Krieges nahm die Stadt mit der Entdeckung einer Heilquelle einen ersten Aufschwung. Königin Friederike Luise, Gattin von Friedrich Wilhelm II., sorgte für den weiteren Ausbau zu einem anerkannten Kurort. Auch der Bau des Schlosses geht auf sie zurück. Der Eisenbahnanschluss im 19. Jahrhundert und die Ansiedlung weiterer Gewerbebetriebe sorgten für eine wirtschaftliche Weiterentwicklung.

St. Nikolai. TAL


Nach dem Privileg des Großen Kurfürsten siedelten sich bald auch Juden in Freienwalde an. Isaac Levy erhielt 1677 darüber hinaus die Erlaubnis für den Wollhandel. Ihre Anwesendheit wurde aber bald von der Bürgerschaft wegen der wirtschaftlichen Konkurrenz abgelehnt. Erst 1812 erhielten sie die ersehnten Bürgerrechte.1819 richteten sie in einem Bürgerhaus an der Judentreppe eine Synagoge und die Wohnung für den Schullehrer ein. Der Lehrer übernahm gleichzeitig die Aufgabe des Kantors, des Rabbiners und des Schächters. 1847 gründeten die Freienwalder Juden schließlich einen Synagogenverband.


1909 kaufte Walter Rathenau das Freienwalder Schloss und stellte es weitgehend wieder her. Hier ging er bis zu seiner Ermordung 1922 seinen schriftstellerischen und musischen Neigungen nach und empfing zahlreiche Künstler.

Schloss Freienwalde. TAL

Nach 1933 wurden jüdische Kurgäste in der Stadt zunehmend angegriffen und abgewiesen. Die Freienwalder Juden emigrierten bald. So auch der Arzt und Psychoanalytiker Hans Keilson, der 1936 in die Niederlande ging und dort überlebte.
1938 wurde die Synagoge angezündet. Danach gab es hier keine Jüdische Gemeinde mehr.
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