Stolpersteine für Familie Czwiklitzer und Feuerstein

Am 9.Mai 2019 konnten wir zwei Stolpersteinverlegungen begleiten. Sie galten den Verwandten eines unserer Vereinsmitglieder. –
Die Familie Naveh aus Jerusalem hatte jetzt nach umfangreichen Recherchen in Berlin und Dessau die für die Verlegung nötigen Informationen zusammengetragen. Unterstützung hatte sie dafür auch von Dr. Christoph Kreutzmüller (Haus der Wannseekonferenz) und Björn Weigel (Zentrum für Antisemitismusforschung – TU) bekommen.
In der Grellstr. 6B in Prenzlauer Berg verlegte Gunter Demnig Stolpersteine für die Familie von Herrn Navehs Tante, Erna Czwiklitzer, geb. Feuerstein, geb. in Berlin am 14.03.1907, ihren Ehemann Hermann Czwiklitzer, geb. am 15. Juni 1901 und ihren elfjährigen Sohn Heinz, genannt Heini Czwiklitzer, geb. am 19. Juli 1931. Die Familie wurde
am 2. März 1943 mit dem 32. Osttransport vom Güterbahnhof Moabit nach Auschwitz deportiert.
Für die Großeltern von Herrn Naveh verlegte Gunter Demnig zwei Steine in Friedrichshain, in der Neuen Weberstr. 57. Das Ehepaar Feuerstein hatte in der Strausberger Str. 25 gewohnt. Dieses Haus und diese Adresse gibt es nach einer Straßenverlegung nicht mehr.
Elias Feuerstein, geb. am 15.01.1873 in Berlin, ist am 10. November 1938 vor seinem Geschäft in der Strausberger Straße 25 zu Tode geprügelt worden.
Martha Feuerstein, geb. Schmul, geb. am 05.02.1881 in Dobryca, wurde
am 10.03. 1944 mit dem 103. Alterstransport nach Theresienstadt
deportiert.
Sie waren die Eltern von Erna Czwiklitzer und Ruth Nüssenfeld (hebräisiert zu Naveh).

Christiana Hoppe ( Friedrichshain-Kreuzberg Museum ) hat uns freundlicherweise folgenden Text zur Familiengeschichte und zu den Ereignissen um die Kristallnacht überlassen:

Elias Ernst Feuerstein kam am 15. Januar 1873 in Dubie (heute im Powiat Krakowski / Polen) zur Welt. Er muss um die Jahrhundertwende nach Berlin gezogen sein und heiratete dort am 26. Juni 1906 die aus Dobricza (Provinz Posen) stammende Martha Schmuhl, geb. am 15. Februar 1882. Sie war die Tochter des Schneidermeisters Ephraim Schmuhl und seiner Frau Johanna, geb. Wolff.
Laut Berliner Adressbuch betrieb Elias Feuerstein von 1909 bis 1920 eine Konditorei und ein Café in der Badstr. 35-36. Die Familie wohnte auch dort. Das Paar hatte zwei Töchter: Erna, geb. am 14. März 1907, und Ruth, geb. am 6. Mai 1908.
Da er aus Galizien stammte, das zum Habsburgerreich gehörte, kämpfte Elias Feuerstein im Ersten Weltkrieg für Österreich-Ungarn. Ab 1921 betrieb er das Café Bellevue in Alt-Moabit 108. Ab 1927 ist er im Berliner Adressbuch als Gastwirt in der Französischen Str. 25-26 verzeichnet.
Tochter Erna heiratete 1928 Hermann Czwiklitzer, geb. am 15.06.1901 in Ober Lazisk in Schlesien. Am 19. Juli 1931 kam Sohn Heinz zur Welt.
Nach der Heirat der ältesten Tochter zog die Familie Feuerstein aus ihrer 4-Zimmer-Wohnung in Mitte in eine 2-Zimmer-Wohnung in der Strausberger Straße 25 in Friedrichshain. Zur gleichen Zeit kauften sie im gleichen Haus eine Wein- und Likörhandlung, die unter dem Namen „Nord-Ost“ als Einzel- und Großhandelsgeschäft geführt wurde. Das Geschäft bestand aus einem Ladenlokal mit zwei Schaufenstern und einem großen Kellerraum, der als Arbeitsraum und Lager diente.
Elias und Martha Feuerstein arbeiteten beide im Geschäft und beschäftigten zwei Angestellte. Vor den Feiertagen wurden bis 1933 regelmäßig Aushilfskräfte eingestellt. Auch die jüngste Tochter Ruth arbeitete bis zu ihrer Heirat im elterlichen Geschäft bei der Kassen- und Buchführung mit.
Sie schildert im Entschädigungsverfahren nach dem Krieg: „Bis zum Jahre 1933 machten meine Eltern abwechselnd jedes Jahr eine vierwöchentliche Ferienreise, d.h., auch während der Ferien blieb einer von beiden stets im Geschäft. Sie führten ein gutbürgerliches Leben, besuchten regelmäßig Konzerte und Theater, kleideten sich gut und hatten Hausangestellte. Sowohl meine Schwester wie auch ich erhielten anlässlich unserer Heirat als Mitgift eine komplette Dreizimmereinrichtung sowie Leib- und Hauswäsche im Werte von ungefähr je RM 10.000 und dazu noch eine beträchtliche Barsumme.“
Ruth heiratete am 9.11.1930 den Kaufmann Isidor Nüssenfeld, geb. am 13.03.1904, und zog zu ihm nach Dessau. Er führte dort das Warenkredithaus Jakob Nüssenfeld & Co.

