In der Ausgabe April 1932 ist der voranstehende Beitrag von Frau Margarete Goldstein aus Darmstadt abgedruckt. Sie ist die Frau des früh verstorbenenen Julius Goldstein, ist in Mainz geboren und stammt aus einer dort ansässigen Weinhändlerfamilie. Ihr Mann hat als Soziologe, Philosoph und Physiker lange gegen die Ablehnung als Juden kämpfen müssen und erst spät eine Festanstellung als Professor an der TH Darmstadt erhalten.
Zusammen haben sie in Hamburg und Darmstadt gewohnt und sind auch gemeinsam auf einer längeren Vortragsreise in der USA unterwegs gewesen. – Der Text enthält abgekürzt den Vortrag, den Frau Goldstein am 6. März 1932 in der Synagoge Prinzregentenstraße gehalten hat:
In dem Vortrag beschreibt sie ihre tiefe Zuneigung zu Deutschland, zu seiner Landschaft und seiner Kultur. Dabei betont sie die lange gemeinsame Geschichte von Juden und Christen hier. 1400 Jahre hätten Juden in Palästina gelebt, aber fast 2000 Jahre am Rhein. Sie weist auf Franz Oppenheimer hin, der stolz auf sein Berliner Herkunft sei und auf seine Familie, die dort bereits seit 1690 lebt. Und sie zählt bemerkenswerte jüdische Persönlichkeiten aus Berlin auf, wie Rießler, Auerbauch, Rathenau, Liebermann und Ury. Sie beschreibt, wie wichtig für Juden die deutsche Muttersprache sei und wie sie ihre Vaterlandsliebe mit hohem Einsatz im Ersten Weltkrieg unter Beweis gestellt hätten. Schon im Dreißigjährigen Krieg habe sie Kaiser Ferdinand III. für ihre tapfere Verteidigung der Karlsbrücke gegen die Schweden ausgezeichnet. Später haben Juden sich mit ihren Leistungen in Wissenschaft, Kunst und im Sozialwesen am gesellschaftlichen Fortschritt beteiligt.
Jetzt würde ihr Deutschtum angezweifelt und dafür der fragwürdige Begriff der Rasse benutzt. Ein Begriff, der aber ins Tier- und Pflanzenreich gehört und nicht auf Menschen anwendbar ist. Für die Zugehörigkeit zum Deutschtum sei der Wille und die Tat entscheidend. So hätten sich die Juden bei den Auseinandersetzungen im Osten immer zu ihrem Deutschtum bekannt, auch mit der Hinnahme von persönlichen Verlusten.
Zur Heimat gehörten auch immer das Heim und der Glaube, sie gäben Sicherheit und innere Festigkeit. Deshalb sei es wichtig, dass sie sich der Geschichte ihres Glaubens gegenwärtig seien, weil eben durch die jüdische Assimilation entscheidende Inhalte des Judentums verloren gegangen seien. Das moderne liberale Judentum fände mittlerweile wieder mehr zur Gemeinschaft der bewußten Juden, zu Frömmigkeit und Glauben zurück. Sie würden sich nicht mehr nur durch Abgrenzung von den Christen definieren. Damit verbunden sei auch eine Rückbesinnung auf die Rolle der Frau zu Hause, auf die Institution des Sabbath und die Wiederentdeckung der Bibel.
Es bedrückt sehr, beim Lesen dieses Textes immer den Fortgang der Geschichte gegewärtig zu haben, die Verfolgung und Ermordung der deutschen, der europäischen Juden. Damit einher ging ein politischer Missbrauch des Begriffs Heimat, der vorrangig zur Selbstvergewisserung der Nationalsozialisten und zur Ausgrenzung der Minderheiten diente. Nach dem Ende des Dritten Reichs setzte sich in den 50iger Jahren die Instrumentalisierung dieses Begriffs fort, so in den Heimatfilmen und der Selbstbezogenheit von Politik und Gesellschaft.
Ganz anders versteht Bilgin Ayata den Begriff der Heimat in ihrer Eröffnungsrede auf dem Herbstsalon 2019 im Gorki-Theater. Sie fordert stattdessen die Deheimatisierung, nachdem der Heimatbegriff weiter politisiert und missbraucht würde. Als weitere Steigerung betrachtet sie die Einrichtung eines Heimatministeriums in Berlin und einer ähnlichen Institution in Brüssel auf EU-Ebene. An seiner Stelle fordert sie den Kampf gegen den Rassismus und eine Einrichtung, die diesen Kampf auch führt. Der Heimatbegriff würde gern in der Auseinandersetzung mit dem Rassismus zur Verschleierung des Problems eingesetzt und diene auch als Rückzugsraum gegenüber Modernisierung und Urbanisierung. Sie stellt Heimat in Gegensatz zur Aufklärung. In der Kolonialpolitik spielte er außerdem eine wichtige Rolle in der gefühlsmäßigen Bindung der Kolonien an das Deutsche Reich.
In jüngster Zeit sähe man im Syrienkrieg und in der Verfolgung der Kurden einen weiteren Missbrauch des Heimatbegriffs und gleichzeitig einen Angriff auf das Recht auf Heimat.
In Zukunft wird es nötig sein, die Anwendung des Begriffs von Heimat kritisch zu betrachten und den Zusammenhang seiner Verwendung genau zu analysieren . . . .um sich nicht auf eine falsche Fährte locken zu lassen.
art-