Geschichte – einmal anders denken.

Sara Umanskaya, Viola, und Idil Pulat, Violoncello, sorgen für den musikalischen Rahmen
der Eröffnung am 8.12.2022. TAL

Im Deutschen Historischen Museum ist jetzt die Ausstellung Roads not taken oder auf Deutsch . . .es hätte auch anders kommen können. .. zu sehen.
In der letzten Woche hatte sein Präsident , Prof. Raphael Gross, zur Eröffnung geladen, Staatsministerin Claudia Roth hatte ein Grußwort gesprochen und der Historiker Dan Diner die Eröffnungsrede gehalten.

Prof. Raphael Gross bei der Eröffnung. TAL

Die Ausstellung ist als Experiment angelegt, weil sie Geschichte in der Rückschau betrachtet, aber nicht festgefügt, sondern fluide. Sie stellt Fragen nach den Handelnden, nach ihren Beweggründen und ihren Entscheidungsmöglichkeiten. Dabei haben die Kurator*innen aus subjektiver Sicht 14 historische Wendepunkte zwischen den Jahren 1848 und 1989 und die dabei Beteiligten ausgesucht.

Staatsministerin Claudia Roth bei ihrem Grußwort. TAL

Folgt man Frau Roth, so ist die Historie häufig in die falsche Richtung gegangen, obwohl sie auch andere Optionen gehabt hatte. Dazu zählt sie geschichtliche Wendepunkte auf, wie Berlin 1953, Budapest 1956, Prag 1968, Peking 1989 bis hin zum russischen Angriff auf die Ukraine 2022. Ereignisse, die dem Zeitgeschehen eine neue und überraschende Wendung gaben, aber auch die Situation jeweils gefährlich und nicht absehbar zuspitzten. So enthielt die Märzrevolution 1848 die unterschiedlichsten Optionen. Viele Hoffnungen richteten sich auf das erste gesamtdeutsche Parlament, das in Form der Frankfurter Nationalversammlung zusammengetreten war und Grundlagen für eine parlamentarische Monarchie erarbeitet hatte. Es scheiterte, als König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die ihm angebotene Kaiserkrone ablehnte. Welchen Weg hätte von da ab deutsche Geschichte nehmen können? Die Frage macht das Spannungsfeld zwischen Gelingen und Scheitern in der Politik deutlich. Dabei ist die eminent wichtige Rolle des Zufalls nicht zu vernachlässigen. . . ein Versprecher, eine Unaufmerksamkeit des Politmitgliedes Günter Schabowski waren es, die bei der Pressekonferenz am 9.11.1989 unversehens und unumkehrbar die Grenzen der DDR öffneten.

Prof. Dan Diner bei seiner Rede zur Ausstellung. TAL

Diner stellt den Begriff der Kontingenz in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Dabei wird schnell deutlich, wie unterschiedlich dieser Begriff verwendet wird, je nach philosophischer Ausrichtung oder Fachlichkeit. Als „Zufall“ begriffen, im Sinne von Abbruch, Wendung, Einschnitt, im gesellschaftlich-politischen Zusammenhang bis hin zu verstörenden Ereignissen. Während die Geschichtswissenschaften in ihrer Betrachtungsweise oft auf einem teleologischen Ansatz beruhen, wird dieser dann aber durch den „Zufall“, die unvorhergesehene Wendung unterbrochen. Sei es in positiver oder negativer Richtung. Wobei letztere im Allgemeinen überwiegt. Am Beispiel der deutschen Geschichte lässt sich gut beobachten, wie sie „pendelt“.
Dieses Momentum nutzt die Ausstellung durch Verfremdung, durch die Darstellung umgekehrter Verläufe. So bricht sie verhärtete deutsche Geschichtsauffassungen auf, indem sie reale Möglichkeiten schildert, die aber nicht eingetreten sind. Dadurch entsteht bei der Betrachtung eine Spannung, indem man sich einmal am Geländer der realen Geschichte festhält, sich aber gleichzeitig Denkbewegungen – wie bei einem Pendel mit unterschiedlich großen Ausschlägen – erlaubt. Die Ausstellung wird durch die Verwendung einer differenzierten Sprache bestimmt. Das anekdotische Erzählen versinnbildlicht den „Zufall“.
Dafür nennt Diner unter anderem zwei Beispiele. So Hindenburgs abschlägige Antwort auf Reichskanzler Brünings Versuch 1932 eine fünfte Notverordnung zu erlassen. Damit war seine Regierung gescheitert, und Hindenburg machte ein Kabinett Hitler-v.Papen möglich und damit die Machtergreifung der Nationalsozialisten. Die letzten Weichen für dieses Kabinett wurden noch im Vorzimmer des Reichspräsidenten gestellt, wobei nicht allen Handelnden die Konsequenzen ihrer Zustimmung bewusst waren.
Das zweite Beispiel bezieht sich auf die Frühzeit der Bundesrepublik. Damals gerantierte der Kalte Krieg mit seinen klaren Fronten Sicherheit, aber gleichzeitig bedeutete er auch Angst vor einem Atomkrieg. Das Angebot Stalins 1952, Deutschland eine Wiedervereinigung als neutralem Staat zu ermöglichen, ist damals nicht als reale Option betrachtet worden. Stattdessen hat sich Bundeskanzler Adenauer für die Westanbindung entschieden.

Die Planung und Realisierung der Ausstellung hat die Kräfte des Deutschen Historischen Museum über lange Zeit gebunden. Das wird auch der Grund dafür sein, dass sie jetzt über zwei Jahre bis zum 24.11.2024 besucht werden kann.
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