Gabriele Tergit – wieder in Berlin

Lea Rosh eröffnet die Veranstaltung im Jüdischen Gemeindehaus. TAL

Am 16.09.2020 ludt Lea Rosh zu einer ihrer Veranstaltungen unter dem Motto Weltweites Exil ein. Dieses Mal hatte sie Elke-Vera Kotowski für einen Vortrag gewonnen. Kotowskis Thema war, wie nicht anders zu erwarten, Gabriele Tergit. Über diese Journalistin und Schriftstellerin hat sie bereits eine Miniatur bei Hentrich & Hentrich verfasst und daneben verwaltet sie auch ihren Nachlass. Um Gabriele Tergit lebendig werden zu lassen, hatte sie die Schauspielerin Magdalene Artelt gebeten, aus Tergits Veröffentlichungen vorzutragen. Diese Leseproben bereicherten den Abend und waren sehr eindrucksvoll.

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Magdalena Artelt liest aus Gabriele Tergits Werken. TAL


Kotowski skizzierte Tergits Lebenslauf (Elise Hirschmann 1894 – 1982) als Tochter aus großbürgerlichen Haus, die mit der Familie anfangs noch in Friedrichshain wohnte und dort unterschiedlichen sozialen Schichten begegnete. Diese Erfahrungen lassen sie die Schule abbrechen und sich eine Zeitlang in Sozialarbeit versuchen. Das weckt ihr lebenslanges Interesse an der Frauenfrage. Danach schließt sie doch die Schule ab und findet nach dem Studium ihren Platz in der Zeitungswelt. Bald erhält sie von Theodor Wolff das nicht abzulehnende Angebot, für ein gutes Gehalt Gerichtsreportagen für das Berliner Tageblatt zu verfassen. Diese Reportagen machen sie bald bekannt und gefragt. Die Erfahrungen im Zeitungsgeschäft verarbeitet sie in ihrem ersten Roman Käsebier erobert den Kurfürstendamm, einer Abrechnung mit der Medienwelt.

Ende der zwanziger Jahre bekommt sie eine erste Ahnung vom aufkommenden Nationalsozialismus und seinen Protagonisten. Sie muß sie einfach ablehnen, macht daraus auch keinen Hehl und gerät so auf deren schwarze Liste. Nach der Machtergreifung steht deshalb nachts der SA-Mördersturm vor ihrer Tür, aber die Türbeschläge halten stand. Kurz darauf ist sie auf der Flucht, über die Tschechoslowakei geht es schließlich nach Palästina.
Ein schwieriger Ort für sie, die Berlinerin und Antizionistin. Ihr Mann wird krank, ihr Sohn wird krank. Und so findet sich die Familie schließlich dank ihrer britischen Palästinapässe in London wieder. Auch dort ist das Leben für sie nicht einfach, sie kann kaum etwas veröffentlichen. Ihr Mann wird zeitweise interniert. Schließlich findet sie ihre Lebensaufgabe als Sekretärin des deutschen Exil-P.E.N.. Diese Aufgabe nimmt sie bis ins hohe Alter wahr.
Daneben schreibt sie an ihrem gewichtigsten Werk, den Effingers. Dieses Buch wird aber im Nachkriegsdeutschland wenig nachgefragt. Das Interesse an der Lebensgeschichte einer großbürgerlichen jüdischen Familie ist damals gering. Sie schreibt über ihre Palästinaerfahrungen, sie schreibt über Blumen, aber findet nicht wie früher ihr Publikum. Bei Besuchen in Berlin ist ihr die Stadt fremd und auch die Menschen. Sie bleibt in London und stirbt dort.

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Elke-Vera Kotowski bei ihrem Vortrag. TAL


Auf verschlungenen Wegen durch die Familie Gabriele Tergits gelangt Elke-Vera Kotowski an den Nachlass von Tergit, er liegt jetzt im Moses Mendelssohn-Zentrum in Potsdam.
Nach dem Vortrag gibt es viel Beifall und viele Fragen, der vorbereitete Büchertisch leert sich schnell. Schade, dass das Gabriele Tergit nicht mehr selbst erleben konnte.


Auch sonst ist das Interesse an ihrer Person und ihren Büchern wieder erwacht, gerade sind die Gerichtsreportagen neu erschienen , nicht allzu lang her ihr Hauptwerk die Effingers und ihre Autobiographie Etwas Seltenes überhaupt.
Auch im Deutschlandfunk Kultur war im September ein Interview mit ihrer Herausgeberin Nicole Henneberg zu hören.
2022 wird die Historische Kommission zu Berlin auf unsere Bemühungen hin eine Berliner Gedenktafel für sie herausbringen.
Der Ort, wo sie angebracht wird, steht noch nicht fest. Aber auf jeden Fall in Berlin.
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