Am 11. Dezember 2018 veranstaltete die Deutsche Gesellschaft e.V. eine Tagung zum Antisemitismus in Deutschland, bei der besonders zwei Beiträge erwähnenswert waren.
Prof. Wolfgang Benz, früher langjähriger Leiter des Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin gab in seinem Vortrag Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart noch einmal einen Überblick. Zu Anfang stellte er gleich grundsätzlich fest: Wir sollten unsere antijüdischen Vorurteile in der Mitte der eigenen Gesellschaft nicht jetzt bei den Muslimen entdecken.
Der Antijudaismus aus dem Mittelalter stammend war religiös / kulturell begründet. Dazu gab er den Hinweis auf die Judenverfolgungen vor den Kreuzzügen. Diese Situation ließ sich für Juden durch den Übertritt zum Christentum verändern.
Der Moderne Antisemitismus aus dem 19. Jahrhundert stammend war als rassisch / anthropologisch vermeintlich wissenschaftlich begründet und damit für die Juden nicht mehr durch die Taufe abwendbar.
Die heutige Judenfeindschaft in der Gestalt eines sekundären Antisemitismus in der Bundesrepublik stellt sich als in der Mitte der Gesellschaft verbreitetes Ressentiment dar und speist sich in Deutschland aus der Schuldabwehr, der Schamabwehr über den Zivilisationsbruch des Holokaust und das Gefühl, an einer ewigen Schuld tragen zu sollen. Dabei taucht der Vorwurf gegenüber den Juden auf, auch mit der Wiedergutmachung wieder Geschäfte gemacht zu haben.
Der Antizionismus wurde besonders in der DDR aus der politischen Einstellung gegenüber Israel gepflegt.
Insgesamt speist sich heute das Phänomen, das als Antisemitismus bezeichnet wird, u.a. aus dem Gerücht über Juden (s. Adorno), einer Ablehnung der Juden beginnend in der Antike bis in die Gegenwart, unterschiedlich nach Sprachfamilien. Mit dem Rassebegriff wird in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert die „Judenfrage“ gestellt. Dazu wurden dem Juden immer aus der Mitte der Gesellschaft heraus negative Eigenschaften zugeordnet, und definierte der Antisemit so „den Juden“.
In Deutschland kam nach dem zweiten Weltkrieg die Wiedergutmachung an den vertriebenen, beraubten und ermordeteten Juden nur durch den äußeren Druck der die Aliierten zustande. Gleichzeitig mischten sich Scham- mit Neidgefühle gegenüber den Juden, als die nach dem Krieg in den Lagern für Displaced Persons eine bessere Versorgung als die übrige Zivilbevölkerung erhielten. Das führte zu weiterer Ablehnung. Später kam die gewaltsame Vertreibung der Palästinenser bei der Gründung Israels und das Leid der palästinenschen Bevölkerung in Folge der verschiedenen Nahostkriege dazu, die zu Kritik an der israelischen Politik führten.
Durch die breite Erinnerungskultur der letzten Jahre ist der Antisemitismus in Deutschland geächtet und mittlerweile auch kriminalisiert. Auch von christlicher Seite religiös begründeter Antisemitismus ist abzulehnen. Es gibt aber keinen neuen Antisemitismus. Es ist das alte Phänomen, bei dem jetzt neben der Infragestellung der Existenz Israels, eine verallgemeinerte Kritik an israelischer Politik bis zur Gleichstellung mit dem Holokaust dazukommt. Kritik an isralischer Politik muß immer dort ihre Grenze finden, wo sie sich auf Vorurteile und nicht auf Tatsachen gründet.
Zum Schluß betonte Benz, dass unser Verhältnis zu Muslimen durch Rationalität und nicht durch Verallgemeinerungen bestimmt sein muß, ebenso sollten wir den Muslimen zugestehen, sich selbst zu definieren.
In einem folgenden Beitrag beschrieb Prof. Gideon Botsch als Leiter der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus am Moses- Mendelsohn-Zentrum in Potsdam das Verhältnis von extremistischen Gruppen zum Antisemitismus. Zum Einstieg definierte er Extremismus und schloss dann für linksextremistische Gruppen Antisemitismus als vermittelbares Thema aus. Es stehe im Gegensatz zur Ablehnung von gruppenbezogener Diskriminierung. Er erinnerte aber auch an die Anschläge 1969 in Berlin gegen das Jüdische Gemeindehaus und später gegen das Münchener Gemeindezentrum und an die Selektion von Juden bei dem Anschlag in Entebbe, die er dem linken Spektrum zuordnete. Gleichzeitig gibt es gute Beziehungen zur Histradruth , dem israelischen Gewerkschaftsbund, aber auch immer wieder eine strittige Haltung zu Israel und seiner Politik. So finden sich in diesem Spektrum auch kleine antiisraelische Gruppen mit Beziehungen zur BDS. Auch gibt es Verbindungen zum politischen Antsemitismus, z.B. zu den Muslimbrüdern. Das Verhältnis zu den Salafisten sei komplex unnd schwer durchschaubar. Der Konflikt Palästina/Israel wirke da stark polarisierend.
Bei der politisch Rechten ist eine starke Ambivalenz gegenüber rechtsextremistischen Einstellungen zu beobachten, auch weil sie u.U. sich als politische hinderlich erweisen. In der AfD ist seit längerem ein rechtsextremistischer Flügel festzustellen. Lange hat es hier eine gewisse Tarnsprache gegeben. Seit 2017 wird eine offen rechtsextremistische Terminologie benutzt und damit auch eine entsprechende Anhängerschaft mobilisiert. Sie reicht vom Rechtsrock, über eine entsprechende Subkultur, rechten Netzwerken bis zu Fußball-Hooligans. Hier finden sich antisemitisches, rechtspopulistisches und radikal nationalistisches Gedankengut in einer Sammlungsbewegung mit diffusem Profil. Die Versuche der AfD, sich von antisemitischen Strömungen in Europa vorsichtig zu distanzieren, sind nicht immer erfolgreich. In ihren Aussagen finden sich überproportional häufig antisemitische Anteile. Gern distanziert sie sich auch von der jüngsten deutschen Geschichte und bevorzugt dichotome Bilder wie Volk und Volksfreunde einerseits und Globalisten und Eliten andererseits.
In einem abschließenden Panel mit Bischof Dr.Dr. h.c. Markus Dröge, Margit Gottstein, Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Sigmount A. Königsberg, Antisemitismusbeauftragten der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Dr. Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin wurden zusammen mit der Moderatorin Gemma Pörzgen noch einmal die unterschiedlichen Zugänge zu den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen beschrieben. Die Redner berichteten mit welchen Ansätzen dabei Einstellungsänderungen grundsätzlich gegenüber Minderheiten und im besonderen gegenüber Jüdinnen und Juden vermittelt werden.
Bei der von Prof. Benz geschilderten, langen Geschichte des Antisemitismus stehen wir da offensichtlich eher noch am Beginn einer Entwicklung.
TOL-