Offener Brief an den Kultursenator Herrn Dr. Klaus Lederer und den Bezirksbürgermeister von Mitte, Herrn Stephan von Dassel, sowie den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin, Ralf Wieland, und an die Vertreter:innen der Firma Lidl
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Es ist fünf vor zwölf: Das Land Berlin ist aufgerufen, die von den Nationalsozialisten in Berlin genutzte Deportationsrampe am Gleis 69 auf dem ehemaligen Güterbahnhof Moabit als würdige Gedenkstätte zu sichern und auszubauen. Dieser Bahnhof war der größte Deportationsbahnhof Berlins. Über 30 000 Menschen sind von hier aus in den Osten deportiert worden. Die Nischenexistenz des gegenwärtigen, fast ausschließlich durch zivilgesellschaftliches Engagement am Rand des Lidl-Parkplatzes initiierten Gedenkortes muss ein Ende haben.
Der andere Deportationsbahnhof mit dem Gleis 17 am Bahnhof Grunewald wurde vorbildlich gestaltet. Dort ist eine Gedenkstätte von internationaler Bedeutung entstanden.
Hier, am Gleis 69, hat die Firma Lidl mit staatlicher Genehmigung eine Zufahrt über und einen Parkplatz auf der Deportationsrampe errichtet. Damit nicht genug. Jetzt will die Firma mit einem Bauantrag, datiert auf den 9.11.2020 (hier liegt kein Schreibfehler vor), ihren an diesem Standort für die örtliche Bevölkerung völlig überflüssigen Lebensmittelmarkt vergrößern. Die zuständige Behörde, vertreten durch Herrn Baustadtrat Gothe (SPD), hat diesen Antrag abgelehnt. Gut so, aber das reicht nicht: Wir bitten alle politisch Verantwortlichen im Land Berlin sowie die Vertreter:innen der Firma Lidl, Verhandlungen über einen Ersatzstandort für den Lebensmittelmarkt aufzunehmen. Berlin kann vorbildliche Gedenkorte schaffen: Weshalb nicht auch hier?
Wir stellen den Gedenkort seit seiner Entstehung 2017 Vertreter:innen von Gedenkstätten, anderen Historiker:innen und Wissenschaftler:innen, Medienvertreter:innen und Interessent:innen aus der Zivilgesellschaft vor. Bei der Betrachtung der verrottenden Deportationsrampe im östlichen Bereich, deren Fläche überwiegend als Parkplatz und Zufahrt für die Firma Lidl genutzt wird, überwiegt dann Fassungslosigkeit. Wenn anschließend die Besucher:innen den fast hundert Meter langen westlichen Anteil der Rampe als vermülltes und überwuchertes Niemandsland erfahren, werden sehr deutliche Fragen nach den dafür Verantwortlichen gestellt.
Ausländische Besucher:innen reagieren auf diesen Anblick oft nur mit Schweigen. Ihre Höflichkeit erleben wir umso schmerzlicher. Stellvertretend für viele Äußerungen sei hier nur die Botschaft der Teilnehmerin einer internationalen Jugendgruppe genannt, die sie uns zum Nachdenken und Tätigwerden hinterlassen hat.
“Es ist unglaublich, wie die Stadt den Raum zum Nachdenken mit Beschlag belegt hat, den eigentlich die wahren Opfer dieses schrecklichen Teils der Geschichte verdienen.” (Übersetzung aus dem Spanischen, August 2020).
Berlin darf seinen größten Deportationsbahnhof nicht „Weiter so“ verfallen lassen.
Fünfhundert Schüler:innen der gegenüberliegenden Theodor Heuss-Gemeinschaftsschule erleben täglich den Zustand des Gedenkortes als Normalität. Für ihre Arbeitsgemeinschaft „Erinnern“ ist es eine Herausforderung, diesen Ort schnellstmöglich zu einem kulturpolitischen Vorzeigeort zu machen.
Die Baumaßnahmen auf der Deportationsrampe hätten nie genehmigt werden dürfen. Jetzt besteht die Möglichkeit, die Fehler der Vergangenheit politisch und baurechtlich zu korrigieren.
Wir bitten unsere politischen Vertreter:innen sowie die Repräsentant:innen der Firma Lidl gemeinsam mit uns an einen runden Tisch, um diesem Ort vergangenen Schreckens eine würdige Zukunft zu geben.
Dr. Thomas Abel für Gleis 69 e.V.
Roland Thiel für Gleis 69 e.V.