Grabstein Jakob und Johanna Nüssenfeld auf dem Israelitischen Friedhof Dessau – 2019 – TAL

Ab 1933 begann das Geschäft stark zurückzugehen, insbesondere der Großhandel war durch den Boykott jüdischer Geschäftsleute fast völlig zum Erliegen gekommen. Auch die jüdische Kundschaft war nicht mehr so kaufkräftig wie früher oder wanderte aus.
„Seit 1933 bis zu den November-Ereignissen des Jahres 1938 mussten sich meine Eltern wirtschaftlich sehr quälen. Sie entließen die Angestellten und schränkten sich auch in ihren privaten Bedürfnissen bis auf ein Minimum ein. Sie machten keinerlei Anschaffungen mehr, weder für den Haushalt noch für ihren persönlichen Bedarf wie Kleider oder Anzüge, und auch die Ferienreisen wurden seit 1933 eingestellt.“
Am 9. November 1938 wurde das Geschäft von Isidor Nüssenfeld in Dessau geplündert und zerstört. Er flüchtete noch in der Pogromnacht mit seiner Frau nach Berlin, wo sie am Morgen des 10. November ankamen.
Auch das Geschäft und die Wohnung von Elias und Martha Feuerstein wurden während der Novemberpogrome ausgeplündert und völlig zerstört. Die Hähne der Wein- und Cognacfässer waren aufgedreht, so dass der Inhalt ausgeflossen war, das Warenlager war demoliert. Ruth Nüssenfeld schildert die Ereignisse so: „Am 10. November 1938 hielten sich meine Eltern wegen der Unruhen nicht in ihrem Geschäft und der anschließenden Wohnung auf, weil sie befürchteten, dass das Geschäft und die Wohnung gefährdeter wären als eine Privatwohnung. Aus diesem Grunde waren sie zu meiner Schwester Erna Czwiklitzer in der Grellstraße 6b gegangen. Da es jedoch meinem Vater keine Ruhe gab, ging er nachmittags […] zu seinem Geschäft, um zu sehen, ob alles in Ordnung wäre. Kurze Zeit darauf wurden wir von der Inhaberin des Nachbargeschäfts angeläutet, dass mein Vater auf der Straße liege.“
Als Martha Feuerstein, Erna und Hermann Czwiklitzer in der Strausberger Straße 25 ankamen, war Elias Feuerstein bereits tot ins Horst-Wessel-Krankenhaus (heute Klinikum im Friedrichshain) eingeliefert worden. Elias Feuerstein wurde am 13. November 1938 auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt.
Martha Feuerstein zog zur Familie ihrer Tochter Erna in die Grellstr. 6b. Isidor und Ruth Nüssenfeld wanderten Anfang 1939 nach Palästina aus.
Die Familie Czwiklitzer und Martha Feuerstein mussten später zwangsweise in die Kuglerstraße 33 übersiedeln. Erna, Hermann und Heinz Czwiklitzer wurden am 2. März 1943 mit dem 32. Osttransport nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Martha Feuerstein lebte zuletzt mit den Papieren einer Bombentoten als Martha Förster in Berlin-Moabit und führte den Haushalt eines „Ariers“. Sie wurde am 10. März 1944 mit dem 103. Alterstransport nach Theresienstadt und von dort am 15. Mai 1944 nach Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurde.
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