Liste der UnterstützerInnen dieses Offenen Briefes:
Dr. Gerd Dammer
Dr. Susanna Dammer
Winnie Gutmann
Prof. Dr. Julius Schoeps, Moses Mendelssohn Stiftung
Miriam Schickler
Dr. Susanne Rickmann
Stephan Boness, Photojournalist
Thomas Lucker, Bildhauer
Dr. Elke-Vera Kotowski, Moses Mendelssohn Stiftung
Prof. Dr. Stefanie Endlich
Dr. Akim Jah, Politologe, Arolsen
Peter Bödeker
Wolf Thieme
Angelika Grigat
Barbara de Souza
Dr. Bettina Leder, Journalistin
Lea Rosh, Vorsitzende „Denkmal für die ermordeten Juden Europas e.V.“
Dr. Renate Schüssler
Hans Hoepner
Dr. Rainer Stommer, Lern- und Gedenkort Alt Rehse
Prof. Ulf Aminde, Weissensee Kunsthochschule Berlin
Dr. Edgar Gruber
Beate Stollberg-Wolschendorf
Dr. Juliette Brungs
Dr. Ulrich Fegeler, Deutsches Kinderbulletin
Dr. Gabriele Heine
Dr. Karin Maechler
Friedemann Maechler
Dr. Nora Pester, Verlegerin Hentrich&Hentrich
Dr. Colin Hoffmann
Frieder Aurin, FAU Produktionen
Prof. Dr. Tanja R. Müller, University of Manchester
Volker Janisch, Diplom-Ingenieur
Dorota Krawczyk-Janisch, Dozentin
Erwin Single
Nina-Sophie Hoffmann
Ulrike Ufert-Hoffmann
Georg Gärtner
Bärbel Jochum-Mann
Richard Mann
Gustaaf Borchardt / Brüssel
Dr. Christiane Ley
Prof. Dr. Johannes Cramer
Dr. Benjamin Kuntz, Robert-Koch-Institut
Sabeth Schmidthals, Leiterin AG „Erinnern“ / THG
Kerstin Weber
Theseus Bappert, Architekt
Winfried Stoeckel
Dr. Danuta Ziegler
Dr. Ruth Röcher, Jüdische Gemeinde Chemnitz
Otto Erich Wieghardt
Jürgen Karwelat, Geschäftsführenden Ausschuss der
Berliner Geschichtswerksta tt e.V.
Horst Selbiger, Ehrenvorsitzender der Child Survivors Deutschland e.V.,
Überlebende Kinder der Shoah
Lehrstuhl-Team „Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert
mit Schwerpunkt im Nationalsozialismus“, Humboldt- Universität zu Berlin
Prof. Dr. Michael Wildt, Institut für Geschichtswissenschaften,
Humboldt-Universität zu Berlin
Dr. Christoph Kreutzmüller für den Vorstand des Aktiven Museum
Faschismus und Widerstand e. V.
Dr. Vera Braun
Seyran Ateş, Ibn Rushd-Goethe Moschee
Gisela Poser
Alexandra Hoffmann
Dr. Judith Willms
Jürgen Willms, Pfarrer
Sigmount A. Königsberg, Beauftragter gegen Antisemitismus der
Jüdischen Gemeinde Berlin
Cord Brügmann
Jörn Jensen, Bezirksbürgermeister a.D. Bezirk Tiergarten von Berlin
Erich Pätzold, Senator a.D.
Barbara Stang, selbständige PR Consultant für Verlage und Autoren
Christian Polacsek, Diplom-Ingenieur, Architekt
Dr. Martina Bauchrowitz
Prof. Dr. Dr.h.c. Mark Geßner
Kerstin Doerenbruch
Mohamed El-Kateb, Ibn Rushd-Goethe Moschee
Dr. Klaus Morawski
Itai Böing, ehemaliger Lehrer an der Moses-Mendelssohn-Gesamtschule,
jetzt Theodor Heuss- Gemeinschaftsschule
Dr. Ruth Hörnle
Rainer Hörnle
Sophia Oppermann, Geschäftsführung „Gesicht Zeigen!
Für ein weltoffenes Deutschland e.V.“
Rebecca Weis, Geschäftsführung „Gesicht Zeigen!
Für ein weltoffenes Deutschland e.V.“
Jan Krebs, Leitung Lernort 7xjung von Gesicht Zeigen!
Horst Porath, Baustadtrat Bezirk Tiergarten (1989-2000)
Hansjürgen Wollmann
Steffen Hänschen, Bildungswerk Stanisław Hantz e.V.
Dr. Ute Soldan, Initiative Mahnmal „Jede Ermordete/
Jeder Ermordete hat einen Namen“, Bielefeld
Mitglieder des Institut für Neue Soziale Plastik e.V. (Potsdam/Berlin)
Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama
Ursula Ziller
Dr. Silvija Kavcic, Leiterin der Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin
Jürgen Hensch
Inge Wess, Schweiz
Dr. Othmar Wess, Schweiz
Elke Neumann-Hannemann
Francesco Apuzzo, raumlabor berlin. Künstlerische Gestaltung
Gedenkort Güterbahnhof Moabit
Bethan Griffiths, Humboldt-Universität
Professor Dr. Dr. h.c. Claus Michael Ringel, Bielefeld
Dr. Ulrike Eisenberg, Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie
Prof. Dr. H. Collmann, Historian der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie, Würzburg
Werner Berg
Ulrike Berg-Dreithaler
Dr. Lothar Schmitz
Dr. Heike Koch
Dr. Björn Peters
Hella Haase
Lina Chebli
Angelo Kohls